Soldat
Ein ukrainischer Soldat in der Nähe der Frontlinie bei dem kurz davor befreiten Dorf Neskuchne in der Region Donezk.
REUTERS/Oleksandr Ratushniak

Triggerwarnung: In In diesem Arikel wird exzessive Gewalt teils explizit erwähnt und beschrieben. Wenn Sie das nicht lesen und sehen möchten, sollten Sie nicht weiterlesen.

Oleksandr ist Kriegsfotograf. Für die Nachrichtenagentur Reuters und andere Auftraggeber geht er dorthin, wo es richtig gefährlich ist. Aktuell marschiert er mit den ukrainischen Truppen bei der Gegenoffensive im Süden und Osten der Ukraine mit. Er kann allerdings nicht alles fotografieren. "Die Soldaten vertrauen mit schließlich ihr Leben an." Ein falsches Foto, das die Stellung verrät, und Stunden später kann alles vorbei sein.

Auf einer langen Autofahrt hielt mir Oleksandr mehrmals sein Handy unter die Nase, um mir schwer verdauliche Bilder zu zeigen. Bilder von Hunden, die an den Gesichtern getöteter Soldaten knabbern, von jungen Menschen unter Trümmern. Fotografen und Journalisten stehen permanent vor der Aufgabe zu entscheiden, was hergezeigt werden kann, soll, darf und muss.

Soldat
Der 66-jährige ukrainische Soldat Ihor repariert ein erbeutetes russisches BMP-2-Schützenpanzerfahrzeug in der Region Donezk.
REUTERS/Oleksandr Ratushniak

Astrig Agopian dachte nie, dass sie Kriegsfotografin wird. Doch ihre Mutter ist Armenierin, und als dort 2020 der Krieg um die Region Bergkarabach erneut ausbrach wollte sie der Welt zeigen, was in der Heimat ihrer Mutter passiert. Danach wollte sie im postsowjetischen Raum weiterarbeiten. Sie rechnete nicht mit einer Invasion der Ukraine durch Russland und kehrte nach Jobs im Donbass dann doch zurück, als der Krieg im Februar 2022 eskalierte. Seither ist sie Kriegsfotografin. "Ich konzentriere mich aber schon seit jeher mehr auf die menschlichen Schicksale und die langfristigen Auswirkungen eines Konflikts auf Zivilistinnen und Zivilisten", beschreibt Agopian im STANDARD-Gespräch ihren Fokus. Da und dort sei dann aber auch mal Frontlinienarbeit dabei.

Emiliano Urbano ist die Frontlinie gewöhnt, hat in Syrien und im Irak auch schon Kriege fotografiert. Die Ukraine aber sei anders. "Man merkt, dass der Staat noch funktioniert und stark ist", sagt er zum STANDARD. Was einerseits vor der Gefahr von Entführungen durch Terroristen schütze, verkompliziert da und dort aber auch die Arbeit. Weil der ukrainische Staat Fotografinnen und Fotografen, speziell internationale, besonders schützen möchte und andererseits im Rahmen des Informationskrieges gegen Russland nicht zu viel preisgeben möchte. Aber das mache den Job nur interessanter, so der erfahrene Fotograf, der stets einen Workaround parat zu haben scheint.

Zerstörte russische Panzer in den Straßen von Swiatohirsk.
Astrig Agopian

Bindung aufbauen

Agopian und Urbano eint, dass beide nicht aus der Ukraine sondern aus Frankreich stammen, was die Arbeit vor Ort aufgrund der Sprachbarriere und kultureller Unterschiede oft erschwert. Es erlaube aber auch einen neuen, frischen Blickwinkel auf viele Dinge, sagt Urbano. Der Krieg sei heutzutage so überschwemmt von Bildern, zahlreiche Soldaten würden an der Front selbst per Tiktok und Instagram Bilder verbreiten. Die Ukrainer seien definitiv nicht angewiesen auf die Hilfe von außen. Und doch könne es manchmal helfen, wenn jemand durch seine Herkunft nicht ganz so parteiisch ist, wie es Ukrainer zwangsläufig sind. Mit Objektivität sei das aber nicht zu verwechseln. "Wer glaubt, dass man im Krieg objektiv sein kann, lügt", sagt der Franzose. "Ich will nicht objektiv sein". Sie alle seien nur Menschen, die mit Menschen arbeiten. Er fühle sich "tief europäisch".

Auch Olga Ivashchenko, gebürtige Ukrainerin aus Charkiw, betont die menschliche Komponente ihres Jobs. Sie will mit ihrer Arbeit ihren Beitrag dazu leisten, dass die Welt von den Schrecken in der Ukraine erfährt. Sie selbst motiviere es, die gefährliche Frontlinienarbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen zu sehen. Eine Herausforderung würden immer noch die riesigen Distanzen im Land darstellen. Für manche Fotoaufträge müsse je ein ganzer Tag An- und Abreise eingerechnet werden. In der vielfach prekären Arbeitssituation, in der sich freie Fotografen oftmals befinden, werde das nicht immer honoriert. Noch dazu gelte es sogenannte Fixer zu zahlen, den Transport zu organisieren. Und ist man einmal dort, hat man oft nur wenige Minuten Zeit, dass einem die Menschen, die man vor die Linse bekommen möchte, vertrauen. Gerade bei intimen Porträts sei das schwierig.

Verletzte ukrainische Frau und verletzter ukrainischer Mann
Durch einen russischen Militärschlag verletzte Anrainer in einem Krankenwagen in der Stadt Pokrowsk in der Region Donezk.
REUTERS/Oleksandr Ratushniak

Geruch des Todes

Aber nicht einmal im Krieg sei das Leben nur schwarz oder weiß, sagt Agopian. "Alles ist grau". Es gäbe Momente des Glücks, der Ausgelassenheit, wie in der Silvesternacht 2022, als sie eine ausgelassene Party junger Menschen fotografierte. Doch noch in derselben Nacht sollte die Realität das tanzende Volk dank Luftalarm und Flucht in den Bunker wieder einmal einholen.

Agopian erzählt vom Spagat, den sie und ihre Kollegen machen müssten. Dass einerseits berichtet werden muss, welch Brutalität in der Ukraine tagtäglich geschieht und dass man andererseits Menschen meist dann fotografiert, "wenn sie sich am absoluten Tiefpunkt ihres Lebens befinden". Auch Ivashchenko hadert stets damit.

Mädchen in ukrainischer U-Bahn Station
Ein kleines Mädchen malt in der U-Bahn-Station Maidan Konstytutsii.
Astrig Agopian

So wirkgewaltig sie auch sind, nicht immer können Bilder alles zeigen, was Fotografinnen erleben. Der Geruch des Todes aus Isjum etwa, werde Agopian ihr Leben lang verfolgen – ein Gefühl, das kein Bild jemals transportieren könne. Gefühle, die sich auch nur mit begleitender psychologischer Betreuung langfristig verarbeiten lassen. Urbano glaubt, für einen Fotografen untypisch, dass man mit Worten oft mehr als mit Bildern erzählen kann – am Ende ergänzt sich aber wohl beides.

Angesprochen auf die Bilder, die ihr am meisten in Erinnerung blieben, nennt Agopian zwei. Eines sei das Bild eines Mannes, der seinen siebenmonatigen Sohn in einer Charkiwer Ubahn auf Schultern trägt. Trotz des Beschusses der Stadt, habe der kleine Bub so unendlich viel Freude in eine so triste Situation gebracht. Das zweite sei ein Bild des Pensionisten Leonid, dem nach Monaten der Belagerung in Lyman die schiere Erschöpfung ins Gesicht geschrieben stand.

Für Ivashchenko war es ein Bild erstaunlich gut gelaunter ukrainischer Soldaten bei ihrem ersten Fronteinsatz im Winter 2022. Urbano hingegen hat kein Foto, an das er sich speziell erinnert. Er erzählt aber von Geschichten, die einen besonderen Impact hatten. Weil durch eine Reportage eine diabeteskranke Person in Deutschland aufgenommen wurde, oder Geld für Sanitäreinrichtungen gespendet wurden. Situationen wie diese würden einem zeigen, warum man sich das antut.

Ukrainische Flagge auf Ruine
Eine ukrainische Flagge in der Nähe des kurz zuvor befreiten Dorfes Neskuchne in der Region Donezk.
REUTERS/Oleksandr Ratushniak

Ästhetische Leichen

Als junge Frau ist Agopian immer wieder Sexismus, wegen ihrer Herkunft auch Rassismus ausgesetzt. Oft traue man ihr nicht zu bestimmte Aufträge zu erledigen, was natürlich Blödsinn ist. Es schmerze umso mehr, wenn man bedenkt, dass sie in verschiedensten Situationen ihr Leben für die Sache riskiere.

Alle Fotograffinnen und Fotografen mit denen der STANDARD sprach halten ihre Linse auch auf noch so brutale Szenen drauf. Es sei besser das Bild zu haben und nachher zu entscheiden, ob man es veröffentlichen möchte oder nicht, sagt Agopian. Klar aber müsse sein: "Man kann nichts beschönigen. Wenn man den Menschen nicht auch die Hardcore-Bilder" zeige, würden sie nicht kapieren, wie schlimm es ist. Auch Urbano und Ivashchenko sind in dieser Sache Puristen, wollen zeigen, was man zeigen muss - auch wenn in der Szene nicht per se Einigkeit über das Thema herrscht. Urbano ist aber vor allem eine Sache wichtig: Nur weil es grausam ist, muss es nicht schlecht fotografiert, unästhetisch sein. Sein Job sei es auch in diesen schwierigen Momenten, wenn es Leichen zu fotografieren gilt, ein würdiges, ein ansprechendes Bild zu schießen. (Fabian Sommavilla, 1.9. 2023)