Bellinzona – Die Entgleisung eines Güterzugs im Gotthard-Basistunnel am Donnerstag dürfte nach Angaben der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) durch einen defekten Wagen verursacht worden sein. Weil Sicherheitseinrichtungen stark beschädigt wurden, bleibt der Tunnel noch tagelang gesperrt. "Es ist jetzt leider ein so großer Unfall eingetreten, obwohl man davon ausgeht, dass das nur alle 100 Jahre geschieht", sagte Rudolf Büchi, stellvertretender Leiter Infrastruktur bei den SBB.

Der Zug transportierte in mehreren Wagons Gefahrengut. Laut Polizeiangaben stellen diese jedoch keine Gefahr dar. Mittlerweile sind die Gefahrgut-Wagons aus dem Tunnel entfernt worden. Außerdem waren Nahrungsmittel an Bord. Bilder der Unfallstelle zeigen Weinflaschen, Getränke- und Lebensmitteldosen. Da der Tunnel unter einer 2.400 Meter starken Gesteinsdecke liegt, herrschen dort Temperaturen um die 40 Grad.

Der Unfall in dem erst 2016 eröffneten, 57 Kilometer langen Tunnel zwischen Bodio im Tessin und Erstfeld im Kanton Uri ereignete sich bei der Multifunktionsstelle Faido. Es handelt sich dabei um eine Nothaltestelle. Es gibt dort auch Weichen und Durchgänge, dank denen die Züge von der einen Röhre in die andere wechseln können.

Spurwechseltor beschädigt

Die SBB gehen auf Grund des Schadenbilds davon aus, dass ein defekter Wagen die Weiche beschädigte. Die nachfolgenden Wagen seien dann bei Tempo 100 abgedriftet und hätten das Spurwechseltor stark beschädigt. Bei der Entgleisung seien gewaltige Kräfte freigesetzt worden, sagte Büchi bei einer Pressekonferenz am Freitag in der Hauptstadt des Tessin, Bellinzona.

Das Spurwechseltor trennt die beiden Tunnelröhren und ist, wenn kein Zug die Röhre wechseln muss, geschlossen. Bis ein neues angefertigt ist, wird es laut Büchi Wochen dauern. Der Durchgang zwischen den beiden Röhren soll deswegen provisorisch abgedichtet werden. Bis es so weit ist, bleibt auch die zweite, intakte Tunnelröhre für die Personenzüge geschlossen. Büchi begründete dies damit, dass die schnell fahrenden Züge einen starken Wind verursachen und die Aufräumarbeiten an der Unfallstelle gefährden könnten.

23 Wagons entgleist

Laut SBB war der Güterzug von Italien nach Deutschland unterwegs. Die Züge werden wenige Kilometer vor der Einfahrt in den Basistunnel bei Claro automatisch kontrolliert. Dort seien weder bei der Ladung noch bei den Rädern Probleme festgestellt worden, erklärte Büchi. Von den 30 Wagons des Zuges entgleisten 23. Weil die Unfallstelle von den Untersuchungsbehörden noch nicht freigegeben wurde, konnte die SBB sie noch nicht unter die Lupe nehmen. Sobald sie freigegeben sei, würden die Fahrzeuge entfernt, sagte Büchi. Dann könne man sich ein genaueres Bild der Schäden machen und die Instandsetzung planen.

Der Tunnel bleibt deswegen noch zumindest bis Mittwoch ganz gesperrt. Die Züge werden über die Gotthardbergstrecke umgeleitet, die Reise wird um mindestens eine Stunde verlängert. Der Unfall habe sich zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt ereignet, sagte Büchi. Mit dem Ende der Ferien herrsche reger Ferienverkehr. Zudem finde am Wochenende in Zürich die Street Parade statt. Er riet deswegen von Spontanreisen ins Tessin ab.

Die Einfahrt zum Gotthard-Basistunnel
Die Einfahrt zum Gotthard-Basistunnel
FABRICE COFFRINI / AFP / picture

Für Güterzüge bleibt der Tunnel mindestens bis Montag nicht befahrbar. Der Gütertransport in der Schweiz sei gewährleistet, hieß es vonseiten der SBB. Die Güterzüge würden über die Bergstrecke oder den Lötschberg umgeleitet. Allerdings sei am Lötschberg nur ein zusätzlicher Zug pro Stunde möglich. Der Brenner entfällt wegen Bauarbeiten als Ausweichroute. In die Hände der SBB spielen könnte die Hauptferienzeit in Italien. Wegen der Ferragosto-Feiertage sei im Güterverkehr eine ruhige Woche zu erwarten, sagte Büchi. (red, APA, sda, 11.8.2023)