Sklaven-Auspeitschung
Misshandlung von Sklaven. Abbildung aus dem anonym publizierten Buch "The suppressed book about slavery" (1864), das sich für die Abschaffung der Sklaverei in den USA einsetzte.
gemeinfrei / Wikimedia

1977 stießen Arbeiter beim Bau einer Autobahn im Bundesstaat Maryland an der Ostküste der USA auf einen verlassenen Friedhof, der sich mitten in einem Wald befand. Wie sich herausstellen sollte, stammten die ältesten Gräber aus dem 18. Jahrhundert, und die dort begrabenen Menschen waren vor allem Frauen und Kinder: versklavte Schwarze, die am Hochofen der Eisenschmiede von Catoctin arbeiten mussten, die ab 1776 in Betrieb war und rund 270 Menschen beschäftigte.

Die Skelettreste zeigten die Spuren eines von Gewalt und Missbrauch geprägten Lebens: Rückenverletzungen durch das Tragen schwerer Lasten, Zahnprobleme und extrem hohe Zinkkonzentrationen aufgrund des Einatmens von Dämpfen. Sehr viel mehr Informationen gibt allerdings die DNA her, die aus den Knochen von 27 der Leichen extrahiert werden konnte.

Die Eisenschmiede von Catoctin
Die Eisenschmiede von Catoctin in Maryland, an der vor mehr als 200 Jahren die Sklavinnen und Sklaven schuften mussten.
Aneta Kaluzna

So zeigen die genetischen Analysen, dass die meisten der versklavten Menschen über ihre väterliche Linie von Männern abstammen, die aus England und Irland kamen. Dies untermauert die historischen Behauptungen, dass die weißen Herren versklavte Frauen vergewaltigten oder sexuell unterjochten, um Nachkommen zu zeugen.

Doch das ist noch lange nicht alles: Die Forschenden um Éadaoin Harney, Genetikerin beim privaten Biotechunternehmen 23andMe, konnten auch ihre Herkunft bis nach Afrika zurückverfolgen. Die meisten stammten von den Ethnien der Wolof und Mandinka des heutigen Senegal und Gambia. Vor allem aber identifizierten sie Zehntausende von heutigen Verwandten in den USA, darunter fast 3.000 direkte Nachkommen.

Sklaven Herkunft und Nachfahren
Die Herkunft und Nachfahren der Sklavinnen und Sklaven der Schmiede von Catoctin: Mütterlicherseits stammten sie aus Ostafrika. Die Väter waren meist Iren oder Briten. Die Nachkommenschaft verteilt sich fast auf die gesamten USA.
Harney et al., Science 2023

Das Projekt, dessen Ergebnisse dieser Tage im Fachblatt "Science" erschienen, gilt als beispiellos für die USA, wo Schwarze bis 1870 nicht in die Volkszählung einbezogen wurden und wo es kaum Aufzeichnungen über ihre Abstammung gibt. Die Untersuchung wirft damit völlig neues Licht auf die Familiengeschichte der 45 Millionen in den USA lebenden Afroamerikaner.

Deren überwiegende Mehrheit stammt von einer halben Million Menschen ab, die zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert aus Afrika verschleppt und versklavt wurden. Da es keine Aufzeichnungen über die Vorfahren gibt, kennen die meisten Afroamerikaner ihre genaue familiäre Herkunft bestenfalls bis zum Jahr 1870 zurück und nicht weiter.

Geschichtslose Sklaven

Das war auch die Absicht der Sklavenbesitzer, wie Frederick Douglass, ein ehemaliger Sklave aus Maryland, bereits in seinen Memoiren 1845 schrieb. Laut Douglass, dem die Flucht aus der Sklaverei gelang und der den Rest seines freien Lebens ihrer Abschaffung widmete, wüssten seine Leidensgenossen so wenig über ihr Alter und ihre Herkunft wie Pferde, und ihre Herren achteten sehr darauf, dass dies auch so blieb. "Stammbäume gedeihen nicht unter Sklaven."

Die neue Studie wurde dank der Unterstützung und Beteiligung verschiedener gemeinnütziger Vereine, Familienmitglieder und der riesigen Gendatenbank von 23andMe möglich, die genetischen Daten von 14 Millionen Nutzern weltweit besitzt. In Auftrag gegeben wurde sie unter anderem von der Catoctin Historical Society, die den alten Friedhof mitbetreut. Deren Vertreter baten vor einigen Jahren 23andMe, in ihrer Datenbank nach Personen zu suchen, die Nachkommen jener Menschen sein könnten, die zwischen 1774 und 1850 in Maryland begraben worden waren.

Neue Methoden und viele Daten

Die Bitte erwies sich als herausfordernd, denn es mussten erst entsprechende Methoden entwickelt werden, die es möglich machten, Verwandtschaftsverhältnisse genau zu errechnen. Gemeinsam mit dem (Paläo-)Genetik-Pionier David Reich (Harvard University) wurde ein Ansatz entwickelt, der Verwandtschaften anhand gemeinsamer DNA-Abschnitte in den Genomen identifiziert. Zudem war der Rechenaufwand nicht unerheblich. Die Forschenden mussten zuerst die Genome von 9,2 Millionen 23andMe-Kunden in den USA auswerten, die ihr Einverständnis gegeben hatten, dass ihre Ergebnisse anonymisiert und für Forschungszwecke verwendet werden.

Bis jetzt wurden auf diese Weise 41.779 Nachkommen der versklavten Arbeiterinnen und Arbeiter identifiziert. Von diesen hatten 2.975 0,4 Prozent der exakten DNA ihrer Vorfahren behalten, was bedeutet, dass sie höchstwahrscheinlich direkte Nachkommen sind. In den meisten dieser Fälle waren die versklavten Personen die Väter oder Mütter des Ururgroßvaters oder der Ururgroßmutter der heute lebenden Menschen.

Komplexe ethische Fragen

Die Studie wirft allerdings auch ethische Fragen auf, die in einem eigenen Text im "American Journal of Human Genetics" thematisiert werden. Denn 23andMe kann natürlich nicht so einfach alle Personen informieren, die als Nachkommen identifiziert werden. Entsprechend wurde auch noch keiner der 42.000 Kunden des Unternehmens, die Verwandtschaftsverhältnisse zu den damaligen Sklaven aufweisen, über etwaige Verbindungen informiert.

Mehr weiß man immerhin darüber, was in Catoctin hergestellt wurde: unter anderem auch Bomben, die im Unabhängigkeitskrieg gegen England eingesetzt wurden. Die Engländer hatten im Falle eines Sieges den Sklaven die Freiheit versprochen – und verloren. So blieben die Arbeiter nach dem Ende der Kämpfe Eigentum ihrer Besitzer, zu denen auch George Washington gehörte, der erste Präsident der Vereinigten Staaten, wie die Genetikerin Fatimah L. C. Jackson in einem Begleitartikel zur Studie anmerkt: "Hätten die Briten den Krieg gewonnen und ihr Wort gehalten, wären die afroamerikanischen Sklaven 100 Jahre früher frei gewesen, also etwa fünf Generationen früher.“ (Klaus Taschwer, 9.8.2023)