Die Geschlechter nähern sich an – zumindest, was ihre Lebenserwartung betrifft. Die Lebenserwartung in Österreich lag 2022 bei 79 Jahren für Männer und bei 83,7 Jahren für Frauen. Die Volksweisheit "Frauen leben länger" stimmt also weiterhin, aber der Vorsprung schrumpft. Woher kommt diese Veränderung?

Zum ersten Mal untersuchten Wissenschafter regionale Unterschiede der Lebenserwartung in sieben europäischen Ländern. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Deutschland führte dazu Daten von 1996 bis 2019 aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Schweiz, Tschechien, Slowakei und Österreich zusammen. Insgesamt wurden 228 europäische Regionen verglichen. Die Ergebnisse zeigen klare Differenzen zwischen strukturschwachen und urbanen Gebieten.

In den 1990er-Jahren lag die Lebenserwartung von Männern im europäischen Durchschnitt noch sieben Jahre hinter der von Frauen. Inzwischen reduzierte sich der Unterschied auf 5,5 Jahre. Nur ein sehr kleiner Aspekt beruht dabei auf biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Hauptsächlich zurückführen lässt sich dieser Rückgang auf weniger männliche Todesfälle im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tumoren.

Einige regionale Unterschiede

Hauptstadtregionen wie Prag oder Paris weisen im Vergleich mit ländlichen Regionen geringere geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Sterblichkeit auf. Geringe Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen fanden die Forscher auch in Dänemark, Süddeutschland und der Schweiz. Im Umland von Basel liegt die Differenz bei nur 3,3 Jahren, in München und Umland bei durchschnittlich 3,5 Jahren. Der Mortalitätsforscher Markus Sauerberg vom BiB sagt dazu: "Florierende Großstädte ziehen durch ihre guten Jobmöglichkeiten eher gesunde und qualifizierte Bevölkerungsgruppen an, während strukturschwache Regionen weniger attraktiv für diese Menschen sind."

Schwerpunktgebiete der männlichen Übersterblichkeit sind der Nordosten Deutschlands und Nordfrankreich, wobei die französische Provinz besonders viele Todesfälle aufgrund von Tumoren und Krebs verzeichnet. Auch in Teilen von Ostdeutschland, Tschechien und der Slowakei sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit sechs Jahren Differenz fast doppelt so groß wie in der Schweiz. Die regionalen Unterschiede können hier zu einem großen Teil auf den schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung zurückgeführt werden.

Menschen gehen in einem Park.
Männer zeigen aufgrund ihrer Sozialisierung tendenziell risikoreicheres Verhalten, insbesondere in jungen Jahren.
REUTERS/Kevin Coombs

Junge Männer weiterhin stärker gefährdet

Sozialpolitische Entscheidungsträgerinnen und Verantwortliche sind oftmals besonders interessiert an Statistiken zu früher Sterblichkeit von Menschen unter 40, da diese am ehesten verhindert werden können. In manchen Regionen Frankreichs, in Nordwestdeutschland und in Österreich erhöhten sich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei jungen Menschen sogar noch weiter. Junge Männer neigen eher zu risikoreichem Verhalten, erklärt das Forscherteam. In besonders strukturschwachen Regionen fällt ihnen der Zugang zu wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe oft schwerer.

Die Lebenserwartung drückt die durchschnittliche erwartbare Anzahl der Lebensjahre bei der Geburt aus. Dabei werden die Sterblichkeitsbedingungen zum Zeitpunkt der Geburt in Betracht gezogen. Dies ermöglicht auch den Vergleich zwischen Teilgruppen, z. B. Männer und Frauen.

Geeignete sozialpolitische Maßnahmen

Da sich die Rolle von Frauen und Männern in Beruf und Privatleben verändert, hat dies auch Einfluss auf die Sterblichkeitsrate. Traditionelle Geschlechterrollen, bei denen Männer sich allein für das Einkommen einer Familie verantwortlich fühlen, machen sie anfälliger für Frust und Unzufriedenheit. Dieser Umstand führt laut den Forschern eher zu risikoreichem Verhalten und einem ungesunden Lebensstil wie Rauchen oder Alkoholkonsum. Sauerberg äußert sich zum Aufholprozess der Männer in puncto Lebenserwartung: "Wie etwa die Rollen von Männern und Frauen im Privatleben, Beruf und Krisensituationen gesellschaftlich gesehen werden, hat einen erheblichen Einfluss auf die Geschlechterunterschiede in der Sterblichkeit."

Soziale Ungleichheiten im Gesundheitsbereich schränken insbesondere sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen dabei ein, ein produktives und erfülltes Leben zu führen. Diese Situation ist nicht nur ungerecht, sondern stellt auch eine große Herausforderung für die europäischen Nationalstaaten dar.

Die Forscher sehen die Studie auch als Basis für sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen und die europäische Strukturpolitik – eine Strategie der Europäischen Union zur Förderung und Unterstützung einer "harmonischen Gesamtentwicklung" ihrer Mitgliedsstaaten und Regionen. Indem die EU gezielt strukturschwache Regionen fördert, kann sie dazu beitragen, die männliche Übersterblichkeit zu reduzieren. (Sebastian Lang, 12.8.2023)