"Ich mag das Leben hier", sagt Österreichs Ex-Außenministerin Karin Kneissl. "Ich verstehe diese Welt, ich habe sie verstanden, seit ich ein Mädchen war. Großmütter, Äpfel, Sommer, Schwimmen im Fluss. Es ist ein gutes Leben. Ich brauche weder die Malediven noch die Seychellen." Ihr Idyll heißt Petruschowo in der Region Rjasan, rund 200 Kilometer südöstlich von Moskau. Dauerhaft will sie dort nicht bleiben – den Sommer über aber schon. Wenn nur die Journalistenanfragen nicht wären: "Ich habe dort gerade ein kleines Haus gemietet, ein Dorfhaus. Jetzt weiß die ganze Welt, wo mein Haus ist."

Karin Kneissl
Österreichs ehemalige Außenministerin Karin Kneissl (damals auf FPÖ-Ticket) bei der Moskauer Internationalen Sicherheitskonferenz.
IMAGO/Alexey Maishev

Ganz unbekannt ist Karin Kneissl in Russland nicht. Seit ihrem Hochzeitstänzchen im August 2018 mit Kremlchef Wladimir Putin ist sie immer wieder in den Medien. Damals schrieb die russische Klatschpresse, Putin hätte nur wenig Zeit gehabt, "aber sobald er vor Ort war, überreichte er der Braut sofort einen Blumenstrauß und lud sie zum Tanzen ein". Geschenke gab's auch, außerdem trat ein Kosakenchor auf.

Dass sie immer wieder darauf angesprochen wird, das nervt Karin Kneissl. Lieber gibt sie der Zeitung "Wedomosti" ein Interview zu ihrer persönlichen Sicht auf den Konflikt zwischen Russland und dem Westen: "Diese Konfrontation geht weit über den 'Konflikt zwischen Demokratien und Autokratien', wie er im Westen dargestellt wird, hinaus. Dies ist ein sehr archaischer Ansatz, der im Laufe der Menschheitsgeschichte oft wiederholt wurde: Der Osten ist 'Dunkelheit', Gefahr, der Westen ist 'Licht'. So wurde der Krieg des persischen Königs Xerxes mit den alten Griechen betrachtet."

"Russland: Teil Europas mit eigener Geschichte"

Aber: "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Russland ein Teil Europas mit seiner eigenen Geschichte, Literatur, Kunst und auch Gesellschaft ist. Ich glaube, dass die russische Gesellschaft größtenteils europäisch ist."

Für Karin Kneissl könnte der Krieg in der Ukraine relativ einfach beendet werden. Weder die Ukrainer selbst noch die EU sollten am Verhandlungstisch sitzen. "Es werden die USA und Russland sein, die darüber diskutieren werden, welche Art von Pakt geschlossen werden soll, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen." Solche Argumente hört man sicherlich gerne im Moskauer Kreml.

In Petruschowo schreibt Karin Kneissl gerade an einem Buch zur aktuellen Lage in Europa, das noch in diesem Jahr erscheinen soll. Sie lerne auch Russisch, sagt sie. Und nein, sie wolle keine russische Staatsbürgerschaft. Das sei "Unsinn", sagte sie der Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Sie habe nur eine Staatsbürgerschaft und beantrage keine andere. Obwohl, verfolgt fühle sie sich in Österreich irgendwie schon, deshalb habe sie auch im Libanon gelebt. Kneissl behauptet laut dem Onlinemedium "vesti.ru", österreichische Diplomaten wollten ihr aufgrund ihrer Reden in Russland die Staatsbürgerschaft entziehen.

Russischkurs in Dorfidylle

Jetzt aber erstmal Dorfidylle. Karin Kneissl lernt Russisch, "mit zwei Koffern" sei sie nach Russland gekommen, erzählt sie einem russischen Fernsehsender. "Es war nicht einfach, hierher zu kommen, aber ich versuche, meinen Weg zu finden."

Und ihre Zukunft? Sie sei eingeladen worden, an der Staatlichen Universität in Sankt Petersburg zu unterrichten. Und wird einen neuen Thinktank leiten, Gorki, übersetzt "Geopolitisches Observatorium für Russlands Schlüsselthemen". Diesen präsentierte sie auch im Juni auf dem Petersburger Wirtschaftsforum. Es gehe darum, "objektive Analysen vorzubereiten, um Lösungen für die Herausforderungen der globalen Entwicklung und die Aufgaben der Politik der Russischen Föderation zu finden". (Jo Angerer aus Moskau, 17.8.2023)