Björn Höcke steht am Rednerpult.
Thüringens AfD-Fraktions- und Parteichef Björn Höcke möchte "gesunde Schulen".
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Eigentlich müsse er viel öfter interviewt werden, aber mit ihm wolle ja keiner reden. So beklagt sich Björn Höcke an einer Stelle im Sommerinterview des MDR (Mitteldeutschen Rundfunk). Doch da kann Moderator Lars Sänger beruhigen und erklärt: "Ich habe Sie hier ja einmal im Jahr im Interview, und das klappt eigentlich immer ganz gut."

Jetzt war es wieder so weit, der MDR bat den vom Verfassungsschutz als Rechtsextremisten eingestuften Höcke 30 Minuten lang zum Gespräch. Und der AfD-Chef, selbst früher Lehrer für Geschichte und Sport, erklärte, was er in der Schulpolitik ändern würde. Inklusion, also das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung, gäbe es dann nicht mehr.

Wörtlich sagte Höcke: "Unter anderem müssen wir das Bildungssystem auch befreien von Ideologieprojekten, beispielsweise der Inklusion, beispielsweise auch dem Gender-Mainstream-Ansatz. Alles das sind Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen." Zuvor hatte er erklärt: "Gesunde Gesellschaften haben gesunde Schulen."

Wie und wo dann Kindern mit Behinderung Wissen vermittelt werden solle, erfuhren die Zuseherinnen und Zuseher nicht, der Moderator fragte auch nicht nach. Der Besuch von Kindern mit Behinderung in Regelschulklassen resultiert aus der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention, die 185 Staaten, darunter auch Deutschland, unterzeichnet haben.

Ein "Tabubruch"

Im "Spiegel" verurteilen Gewerkschaften und Behindertenvereine Höckes Aussagen scharf. "Wir sind entsetzt über die Auslassungen von Herrn Höcke im MDR-Sommerinterview zum Thema Inklusion", sagt Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der gemeinnützigen Bundesvereinigung Lebenshilfe. "Dieses Recht infrage zu stellen erachten wir als Tabubruch und schlicht als Skandal. Angesichts dieser menschenfeindlichen Haltung können wir nur ahnen, wie Herr Höcke mit Menschen mit Behinderung umgehen möchte", so die ehemalige Bundesgesundheitsministerin (SPD).

Auch Anja Bensinger-Stolze, die im Vorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sitzt, betont: "Jedes Kind, jeder Jugendliche hat das Recht, inklusiv – also an einer Regelschule – unterrichtet zu werden." Diesen Anspruch bekräftige man als GEW und wende sich "gegen jegliche Ausgrenzung und Selektion". Die Bereichsleiterin für Kommunikation der Aktion Mensch, Christina Marx, sagt: "Inklusion ist kein Ideologieprojekt, Inklusion ist ein Menschenrecht. Sie abzuschaffen ist ein Angriff auf die Menschenwürde."

Marx erklärt zudem: "Wenn Höcke von den Leistungsträgern und Fachkräften von morgen spricht, muss man deutlich sagen: Menschen mit Behinderungen sind die Fachkräfte von heute." Aus Studien wisse man, dass sie vielfach sehr gut ausgebildet seien. Deswegen sei es so wichtig, "dass sie Zugang zu allgemeinbildenden Schulen haben, um Abschlüsse zu bekommen und Ausbildung und Studium machen zu können".

In sozialen Medien wird auch gegenüber dem MDR viel Kritik laut. Tenor: Der öffentlich-rechtliche Sender hätte Höcke diese Plattform nicht bieten dürfen. Der MDR rechtfertigte das Sommergespräch so: "Es ist unsere Aufgabe, die Positionen in der Thüringer Politik transparent zu machen. Dazu zählt auch das Interview mit der prägenden Figur der AfD."

In Thüringen wird 2024 ein neuer Landtag gewählt. Die AfD liegt in Umfragen derzeit mit 32 Prozent an erster Stelle, dahinter folgen CDU (22 Prozent) und Linke (20 Prozent). Höcke will Ministerpräsident werden, eine Koalition mit der AfD lehnen derzeit jedoch alle anderen Parteien ab. (Birgit Baumann aus Berlin, 10.8.2023)