Matthäus Drory steht an seiner hüfthohen Schreibtischplatte und tippt auf einer Tastatur, die wie ein Fächer geformt ist. Der Niederösterreicher hat dieses Gerät erfunden und Tipy genannt – eine komplette Computertastatur für nur eine Hand. Auf einem sehr breiten Computerbildschirm erstreckt sich vor seinen Augen eine Weltkarte. Blaue Kreise zeigen rege Bewegung in Europa und Nordamerika. Allerdings: Das sind nur die Besuche auf Drorys Website, nicht die Verkäufe.

Vor acht Jahren hat Drory seine gutbezahlte Anstellung beim Internetanbieter UPC gekündigt, um Erfinder zu werden. Nicht weniger als 70 Ideen hatte er im Kopf. Die Wahl, welche er umsetzen wollte, fiel auf die Einhandtastatur Tipy. "Ich wollte die einfachste Idee von allen herauspicken", sagt er. Es sollte dennoch kompliziert genug werden.

Matthäus Drory, Tipy-Tastatur, Erfinder
Matthäus Drory hatte anfangs 70 Ideen, mit der Tipy-Tastatur wollte er "die einfachste herauspicken".
Lukas Kapeller

Ein langer Weg

Ein paar Mal im Jahr besucht Drory Messen, um Kontakte zu knüpfen, kürzlich war er in Karlsruhe. Dann fährt er mit seinem kleinen Toyota los, hunderte Kilometer weit. Ein Mann, ein Auto und eine Vision. "Für mich war immer klar: Wenn du alles haben willst, musst du alles geben", sagt Drory. "Ich habe mich entschieden, für meine Erfindung alles andere für ein paare Jahre runterzuschrauben. Ich verzichte derzeit auf mein Privatleben, auf Urlaube."

Den Prototyp formte Drory in seinem Haus in Eichgraben in Niederösterreich vor rund sieben Jahren aus Plastilin. Die ersten Verkäufe schaffte er im Jahr 2019. Etwa 1500 Stück habe er bis heute verkauft. Dazwischen liegen Jahre des Tüftelns und Grübelns. 2018 hat Drory eine GmbH gegründet. "Eine Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung", sagt er und lacht.

Irgendwann während des Gesprächs nimmt Drory einen Zauberwürfel in die Hand und beginnt, nebenbei daran zu drehen. Ziel des Spiels ist es, dass jede Würfelseite eine einheitliche Farbe hat. Drory schraubt am Würfel und erzählt, er brauche meist nicht mehr als drei Minuten dafür.

Hohe Erfinderdichte

Der 44 Jahre alte Drory ist ein Einzelkämpfer – und doch in guter Gesellschaft. Mehr als 2200 Erfindungen sind hierzulande im Jahr 2022 angemeldet worden, heißt es aus dem Österreichischen Patentamt. Im internationalen Vergleich ist Österreich ein sehr erfinderisches Land. Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) bescheinigt Österreich im letzten verfügbaren Ranking aus dem Jahr 2021 EU-weit Platz sechs und global Platz elf, wenn es darum geht, wie viele Erfindungen eine Nation, auf eine Million Einwohner gerechnet, weltweit angemeldet hat. Die hohe Zahl liegt auch an innovationsfreudigen österreichischen Firmen wie AVL List und Zumtobel.

Auch viele Hobby- und Berufserfinder wollen ihre Pläne vor Ideendiebstahl schützen lassen – eben mit einem Patent. Eine Idee gilt als patentwürdig, wenn sie eine neuartige Lösung zu einem technischen Problem ist. Für Logos gibt es den Markenschutz, für Texte und Musik das Urheberrecht. Bei Patenten dagegen geht es um technische Dinge.

Wer eine Erfindung vorantreiben will, braucht Zeit und Geld. Und: Nicht jeder Erfinder ist auch ein geschickter Unternehmer. Kein Wunder, dass auch gute Ideen oft im Stadium der Produktentwicklung versanden.

Andrea Lehner, Erfinderin, Oberösterreich
Andrea Lehner ist eigentlich Maskenbildnerin und hält mittlerweile fünf Patente.
Florian Voggeneder

Geistesblitz im Hafen

Und doch gibt es Erfolgsgeschichten im heimischen Erfindertum. Die oberösterreichische Maskenbildnerin Andrea Lehner hat es zum Beispiel geschafft, ihre Erfindung zu einem Bestseller zu machen. Sie erfand eine Schablone, mit der sich sekundenschnell Augenbrauen zupfen lassen. Unter dem Namen Andmetics bekommt man die Enthaarungsstreifen heute in Drogerieketten.

Lehner lädt ein auf ihren renovierten Bauernhof im Mühlviertel. Sie trägt an diesem Samstag eine dicke schwarze Brille und ein Kleid im Safari-Look. In ihrer Garage tüftelt die 58-Jährige an ihren Erfindungen, anfangs produzierte sie hier sogar. "In meiner Garage steht nie ein Auto", sagt Lehner.

Die Idee hatte Lehner bei einer Schiffsreise. Sie wollte schneller Augenbrauen zupfen können, ging in einem Hafen in einen Drogeriemarkt und kaufte Kaltwachsstreifen für die Beine. Daraus schnitt sie kleine Schablonen für die Augenbrauen – der Prototyp. Im Jahr 2015 kamen die Strips auf den Markt.

Zuvor hatte Lehner, die auch Chefmaskenbildnerin beim ORF ist, die Augenbrauen von 3000 Menschen vermessen, von Frauen wie Männern. Sie fand Gemeinsamkeiten, unabhängig von Ethnie und Geschlecht. "Zwei Drittel der menschlichen Augenbraue sind ansteigend, ein Drittel abfallend. Bei allen", sagt Lehner.

Andrea Lehner, Erfinderin, Oberösterreich
Andrea Lehner in ihrer Kreativgarage im Mühlviertel.
Florian Voggeneder

Von der Garage in die große Welt

Kurzerhand kaufte sie in Ungarn eine Rollenstanze um 700 Euro, die hat sie noch heute. Mit lockerer Hand führt sie in der Garage vor, wie einst die Produktion losging. Unten stecken Messerchen in der Form der Streifen, unter einer Walze wird eine Kaltwachsplatte durchgezogen – mit einer Umdrehung werden 32 Streifen gestanzt. "Ich habe mit dieser Stanze 100.000 Euro verdient", erzählt Lehner. Heute werden die Streifen in China gefertigt.

Lehner sagt, sie wolle vor allem Frauen Mut machen, eine Erfindung auf den Markt zu bringen. "Ich bin gelernte Friseurin und halte fünf Patente", sagt sie. Die Andmetics GmbH hat sie längst verkauft, sie wollte Zeit haben für das Entwickeln von neuen Produkten. Inzwischen hat Lehner etwa den "Höschenretter" – das sei eine Slipeinlage für "Frauen mit leichter Inkontinenz" – und einen Zungenreiniger für Zahnbürstenköpfe erfunden. Nun brütet sie an einer klimafreundlichen Idee für Hotels, mehr könne sie nicht verraten. Sonst wäre das geplante Patent futsch.

Sehnsucht nach Verbesserungen

Die Einfälle kommen bei Lehner und wohl auch anderen Erfindern aus einer gewissen Unzufriedenheit des Menschen mit der Welt, die ihn umgibt. Der Erfindergedanke: Es gibt zwar schon Werkzeuge, aber es muss besser gehen. So war es auch bei Erfinder Drory, als er noch bei UPC arbeitete. Mit einer Computertastatur für zwei Hände habe er sich eingeschränkt gefühlt. "Einen Kugelschreiber führt man ja auch nicht mit zwei Händen", sagt er.

Noch wartet Drory auf den Durchbruch. Schnell habe er gelernt, dass die eigentliche Zielgruppe für seine Tastatur Menschen mit Handbehinderungen sind. Drory denkt nicht nur an Leute mit Amputationen, er denkt auch an Schlaganfälle, Gefäß- und Nervenschäden. Er wolle im Grunde kein Profiteur davon sein, sagt Drory: "Es ist mir manchmal unangenehm, etwas zu verkaufen." Eine Tipy-Tastatur bekommt man derzeit um 990 Euro netto. Tipy-Händler und Endkunden kaufen in der Regel über Krankenkassen.

Der Markt wäre riesig, zumal man die Tastatur in zwölf Sprachen verwenden kann. Drory hat sich dafür eine Maschine in China bauen lassen, mit der das fächerförmige Gehäuse gespritzt wird. Die Maschine steht mittlerweile in Bayern. Die elektronischen Teile baut eine Partnerfirma in Baden-Württemberg ein. Drory sagt, er lasse "die Komponenten von Herstellern in Deutschland, Österreich und China bauen, damit ich nicht alle Informationen über Tipy teile".

Tipy-Tastatur, Einhand-Tastatur
Tipy ist eine PC-Tastatur für eine Hand.
Tipy GmbH

Vom Einzelerfinder zu Teams

Das Österreichische Patentamt in Wien-Brigittenau ist jene Behörde, die über Patente, Gebrauchsmuster, Marken und Designs waltet. Das Amt hilft auch dabei herauszufinden, ob eine Idee patentwürdig ist und ob sie schon von anderen öffentlich gemacht worden ist.

Mariana Karepova war acht Jahre lang Chefin im Österreichischen Patentamt, kürzlich wechselte sie zum Europäischen Patentamt nach München. "Der größte Fehler wäre, von der Erfindung zu erzählen oder diese vielleicht sogar in seinem Geschäft in die Auslage zu stellen, ohne sie vorher geschützt zu haben. Dann ist die Erfindung nicht mehr neu. Wenn ich meine Idee veröffentlicht habe, kann ich sie nicht mehr patentieren", sagt sie zum STANDARD.

Generell lasse sich eine Entwicklung weg "vom Einzelerfinder und der Einzelerfinderin in der Garage" hin zu größeren Erfinderteams beobachten. "Erstens ist schon sehr viel erfunden worden. Zweitens benötigen viele Erfindungen heute Expertise in mehreren Gebieten. Auch in scheinbar simplen Dingen stecken zum Beispiel IT und Sensoren drinnen", sagt Karepova.

Reinhard Ferner, Bergaufrodel
Reinhard Ferner ist in einem Skigebiet aufgewachsen, in dem die Tagesgäste weniger wurden – und hat eine Lösung gefunden.
Privat

Neuheit für Skigebiete

Aber natürlich gibt es sie nach wie vor, jene Erfinderinnen und Erfinder, die sich allein etwas ausdenken. Reinhard Ferner aus dem Bezirk Murau ist so ein Beispiel. Der 42-Jährige kommt aus einer Skiliftfamilie, die Ferners betreiben das Skigebiet Tonnerhütte in den Seetaler Alpen. Ab 2010 waren die Skigäste weniger geworden, und so erfand Ferner die sogenannte Bergaufrodel.

Was ist eine Bergaufrodel? Ferner befestigt auf Schlitten eine Einhängevorrichtung, dank der sich die Kufenfahrzeuge mit dem Schlepplift sicher auf den Berg bringen lassen. "Das Rodeln spricht eine breitere Zielgruppe an als das Skifahren. Für das Skifahren braucht man eine Ausrüstung, und man muss erst einmal Skifahren können", erzählt Ferner am Telefon. Heute verleihen Skigebiete in Österreich, Deutschland und der Schweiz Ferners Spezialrodeln. Auch aus Norwegen und Nordmazedonien bekam er schon Aufträge.

Der Reiz des Problemlösens

Ferner hält mehrere Patente, eine Zeit lang hatte er auch eins für moderne Holzstützen für Seilbahnen – eine Idee, die er in seiner Diplomarbeit an der TU Wien entwickelt hatte. Warum Ferner ein Erfinder geworden ist? "Die Erfindung beginnt wohl damit, dass man eine Problemstellung erkennt. Ich bin in einem Skigebiet aufgewachsen, in dem die Tagesgäste weniger wurden. Deshalb habe ich mir erst Gedanken gemacht", sagt er. Das Wort Patent klinge "so hochtrabend, aber wenn man sich meine Rodel anschaut, ist das Prinzip dodeleinfach". Der Weg, Probleme zu sehen und Lösungen zu finden, sei immer der Gleiche, "das hat man halt in sich", sagt Ferner.

Auch Andrea Lehner hat sich schon gefragt, warum sie immer wieder Sachen erfindet. "Es ist wahrscheinlich ein bisschen eine Sucht. Das reizt einen irrsinnig", sagt sie.

Reinhard Ferners Bergaufrodel.
Reinhard Ferners Bergaufrodel.
Gletscha Engineering

Glückliches Tüfteln

Matthäus Drory erzählt, trotz mancher Schwierigkeiten habe er als Erfinder die beste Zeit seines Lebens. Die anfänglichen Probleme mit Lieferketten und Produktion habe er nun hinter sich, nun wolle er "gescheit verkaufen". Künftig will er 3000 Tipy-Tastaturen und mehr pro Jahr absetzen.

Am Ende des Gesprächs setzt Drory den Zauberwürfel mit den nun einfarbigen Seiten auf den Tisch. "Jetzt, endlich", sagt er. Es hat nun aber viel länger gedauert als drei Minuten. Auch weil er ja gleichzeitig ein Interview gab. Er will's jetzt noch einmal wissen und bittet, seine Zeit beim Würfellösen zu stoppen. Drory schraubt wieder am Würfel, diesmal stumm und fokussiert.

Nach 2:44 Minuten ist er fertig. Drory wirkt zufrieden. Es geht doch. Drory schaut auf den Würfel und sagt: "Wenn du einmal weißt, wie es geht, ist es einfach." (Lukas Kapeller, 12.8.2023)