Eine ältere Dame kramt in ihrer kleinen Geldbörse. Auf der Hand hat sie ein paar Euro-Münzen.
Das Auskommen mit dem Einkommen wird schwieriger. Vor allem Wenigverdiener brauchen jeden Cent.
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Die Abschaffung der kalten Progression bringt den Steuerzahlern kommendes Jahr 3,65 Milliarden Euro. Zwei Drittel davon fließen durch die Verschiebung der Tarifstufen und Erhöhung der Absetzbeträge automatisch an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zurück. Über das dritte Drittel – also 1,2 Milliarden Euro – kann die Regierung verfügen. Sie entscheidet, wer von diesem Geld profitieren soll. Heuer wurden mit dem Geld die beiden untersten Steuergruppen bedacht.

Zwei Varianten

Wie es nächstes Jahr laufen soll, darüber ist nun eine Debatte entbrannt, unter Politikern und Ökonominnen. Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Holger Bonin, hat bei der Vorlage des Progressionsberichts diese Woche zwei Varianten für das dritte Drittel vorgeschlagen. Einerseits könnten mit dem Geld erneut die Bezieher geringer Einkommen entlastet werden. Sie sind laut dem IHS-Chef am stärksten von der Teuerung betroffen. So ließe sich auch ein Ausgleich zu den bisher pauschal ausgezahlten Unterstützungen schaffen, die laut Bonin für bessergestellte Haushalte nicht notwendig gewesen wären.

Andererseits stellte der IHS-Chef eine weitere Entlastung der Mittelschicht als sinnvoll in den Raum. Wie er das unter anderem argumentiert: In dem Fall bestehe für die Sozialpartner bei den im Herbst startenden Lohnverhandlungen weniger Druck für Einkommenssteigerungen, weil den Menschen durch die Steuerentlastung ohnehin mehr Geld bliebe.

Und was sagen andere Experten zu der Frage, wem das dritte Drittel zukommen soll? Die Steuerexpertin am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, Margit Schratzenstaller, ist dafür, das Geld an die Bezieher geringer Einkommen weiterzureichen. Sie seien von der Krise am stärksten betroffen, zudem würde es bei ihnen den größten Konjunktureffekt auslösen, geben sie doch besonders viel von ihrem Einkommen für Lebensnotwendiges aus. Die Bezieher mittlerer Einkommen gehörten aber sehr wohl auch entlastet, meint Schratzenstaller, allerdings über eine Gesamtreform von Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeitragssystem.

Ideologische und politische Frage

In dieselbe Kerbe schlägt auch der Vorsitzende des Fiskalrats, Christoph Badelt. Für ihn ist es "ganz klar", dass man die Bezieher der untersten Einkommen finanziell begünstigen solle, die durch die hohe Inflation nach wie vor benachteiligt seien. Sicher gehe es da auch "um eine ideologische und politische Frage", wie er auf Anfrage des STANDARD erklärt, aber man solle die Gelegenheit nützen, finanzielle Unterstützung zu geben.

In der Arbeiterkammer (AK) sieht man das genauso. Der Leiter der Abteilung für Steuerrecht in der AK, Pascal Schraml, sieht eine Entlastung der ersten beiden Tarifstufen als notwendig an. Er könnte sich aber auch einen anderen Verteilungsmodus vorstellen. Sollten die ersten beiden Tarifstufen die volle Inflation abgegolten bekommen (zugrunde gelegt wird eine Inflationsrate von 9,9 Prozent), koste das rund 600 Millionen Euro. Es blieben also von den 1,2 Milliarden des dritten Drittels 600 Millionen Euro übrig, die dann ebenfalls auf diese Einkommensklasse aufgeteilt werden könnten. Diese soll laut Schraml überkompensiert werden, weil dort die Not am größten sei.

Entscheidung im September

Auch das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut plädiert dafür, dass die Politik ihren Spielraum "für einen sozialen Ausgleich nutzen sollte", wie Ökonom Jakob Sturn schrieb. Sturn begründet dies ebenso damit, dass "Niedrigverdienerinnen und Niedrigverdiener die höheren Preise schlechter bewältigen können".

Der unternehmernahe Thinktank Agenda Austria kritisierte das Modell zuletzt als "unnötig kompliziert", man hätte die kalte Progression nach Schweizer Vorbild komplett abschaffen sollen, moniert Ökonom Dénes Kucsera. Und: Die kalte Progression gehöre auf alle Steuerzahler aufgeteilt.

Und was wird die Regierung mit dem letzten Drittel tun? Das steht noch nicht fest. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) will sich bis Mitte September mit den Grünen darüber beraten und die Entscheidung danach vorlegen. Sollte sich die Regierung nicht einigen, würde das Geld auf alle Steuerklassen verteilt werden. Denn so wurde es gesetzlich verankert. (Renate Graber, Bettina Pfluger, 10.8.2023)