Wie lassen sich traditionelle österreichische Gerichte, von Nockerln und Gulasch über Semmelknödel bis zu Kaiserschmarrn, ohne tierische Zutaten zubereiten? Wie werden pflanzliche Alternativen zu Rind, Schwein und Huhn fermentiert und haltbar gemacht? Wo werden Lebensmittel erzeugt, was hat wann Saison, und wie lässt sich Bioqualität sicherstellen?

Kaiserschmarrn
Die Kunst, beim Kaiserschmarrn auf Ei und Milch zu verzichten, soll eine neue Ausbildung lehren. Ob das Rezept aufgeht, wird sich rascher als erwartet weisen.
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Geht es nach weiten Teilen der Gastronomie, könnte das Wissen darüber hierzulande trotz harter Widerstände aus der Wirtschaftskammer bald in einen eigenen Einzellehrberuf einfließen. Der Name des neuen Jobs: Fachkraft für vegetarische und vegane Kulinarik. Die Ausbildung soll drei Jahre dauern.

Hoch gingen die Wogen, als Joachim Ivany, der die Grünen in der Wirtschaftskammer Wien vertritt, Ende Mai einen Antrag auf eine fleischlose Kochlehre stellte. Spitzenköche wie Siegfried Kröpfl und Paul Ivić hatten zuvor über Jahre vergeblich darum gekämpft, Lehrlinge vegan ausbilden zu dürfen.

Video: Wie vegan is(s)t Österreich?
DER STANDARD

Riss durch die Branche

Maßgebliche Kammerfunktionäre warnten vor einer verwässerten Ausbildung, vor magerem Lernstoff ohne Fisch wie Fleisch und beruflichen Sackgassen – verspiele Österreich damit doch seinen guten Ruf als Kaderschmiede für Köche. Ihr Tenor: Die Aussichten, die Lehre auf den Boden zu bringen, seien gering.

Wider Erwarten gerät nun jedoch schneller Bewegung in die umstrittene Ausbildung als erwartet. Das Lehrberufsbild und der Motivenbericht liegen mittlerweile fertig auf dem Tisch und dem STANDARD vor. Beides wird vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft begutachtet. Demnächst soll es den Bundes-Berufsausbildungsbeirat passieren, der neue Lehren auf Herz und Nieren prüft. Das Wirtschaftsministerium will das Thema im November auf seine Agenda setzen.

Ziel der Arbeitsgruppe rund um Ivany, die sich aus renommierten Gastronomen ebenso speist wie aus Gewerkschaftern, Händlern und der Veganen Gesellschaft Österreich, ist es, dass erste Lehrlinge die Ausbildung bereits im Herbst 2024 starten.

Der Entwurf für eine vegane und vegetarische Lehre liege vor, bestätigt Thomas Wolf, Chef des Gastronomieverbands in der Wirtschaftskammer, auf Nachfrage. Ob und wie sich diese mit der bisherigen Kochlehre synchronisieren lasse, werde nächste Woche in der WKO erörtert.

Wichtig sei, möglichst vielen Betrieben die Ausbildung zu ermöglichen und als Branche attraktiver zu werden, versichert Wolf. Letztlich müssten Lehrberufe aber "sinnvoll" sein und "zueinanderpassen".

"Mehr als Erdäpfelsalat und Champignons"

Für Ivany ist die Skepsis der Kammer nicht nachvollziehbar. Keinem Jugendlichen würden mit einer veganen und vegetarischen Lehre Karrieren verbaut, betont er. Das Gegenteil sei der Fall: Jede größere Küche habe schon bisher Spezialisten für Fleisch, Beilagen und Desserts.

"Plötzlich werden Fachkräfte kommen, die mehr können als Erdäpfelsalat, Pommes und gebackene Champignons." International nehme Österreich damit eine Vorreiterrolle ein. Sorge, dass Fleisch zu kurz kommt, hat er keine. Kompetenzen über seine Zubereitung ließen sich auch nach der Lehre aneignen. Es gehe hier um keine Einbahnstraßen.

Keiner wolle Wirten und Gästen das Schnitzel verbieten oder Fleisch per se schlechtreden, sagt Ivany, der Fleisch selbst sparsam und aus biologischer Tierhaltung konsumiert. Der in der westlichen Welt übermäßige Fleischverbrauch habe jedoch ein Ablaufdatum.

Elf Prozent der Österreicher ernähren sich fleischlos, 2016 waren es erst sechs Prozent, zitiert der Motivenbericht Erhebungen von Gallup und Ifes. Bei den 15- bis 29-Jährigen liege der Anteil der Vegetarier oder Veganer im Haushalt bei 24 Prozent.

44 Prozent der Bevölkerung geben in Umfragen an, den Fleischkonsum bewusst zu reduzieren. In Summe sank dieser zwischen 2012 und 2021 um knapp zehn Prozent.

Ringen um Lehrlinge

Wer auf Fleisch verzichte, wolle damit zumeist auch nicht hantieren, schon gar nicht unter Zwang, meint Ivany. Damit nehme man vielen Jugendlichen, aber auch Quereinsteigern die Chance, in der Gastronomie Fuß zu fassen. Und das in Zeiten, in denen die Branche um Nachwuchs ringe. 2010 zählte die Gastronomie rund 4940 Lehrlinge, erhob die Wirtschaftskammer. Zehn Jahre später waren es nur noch 2990.

Zugleich stieg die Zahl der Restaurants, die fleischlos aufkochen, sprunghaft an. Von einer Verdreifachung der vegetarischen und einer Verfünffachung der veganen Lokale ist im Bericht der Expertengruppe im Dienste der neuen Lehre die Rede. "Es ist unfair, diese mittlerweile rund 210 Betriebe keine Lehrlinge ausbilden zu lassen", ergänzt Ivany.

Auch die Systemgastronomie bis hin zu großen Einrichtungshäusern habe das Potenzial der pflanzlichen Alternativen erkannt. Hotels und klassische Wirtshäuser würden im Gegenzug Marktanteile verlieren. Es sei an der Zeit gegenzusteuern.

Gibt das Wirtschaftsministerium im Herbst grünes Licht für eine Verordnung, ist der Weg frei für die Ausarbeitung der Details, von Lehrbüchern über standardisierte Rezepte bis zu Ort und Finanzierung der Berufsschule. Ivany sieht es daran nicht scheitern. Ein großes Team an Menschen stehe dafür quer durch die Branche in den Startlöchern. (Verena Kainrath, 10.8.2023)