Der Angeklagte packt einen Klimademonstranten am Kragen seiner Warnweste, um ihn von der Straße zu tragen. 
Kurze Zeit später saß der Protestierende nicht mehr auf der Fahrbahn. Der Herr links sitzt nun aber deshalb vor dem Strafrichter.
Andreas Stroh / Letzte Generation

Wien – Goran R. ist offenbar vom Pech verfolgt. Zu seiner Verhandlung bei Richter Matthias Funk kommt der 35-Jährige mit fünf Minuten Verspätung, da er vor der Sicherheitsschleuse im Landesgericht für Strafsachen Wien im Stau stand, wie er sich entschuldigt. Und ein von Demonstrierenden ausgelöster Stau am 5. Mai war es auch, der den Arbeitslosen hierhergebracht hat: Er soll laut Staatsanwalt einen "Klimakleber" gefährlich bedroht, genötigt und schließlich von der Straße gezerrt haben und danach einen zweiten Aktivisten mit seinem Auto touchiert haben, sodass dieser Abschürfungen an den Unterschenkeln erlitt.

"Bekennen Sie sich schuldig, teilweise schuldig oder nicht schuldig?", stellt Funk dem in Serbien geborenen Österreicher die vorgesehene Eröffnungsfrage. "Es gibt ja ein Video davon", antwortet der Angeklagte. "Also schuldig?" – "Ja." – "Dann erzählen Sie einmal, wie es dazu gekommen ist", fordert der Richter R. auf. "Ich war im Auto und musste zu einem Termin", erinnert sich der Angeklagte. Einen solchen hatte er bereits zwei Tage zuvor verpasst: "Da waren sie auf der Reichsbrücke. Ich bin circa 40 Minuten gestanden."

Am 5. Mai war der Schauplatz des Protests der Letzten Generation die Wienzeile beim Naschmarkt. Herr R. war wieder auf dem Weg zu einem Termin. "Was hatten Sie denn für einen Termin?", will Funk wissen. "Ich musste das Pickerl machen lassen für das Auto", verrät der Angeklagte. Er hielt vor einer Ampel an, als die Manifestanten die Fahrbahn betraten und den Verkehr blockierten.

"Sehr schlechten Tag gehabt"

"Es war ein Blackout" und "Ich habe einen sehr schlechten Tag gehabt", begründet R. die folgenden Ereignisse. Schildern muss er sie nicht, da der Richter den aufgenommenen Film vorspielt. Der Angeklagte verließ sein Auto und ging zu einem sitzenden Demonstranten. "Geh vor's Parlament und spring dort wie ein Affe", sagte er dem ruhig und passiv bleibenden Gegenüber. "Junge, ich schlag dich nieder!", drohte R. schließlich, machte dann aber etwas anderes. Der muskulöse 35-Jährige packte den 32-jährigen Protestierer einfach am Kragen, hob ihn hoch und trug ihn von der Fahrbahn.

Sonderlich nachhaltig war die Aktion nicht, der Aktivist ging einfach wieder zurück und setzte sich neuerlich auf die Straße. Also änderte R. seine Taktik: Er fuhr mit seinem Wagen über Radweg und Gehsteig um das Hindernis herum – und dabei einen Kameramann, der den Protest filmte, an. "Dass man das nicht machen darf, ist Ihnen schon bewusst?", erkundigt sich Funk. "Ja", antwortet der Unbescholtene, von dem keiner der Zeugen Geld will. "Es tut mir leid", entschuldigt er sich beim ersten Aktivisten, der die Entschuldigung annimmt. "Es passiert", sagt der 32-Jährige zum Angeklagten. Am Vorfallstag blieb Letzterer vor Ort und meldete sich selbst bei den Behörden.

Der Richter sieht in dem Vorfall offenbar keine schwere Schuld von R. und erklärt dem ohne Verteidigerin erschienenen Angeklagten das Wesen einer Diversion. "Wenn Sie innerhalb von sechs Monaten 80 Stunden gemeinnützige Leistungen erbringen, haben Sie keine Vorstrafe. Wären Sie damit einverstanden?", will Funk wissen. "Ja, natürlich. Kann ich das auch auf einmal machen?" – "Maximal 40 Stunden pro Woche sind zulässig. Also in zwei Wochen könnten Sie es ableisten." – "Ist im Altersheim was frei?", erkundigt der Angeklagte sich, wird aber belehrt, dass der Bewährungshilfeverein Neustart über den Arbeitsplatz entscheidet. Da der Staatsanwalt keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 9.8.2023)