Zwar brachten auch einige Söder-Gegner Protestschilder mit – wie hier zu sehen, dankten ihm aber auch Ukrainer für seine Unterstützung.
Oliver Das Gupta

Das Örtchen Hart liegt dort, wo Bayern seinen schönsten Klischees entspricht. Alte Bau­ernhäuser, drumherum sanfte Hügel und braun-weißes Vieh auf den Weiden. Gar nicht so fern ragt die Kampenwand empor, dazwischen liegt der Chiemsee. Das Dorf gehört zum nahen Badeort Chieming, kurz: ein oberbayerisches Idyll – und in diesen Tagen Magnet für die ganze Region dank eines großen Bierzelts.

Zum Höhepunkt der Harter Festwoche hat die CSU ihren Parteichef Markus Söder geladen. Der Ministerpräsident kommt ziemlich hemdsärmelig daher: In ausgewaschenen Jeans und einem hellen, leicht verknitterten Trachtenjanker klettert er auf die Bühne und beginnt seine Rede typisch: spöttelnd. Zuerst sind seine Parteifreunde dran. Der abwesende Landrat des Kreises Traunstein bekommt es ab ("der schönste Landrat", das solle er auf die Bitte von dessen Büro erwähnen), den alten Landtagsabgeordneten kenne er schon sehr lange ("Dir sieht man es an, mir nicht"), und auch den neuen, "gutaussehenden" Landtagskandidaten ("Man sieht ja an den Plakaten: Mit moderner Technik holt man das Beste noch mal raus").

Söder genießt das Gelächter, verteilt sogleich aber auch Lob für Verdienste und Engagement. Dann geht er über zur traditionellen CSU-Folk­lore, die seine Rede regelrecht durchwirkt: Er lobt Bayern als "schönstes Land der Welt", Schulen, Unis, Forschung und Wirtschaft – alles großartig, alles supergut, auch der Ruf in der Welt: "Die halbe Welt frisst und säuft gern bayerisch, meine Damen und Herren."

Dazwischen höhnt der fränkische Kraftmeier über politische Gegner. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP sei die schlechteste Regierung, die Deutschland je hatte. Was auffällt: Söder fokussiert sich ausschließlich auf die Grünen. Abgesehen von einem Seitenhieb auf den sozialdemokratischen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dem er ungesundes Aussehen attestiert, stichelt er maliziös gegen die Ökopartei. Vor allem Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck bekommt es ab, ihm wirft er "ideologische Doppelmoral" vor. Genüsslich weist er darauf hin, dass die deutsche Ökonomie beträchtlich schwächelt – anders als in anderen Ländern. Was er allerdings nicht liefert: eine Idee, wie die CSU es besser machen würde.

Generalprobe für die Wahl

Dem konservativen Ministerpräsidenten und zwischenzeitlichen Möchtergern-Kanzlerkandidaten kommt der Termin gelegen. Drei Monate später, am 8. Oktober, wählen die Bürgerinnen und Bürger im Freistaat einen neuen Landtag. Die CSU liegt in der aktuellsten Umfrage bei 39 Prozent, wenngleich fast ­jeder Zweite mit Söders Arbeit unzufrieden ist. Die Stimmung ist volatil. Und so stellt der Auftritt in Hart wohl eine Generalprobe für die heiße Wahlkampfphase dar: Söder probiert Themen und Pointen aus – das Feedback eines Publikums darf nach der zweiten Mass Bier als durchaus authentisch gelten. So wird sich der ausgebuffte CSU-Mann gut gemerkt haben, wo die mehr als 1000 Zuhörer am meisten klatschen: als er verspricht, dass die Grünen nicht Teil der nächsten Staatsregierung werden.

Zum Ende seiner Rede wird Söder ernst. Es geht um die AfD. Die Rechten ticken dem deutschen Verfassungsschutz zufolge in wesentlichen Teilen extremistisch. Doch Söder wählt einen anderen, vielleicht überzeugenderen Ansatz: Er pickt sich den AfD-Wortführer Björn Höcke heraus. Der forderte unlängst, die EU müsse "sterben". "Haben Sie mal überlegt, was das heißt?", fragt Söder und antwortet zugleich: Neun der zwölf wichtigsten Handelspartner seien in der EU. "Stirbt die EU, stirbt unser Wohlstand der letzten 30 Jahre!" Zustimmung im Zelt, einige nicken, ein einzelnes Buh.

Nach 64 Minuten ist Söder fertig, der Applaus ist nur freundlich. Vielleicht liegt es daran, dass er ein heikles Thema ausgelassen hat, was wie eine riesige Wildsau im Zelt hängt: die Corona-Zeit, die auch in Bayern die Gesellschaft gespalten hat.

Wahlkampf auf Bayerisch.
Oliver Das Gupta

Söder wirkt dennoch zufrieden, womöglich auch, weil er Protest erwartet hatte. Denn das Festzelt war sechs Tage zuvor deutschlandweit in die Schlagzeilen geraten. Cem Özdemir, der grüne Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, sorgte für noch einen größeren Andrang als Söder. Doch neben vielen einheimischen Bauern war eine beträchtliche Anzahl von organisierten Demo-Touristen angereist, die ihre AfD-Nähe nicht verhehlten.

Letztere pfiffen und buhten lautstark – und stellten entsprechende Videoschnipsel der Geräuschkulisse ins Internet. Die fast allesamt konservativen Ortshonoratioren reagierten irritiert und wütend über den Krawall – und applaudierten Özdemir, als der über den Schutz der liberalen Demokratie sprach und gegen die AfD wetterte.

Anti-Söder-Plakate

Zu Söders Auftritt erschienen weniger, die aufs Stören aus waren. Anfangs pfiffen einige, als der Ministerpräsident zu den Klängen des bayerischen Defiliermarschs ins Festzelt einzog. Danach drängte man die Aktivisten hinaus; dort postierten sie sich mit Plakaten, auf denen "Söder muss weg" stand.

Das Ordnungspersonal erkannte einige Aktivisten, die bereits bei dem Grünen Radau gemacht hatten. Ein Sicherheitsmann sagte dem STANDARD, dass auf dem Parkplatz Pfeifen verteilt worden seien.

In seiner Rede spielt Söder nur indirekt darauf an, wie der Grüne Özdemir ausgepfiffen wurde. Nach seinem Auftritt kritisiert der CSU-Chef im Gespräch mit dem STANDARD den Krawall bei Özdemirs Auftritt. "Ich fand das zu hart, das hatte keinen Stil", sagt Söder und fügt hinzu: "Wenn's einem nicht gefällt, muss man nicht kommen." (Oliver Das Gupta aus Chieming am Chiemsee, 10.8.2023)