Neugeborenes in den Händen der Mutter
Mindestens eine von zehn Frauen hat nach einer Geburt zum Teil schwere Depressionen, über mehrere Wochen. Erstmals ist nun in den USA ein Medikament genau dafür zugelassen worden. Es soll schon nach wenigen Tagen helfen.
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Eigentlich ist die Geburt eines Kindes ein geradezu euphorisches Ereignis. Doch zehn bis 15 Prozent der Frauen schlittern danach in eine ausgewachsene Depression. Sie sind teilnahmslos, können sich nicht freuen, haben Panikattacken oder sogar Selbstmordgedanken und tun sich oft schwer, eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen – und das oft über Wochen oder sogar Monate. Auslöser dieser postpartalen Depression ist die massive Hormonumstellung, gekoppelt mit der Tatsache, dass auf einmal das komplette Leben auf dem Kopf steht. Nun wurde in den USA erstmals ein Medikament speziell gegen diese Form der Depression zugelassen.

Vergangenen Freitag hat die U.S. Food and Drug Administration (FDA) die Mitteilung publiziert. Das sei ein Meilenstein, schreibt die "New York Times", der die Behandlung einer Erkrankung, an der jedes Jahr eine halbe Million Frauen in den USA leidet, deutlich verbessern werde. Klinische Studiendaten zeigen, dass die Pille schnell wirkt und Depressionen bereits nach drei Tagen besser werden. Das sei deutlich schneller, als andere Antidepressiva wirken, üblicherweise nämlich nach zwei Wochen oder mehr. Dazu kommt, dass man die Tablette nur zwei Wochen einnimmt und nicht mehrere Monate. Das könne mehr Patientinnen dazu animieren, die Behandlung anzunehmen, sagen Expertinnen und Experten für die psychische Gesundheit von Müttern.

Der wichtigste Aspekt sei die Tatsache, dass das Medikament ausdrücklich für die Behandlung von Wochenbettdepressionen bestimmt ist. Zwar gibt es andere Antidepressiva gegen postpartale Depressionen. Doch diese Zulassung, die die biologische Ursache der Depression unterstreicht, könne dazu beitragen, dass das Stigma der Krankheit reduziert werde, zitiert die "New York Times" Ärztinnen und Experten.

Durch den Raster

"Diese Patientinnengruppe fällt oft einfach durch das Raster", weiß Ruta Nonacs, Psychiaterin am Center for Women's Mental Health am Massachusetts General Hospital. "Die Diagnose Wochenbettdepression ist für viele Frauen peinlich, erniedrigend und gibt ihnen das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein." Auch die FDA betont in ihrer Erklärung, dass der Zugang zu einem oralen Medikament für viele Frauen eine wichtige Option sei.

Die Pille Zuranolon, die unter dem Markennamen Zurzuvae vermarktet wird, wurde von Sage Therapeutics entwickelt und in Zusammenarbeit mit Biogen produziert. In den USA folgt nun noch eine 90-tägige Überprüfung durch die Drug Enforcement Administration, die für alle Medikamente, die das Zentralnervensystem beeinflussen, vorgeschrieben ist. Danach soll das Medikament zur Verfügung stehen. Preis wurde bisher keiner kommuniziert. Mögliche Nebenwirkungen sind Schläfrigkeit und Schwindel, in sehr seltenen Fällen kann es zu Selbstmordgedanken kommen. Danach darf man zwölf Stunden nicht Auto fahren. Man sollte die Pille idealerweise abends gemeinsam mit einer fettreichen Mahlzeit einnehmen.

Ob und vor allem wann das Medikament in Europa erhältlich sein wird, ist derzeit nicht bekannt.

Das Medikament sei auch nicht für jede Betroffene geeignet, sagen Ärztinnen und Ärzte. Bei leichten bis mittelschweren Depressionen könne eine Gesprächstherapie gut helfen. Und Kimberly Yonkers, Vorsitzende der Psychiatrie-Abteilung an der Chan Medical School der University of Massachusetts, betont, sie würde Zurzuvae eher nicht Patientinnen mit langjähriger wiederkehrender Depression empfehlen, weil die Behandlung nur für zwei Wochen gedacht ist.

Synthetisches Gehirnhormon

Grundlage für die Zulassung durch die FDA sind zwei vom Entwickler finanzierte klinische Studien mit rund 350 Patientinnen. Bei der Mehrheit derjenigen, die Zurzuvae erhielten, nämlich 72 Prozent in einer Studie und 57 Prozent in der zweiten, hat sich die Depression nach zweiwöchiger Therapie auf der Standarddepressionsskala um 50 Prozent oder mehr verbessert. Auch jene Frauen, die ein Placebo erhielten, haben eine Besserung erfahren, aber in der Wirkstoffgruppe war diese deutlich höher und setzte bereits ab dem dritten Behandlungstag ein. Die Wirkung hielt über die gesamten 45 Tage des Studienzeitraums an. Ob der Erfolg langfristig bestehen bleibt, muss nun in Langzeitstudien untersucht werden.

Die Pille wirkt über ein synthetisch hergestelltes Gehirnhormon namens Allopregnanolon. Dieses wird natürlicherweise aus Progesteron produziert, jenem Hormon, dessen Spiegel nach einer Geburt massiv absinkt, und das generell stimmungsbezogene Neurotransmitter reguliert. Manche Frauen reagieren besonders stark auf diesen Abfall, genetisch bedingt oder auch aufgrund verschiedener Lebensumstände. Zwischen 15 und 20 Prozent der Frauen in den Studien nahmen nach der Einnahme von Zurzuvae weiter andere Antidepressiva ein, die sie auch schon vor der postpartalen Depression eingenommen hatten.

"Es ist nicht die einzige Behandlung, die bei postpartalen Depressionen hilft, aber dass sie spezifisch für diese Indikation zugelassen ist, verbessert das Verständnis dafür, dass es eine biologische Ursache für die Depression gibt. Es zeigt den Müttern, dass es nicht ihre Schuld ist", betont Wendy Davis, Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Postpartum Support International.

Postpartale Depressionen sind übrigens nicht zu verwechseln mit dem sogenannten Babyblues. Diesen verspüren etwa 50 bis 80 Prozent aller Mütter innerhalb der ersten Woche nach der Geburt. Er äußert sich durch eine depressive Verstimmung, im Normalfall zwischen dem dritten und fünften Tag nach der Entbindung, dauert bei den allermeisten einige Stunden bis Tage und klingt danach wieder ab. Postpartale Depressionen beginnen dagegen manchmal schon kurz vor der Geburt und halten vor allem wochenlang an. Betroffene Frauen oder Personen in ihrem Umfeld, die eine mögliche Depression bemerken, sollten sich ärztliche Hilfe holen. (Pia Kruckenhauser, 9.8.2023)