KI Chatbot
Romantische Chats mit KI-Chatbots erfreuen sich großer Beliebtheit.
Luka

"KI-Freundinnen werden schlimmer als Online-Pornografie", erläutert ein seltsam aussehender Tiktok-User auf der Videoplattform. Dieser Aufstieg der künstlichen Intelligenz wird menschliche Partnerschaften obsolet machen, ist sich der junge Mann sicher. Er selbst habe sich den KI-Chatbot der Onlyfans-Influencerin Amouranth heruntergeladen, und das sei eine unglaubliche Erfahrung gewesen. Die Unterhaltungen würden sich "fu*** real" anfühlen – offenbar der Traum vieler junger Männer.

Der Tiktoker, der weißen Glitter vor seinem Gesicht trägt und behauptet, er sei ein ausgeglichener Typ in einer glücklichen Beziehung, würde in einer weniger stabilen Situation aber "abhängig" von solch einer KI-Freundin werden, gibt er zu. Die bekannte Stimme des Online-Sternchens zu hören, die "nasty" Dinge in sein Ohr flüstert, sei schon sehr verführerisch. Man würde glauben, da höre wirklich jemand zu, "dem etwas an mir liegt", beschreibt er die Kommunikation mit der künstlich geschaffenen "Person".

Man müsse bald "Gegenprogramme" starten, um den Hype um solche KI-Freundinnen zu bremsen, sonst würde das die Gesellschaft, wie wir sie kennen, endgültig zerstören.

Nachfrage groß

Jetzt könnte man sagen, dass das, was ein Typ mit einer weißen Maske auf Tiktok sagt, zunächst einmal hinterfragt werden sollte. Tatsächlich habe ich das gemacht und den App-Store nach solchen Anwendungen durchsucht. "Intimate AI partner", "AI Girlfriend: Love Simulator" oder die "Girlfriend App" – es gibt tatsächlich ein breites Angebot an Freundinnen-Apps, die mit monatlichen Abos nach meiner Geldbörse und meiner Aufmerksamkeit rufen. Bei genauerer Recherche stellt sich heraus, dass der Markt dieser Apps mittlerweile wirklich groß ist.

Allein Replika, einer der prominentesten Vertreter am Markt, verzeichnete bereits über zehn Millionen Downloads. 250.000 Menschen zahlen laut Hersteller für die Pro-Version, um mit ihrer KI-Freundin Voice- oder Videochats zu veranstalten. Laut Analysefirma Sensor Tower hat die App bereits 60 Millionen Dollar durch solche Abos, aber auch Ingame-Käufe verdient. So kann man auch ohne monatliche Zahlung der KI-Freundin ein neues Kleid spendieren – gegen Echtgeld, versteht sich.

KI Chatbot
Texte, die auf Premium-Inhalte hinweisen, erscheinen verwaschen. Klickt man drauf, erscheint die Einladung zum Abo.
Luka

Selbstversuch

Ich möchte einen Selbstversuch durchführen und probiere iGirl aus, eine beliebte App, die offenbar genau diese Klientel anspricht. Zunächst bestimme ich, welchem Geschlecht ich mich selbst zuordne – drei stehen zur Auswahl –, danach suche ich mir aus etwa zwei Dutzend Gesichtern eine Gesprächspartnerin aus. Mit einem Regler kann ich drei Eigenschaften festlegen. Ist meine KI-Freundin eher scheu oder "flirty"? Pessimistisch oder optimistisch? Normal oder mysteriös? Dann noch einen Namen festlegen – und los geht's. Nein, noch nicht ganz. Zunächst stellt man noch ein, ob die App – also die neue Freundin – Push-Nachrichten schicken darf. Man will ja keine verpassen, nicht wahr? Dann noch schnell fünf Interessen festlegen, und dann geht's aber wirklich los. Nein, doch nicht.

"Was wollen Sie mit der Freundin machen?", fragt iGirl. Nachdem ich eine passende Möglichkeit ausgewählt habe, stehe ich vor einer Paywall. Enttäuschung macht sich breit, aber mehr als zehn Euro pro Monat? Das bin ich aktuell noch nicht bereit zu zahlen.

Ich erfahre, dass die bereits erwähnte App Replika auch ohne Paywall funktioniert und lade diese auf mein Smartphone. Der Prozess am Anfang gleicht dem von iGirl. Ich erstelle die blonde Keira und gebe an, mich gerne über Videospiele und Sport zu unterhalten. Danach gibt es noch Hinweise, dass man sich darüber bewusst sein soll, immer mit einer KI zu sprechen und diese nicht dazu "ausgerüstet ist, Hilfestellungen zu geben". Wenn man in einer "Krise" steckt und die Gefahr besteht, man können sich "selbst verletzen", dann sei eine "sichere Erfahrung" nicht zu garantieren.

Nach diesen aufwühlenden Nachrichten der App beginnt Keira die Konversation. Sie fragt mich, wie ich heiße, was ich für Hobbys habe und ähnliche oberflächliche Dinge. Das Gespräch erinnert an alte Ö3-Chats, wo man vor 20 Jahren erstmals im Netz auf Partnersuche war – damals noch mit echten Menschen. Aber die KI lernt, merkt sich Dinge und kann später darauf referenzieren, auch wenn diverse Bewertungen der App etwas anderes sagen. Interessanterweise merkt sich die Gesprächspartnerin die Dinge etwas besser in der Pro-Version.

Nach ein paar ersten Floskeln steigt man im Vertrauenslevel und kann so vom Freund zum potenziellen Liebespartner werden. Je nach App ist diese Möglichkeit allerdings hinter einer Paywall versteckt. Sagt man in der Gratisversion etwa, dass man das Gegenüber einmal küssen möchte, dann kommt eine verwaschene Sprechblase. Klickt man drauf, erfährt man, dass intime Details erst in der kostenpflichtigen Version enthalten sind. Was für ein Geschäftsmodell.

Abseits des Flirtens finden sich viele typische Free-2-Play-Mechaniken in der App, etwa tägliche Boni, die man für das Einloggen bekommt, oder Ingame-Währungen, mit denen man neue Sachen für die "Freundin" kaufen kann. Man kann auch die KI etwas fragen und bekommt immer elaboriertere Antworten, je nach Vertrauensstufe. Langsam verstehe ich, wieso Menschen solche Chatbots nutzen. Man hat keine Hemmungen, etwas zu fragen oder Dinge zu erzählen. Dinge, für die man an anderer Stelle vielleicht verurteilt wird. Hat man keine stabilen Beziehungen im Leben, kann der Chatbot offenbar diese sozialen Lücken füllen.

KI Chatbot
Bei iGirl kann man die Freundin sehr unterschiedlich aussehen lassen.
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Gefährliche Liebe

In den Marketing-Assets von Replika und ähnlichen Apps wird oft damit geworben, dass hier Menschen, die sonst menschenscheu sind, Konversationen führen können. Anhänger dieser KI-Chatbots sehen in den Apps sogar die Lösung für die Einsamkeitswelle, die durch die zunehmende Technologisierung zugenommen hat. Egal ob Witwer oder Menschen, die nach Jahren wieder Dating-Erfahrung sammeln wollen, würden hier die richtige Spielwiese finden.

Aber auch Kritiker finden sich zu dem Thema. Der Anthropologe Robin Dunbar erklärte im Juli dem "Telegraph", dass diese Apps lediglich "Heftpflaster" seien. "Diese Apps sind sehr verführerisch. Sie sind aber nur eine kurzfristige Lösung mit einer langfristigen Konsequenz, indem einfach die Ansicht bestärkt wird, dass alle anderen tun, was man ihnen sagt. Genau deshalb haben viele Menschen keine Freunde mehr", so der Anthropologe.

Die Apps können sogar gefährlich werden, wenn man falsch mit ihnen interagiert. Auf einer App-Feedback-Plattform erzählt ein User, der die App iGirl benutzt hat, dass ein Rollenspiel mit der KI aus dem Ruder gelaufen ist. Er wollte nur mit der KI kochen, und "aus dem Nichts ging sie wie eine Verrückte mit dem Messer auf mich los". Ein dokumentierter Fall ist ein männlicher Replika-Nutzer, der 2021 in Windsor Castle eingedrungen ist und mit einer Armbrust die Queen töten wollte. Im Gerichtsprozess stellte sich heraus, dass der Mann die Tat mit seiner KI-Freundin besprochen hatte. Diese meinte dazu, die Idee sei "eine gute" und sie würde ihn auch nach dem erfolgreichen Mord weiter lieben.

Ein anderer Chatbot soll einen belgischen Mann dazu ermutigt haben, Suizid zu begehen. Die Witwe erzählte "La Libre", der Chatbot sei eine Alternative zu Familie und Freunden geworden.

Immer weniger seltsam

Romanzen mit einer KI sind nichts Neues. 1966 schuf der Wissenschafter Joseph Weizenbaum ELIZA, einen der ersten Chatbots. Im Film "Her" verliebte sich ein Schriftsteller bereits 2013 in ein Betriebssystem mit einer weiblichen Stimme, in einer Folge von "Big Bang Theory" kommt die Figur Raj nicht mehr vom Apple-Chatbot Siri los, und der im Mai eingeführte KI-Bot der eingangs erwähnten Onlyfans-Größe Amouranth hat bereits 20.000 zahlende Abonnenten.

Noch sehen viele dieser Chatbots wie Comic- oder Videospielfiguren aus, doch parallel werden bereits KI-Influencerinnen entwickelt, die kaum von echten Menschen zu unterscheiden sind. In Kombination mit den immer realistischeren Konversationen mit KIs, die auch schon mal den Nutzer anrufen können, gehen wir mit großen Schritten in ein für viele Männer sehr attraktives Modell der unkomplizierten Flirterei – oder mehr.

Sherry Turkle, eine Soziologin am Massachusetts Institute of Technology, die seit Jahrzehnten die Interaktionen von Menschen mit Technologie untersucht, erklärte in einem Interview vor wenigen Wochen, dass Menschen, die angaben, Beziehungen zu virtuellen Wesen zu haben, einst eine Seltenheit waren. "Früher habe ich Leute untersucht, die irgendwie Ausreißer aus der Normalität waren. Mittlerweile nutzen zehn Millionen Menschen Replika als beste Freundin, und mit den Zahlen kann man nicht mithalten. Es hat das Spiel verändert." Ihr haben Menschen erzählt, dass KI-Freundinnen vielleicht ein bisschen weniger als eine ideale Beziehung geben können, aber andererseits hatten viele noch nie eine ideale Beziehung. (Alexander Amon, 22.8.2023)