Die Affäre rund um die mutmaßlichen Siemens-Bestechungen in Vorarlberg zieht wesentlich weitere Kreise als bisher bekannt. Auslöser der zunächst internen Ermittlungen des Konzerns war gemäß den Unterlagen, die dem STANDARD vorliegen, ein Whistleblower, der etliche Verdachtsmomente rund um mutmaßliche Korruptionsfälle offengelegt hat.

Bekannt wurde die Causa vor rund zwei Wochen, als die Staatsanwaltschaft (StA) Feldkirch zu Hausdurchsuchungen ausrückte, etwa bei der landeseigenen Krankenhaus-Betreibergesellschaft (KHBG). Mitarbeiter beziehungsweise ehemalige Mitarbeiter von deren Bauabteilung sollen bei Geschäften der KHGB mit Siemens ihre eigenen Unternehmen ins Spiel gebracht haben, es geht unter anderem um fingierte Rechnungen. Mittlerweile gibt es sieben Beschuldigte, vier davon sind nach wie vor in Untersuchungshaft. Für sie alle gilt die Unschuldsvermutung.

Seebühne
Die berühmte Seebühne am Bodensee, die zum Bregenzer Festspielhaus gehört.
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Zudem haben zwei Personen Selbstanzeige erstattet, und dem Vernehmen nach soll Siemens einige Mitarbeiter entlassen haben. Offizielle Bestätigung dafür gibt es aber nicht. Siemens-Sprecher betonen, dass das Unternehmen mit den Behörden kooperiere; der interne Compliance-Bericht dürfte die Ermittlungen ins Rollen gebracht haben. Siemens habe der Staatsanwaltschaft Umstände offengelegt, die "Ermittlungsmaßnahmen stehen im Zusammenhang mit dieser Offenlegung", sagte ein siemens-Sprecher nach den Hausdurchsuchungen bei der KHBG.

"Überhöhte Kalkulationen"

Die Vorwürfe rund um die KHBG und deren Krankenhaus-Bauprojekte könnten aber nur die Spitze des Eisbergs sein. In einer Sachverhaltsdarstellung, die von den Anwälten von Siemens verfasst wurde, werden auch Verdachtsmomente in Bezug auf andere Bauprojekte geäußert. Da geht es einerseits um Projekte mit der Alpenländischen Gemeinnützigen Wohnbau GmbH (Alpenländische), andererseits mit dem Festspielhaus Bregenz.

Geht es nach der Anzeige, dann dürfte der frühere Bregenzer Wohnbaustadtrat Wilhelm Muzyczyn eine wichtige Rolle gespielt haben. Der damalige SPÖ-Politiker war von 1981 bis 2019 Geschäftsführer der Alpenländischen, seit 1996 ist er zudem Vizepräsident der Bregenzer Festspiele. Die Staatsanwaltschaft Feldkirch äußerte sich zu etwaigen Ermittlungen nicht, gab aber an, dass Muzyczyn kein Beschuldiger sei.

Wie bei der KHBG soll es auch bei Projekten der Alpenländischen überhöhte Kalkulationen gegeben haben, über die finanzielle Mittel für diverse Zuwendungen generiert worden seien – "ausgeschüttet wurden" diese Mittel über fingierte Rechnungen. Ein "besonderer Nutznießer dieser Praxis" sei Muzyczyn gewesen, heißt es in dem Schriftsatz der Siemens-Anwälte. Entsprechende Vorwürfe des Whistleblowers wollen die internen Prüfer bei Siemens durch "auffällige E-Mail-Korrespondenz" erhärtet sehen – bei den Zuwendungen könnte es auch um ein iPhone gegangen sein. Dessen Bestellung soll der Alpenländischen mit einer fingierten Rechnung für eine "Schaltschrankanpassung" untergejubelt worden sein. Die genannte Anpassung habe allerdings nicht stattgefunden.

Auf Anfrage des STANDARD heißt es von der Alpenländischen, die vorgestellten Vorwürfe "überraschen uns und waren uns nicht bekannt", man habe noch keine Informationen der Behörden dazu erhalten.

Hinweise rund um Bregenzer Festspielhaus

Laut der Siemens-Anzeige soll es auch Ungereimtheiten geben, die mit Muzyczyns Funktionen außerhalb der Alpenländischen in Zusammenhang stehen. Der frühere Baumanager ist eng mit der wohl wichtigsten Kulturinstitution im Ländle verbunden, den Bregenzer Festspielen. Muzyczyn ist als deren Vizepräsident auch stellvertretender Vorsitzender der Bregenzer Festspiele Privatstiftung, zudem ist er mittlerweile erneut Aufsichtsratsvorsitzender der Kongresskultur Bregenz GmbH.

Dank dieser Funktionen wurde er auch Leiter zweier Projektkommissionen rund um die Modernisierung des Bregenzer Festspielhauses. Zunächst im Jahr 2003, als die Kulturstätte generalsaniert wurde, und nun wieder seit 2021: Bis 2024 sollen in einer dritten Bauphase unter anderem Gebäudetechnik und Seebühne modernisiert werden. Allein dafür stellen Bund, Land und Stadt Bregenz insgesamt sechzig Millionen Euro bereit.

Auch hier soll es abseits der offiziellen Kanäle private E-Mail-Korrespondenzen zwischen einem verdächtigen Siemens-Manager und Muzyczyn gegeben haben. Die Kongresskultur GmbH, die das Festspielhaus managt, gab auf Anfrage an, dass ihr die Vorwürfe "nicht bekannt" seien, man sie nun aber untersuchen werde. Die Staatsanwaltschaft habe keine Maßnahmen im Zusammenhang mit der Kongresskultur GmbH getroffen.

Muzyczyn sagte auf Anfrage, er sehe "keine Veranlassung", sich zu Angaben, die er nicht kenne, zu äußern. Der STANDARD betont, dass Muzyczyn derzeit nicht als Beschuldigter gilt. Nach Erscheinen dieses Artikels äußerte er sich dann doch, und zwar in den Vorarlberger Nachrichten. Muzyczyn bestätigte, ein iPhone von Siemens erhalten zu haben; "ob dafür eine Rechnung fingiert wurde, kann ich nicht sagen". Dass er bei Rechnungen oder Angeboten rund um das Festspielhaus manipuliert habe, sei "ein Blödsinn", er sei "bei der Vergabe gar nicht dabei". Er habe aber immer versucht, Stimmung dafür zu machen, dass Bregenzer oder Vorarlberger Unternehmen zum Einsatz kommen. Von der Staatsanwaltschaft Feldkirch sei er nicht kontaktiert worden, er stehe Justiz und Polizei aber zur Verfügung, wenn diese Fragen haben. (Renate Graber, Fabian Schmid, 15.8.2023)