Szene aus dem Viertelfinale der Frauen-Fußball-WM zwischen England und Kolumbien.
Während in Australien und Neuseeland die Frauennationalmannschaften um die Fußballweltmeisterschaft spielen, wird im Grauen Haus über einen Nachwuchstrainer verhandelt, der Schützlinge sexuell belästigt haben soll.
AFP / IZHAR KHAN

Wien – In einem Strafverfahren dürfen, ja müssen sich Verteidigerinnen und Verteidiger rhetorisch recht weit aus dem Fenster lehnen, um die bestmögliche Entscheidung für ihre Mandanten zu erreichen. Walter Pirker, der Rechtsvertreter von Herrn M., dem die Staatsanwaltschaft sexuelle Belästigung und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses zur Last legt, überrascht in seinem Schlussplädoyer dennoch mit seinen Definitionen juristischer Begriffe. So erklärt er etwa, dass es keine "sexuelle Handlung" sei, wenn man einer 15-Jährigen mehrere Sekunden lang über ihrer Unterhose auf die Scheide greift.

Das haben am letzten Verhandlungstag gegen den ehemaligen Nachwuchstrainer eines Wiener Traditionsvereins nun weitere frühere Spielerinnen ausgesagt. Der unbescholtene 41-Jährige soll sie beim Eincremen der Oberschenkel immer wieder im Intimbereich berührt haben. "Es kann sein, dass das im Stress passiert ist", sagt der Angeklagte dazu, Absicht sei es aber keine gewesen. Geständig ist er einzig zu "Motivationsklapsern" auf das Gesäß seiner Spielerinnen. Dass er unaufgefordert in der Kabine erschienen sei, während sich die Mädchen duschten, bestreitet er ebenso wie den Versand eines Bildes seines erigierten Penis an zwei Schützlinge und den Oralverkehr, den eine 15-jährige Spielerin bei ihm vornehmen musste.

Zu Beginn des Verhandlungstages versucht Verteidiger Pirker, die Glaubwürdigkeit früherer Zeuginnen in Zweifel zu ziehen. So legt er dem Gericht Screenshots vor, die zeigen, dass manche der jungen Frauen noch bis Februar 2022 mit M. privat in Kontakt standen. Es habe auch keinen Unterschied gemacht, ob die Mädchen mit dem Ex-Trainer in Chat-Gruppen agierten, ist der Verteidiger überzeugt. Zum Beweis legt er die Einsatzstatistik einer Spielerin vor, die sich abgrenzte und dennoch auf 95 Prozent der möglichen Spielzeit gekommen ist.

Keine "Motivationsklapser" bei Burschen

Die aktführende Staatsanwältin Ursula Schrall-Kropiunig interessiert etwas ganz anderes: "Sie haben ja auch einmal eine Bubenmannschaft trainiert, oder?", fragt sie den Angeklagten. "Ja." – "Haben Sie denen auch zur Motivation auf den Hintern geschlagen?" – "Nein." – "Wo klopfen Sie denen hin, um sie aufzumuntern?" – "Eigentlich nirgends", muss M. zugeben. "Ich bin mit dem Popoklatschen zu weit gegangen. Das gehört sich nicht", stellt der Angeklagte noch klar.

In ihrem Schlussvortrag sieht Schrall-Kropiunig dann Lücken in der Gesetzgebung: "Ihr großes Glück ist, dass die Mädchen alle schon über 14 waren, sonst wären wir bei einem ganz anderen Strafrahmen. Wobei es nicht ganz verständlich ist, wo der Unterschied ist, ob man als Autoritätsperson mit einer 13- oder einer 15-Jährigen Sex hat, aber so ist halt das Gesetz", merkt sie an. "Ich möchte auch explizit auf den Unrechtsgehalt hinweisen, es geht um mehrere Opfer und mehrere Taten", fordert sie zumindest eine teilbedingte Haftstrafe.

Privatbeteiligtenvertreterin Eva Plaz ist überzeugt, dass der Angeklagte schuldig ist: "Wir haben einen Trainer, der mir komplett oversexed zu sein scheint." Sie ortet auch ein typisches Verhalten. "Er macht auf Kumpel, freundet sich mit den Mädchen an, dann etabliert er Sexualisierung als Normalität und senkt die Schamgrenze. Er probiert aus, wie weit er bei Einzelnen gehen kann."

Privatbeteiligtenvertreterin widerspricht Verein

Interessant erscheint, das Plaz der Außendarstellung des Fußballvereins widerspricht. Der Club hält sich zugute, noch vor einer Anzeige tätig geworden zu sein und nach Aufkommen der ersten Beschwerden den Betreuer zunächst suspendiert und schließlich den Vertrag aufgelöst zu haben. Plaz schildert das anders: Die erste junge Frau sei bereits im Februar zur sportlichen Leiterin des Damenteams gegangen, um sich gegen eine Vertragsverlängerung auszusprechen. Dabei sei auch thematisiert worden, dass M. gegenüber Minderjährigen "anlassig" sei. Zur Überraschung der Frau hatte das aber keine Konsequenzen – M.s Vertrag wurde verlängert, im Mai gingen dann mehrere Opfer zum Verein, erst dann erfolgte die Suspendierung. "Das Verhalten des Vereins haben die Frauen nicht als unterstützend erlebt", sagt die Privatbeteiligtenvertreterin.

"Die Sachen, die ich falsch gemacht habe, tun mir leid", sagt der Angeklagte in seinem Schlusswort, meint damit aber nur die kurzen Berührungen der Hinterteile. Von den diesbezüglichen Vorwürfen wird er dann allerdings freigesprochen – für den Richter ist der Tatbestand mit einem Klaps nicht erfüllt, es komme auf eine längere und intensivere Berührung an.

Für den Missbrauch des Autoritätsverhältnisses wird M. dagegen sehr wohl verurteilt – für 17 einzelne Taten mit drei Opfern erhält er 20 Monate Haft, fünf davon unbedingt. Die Mandantinnen von Plaz erhalten 5.000 beziehungsweise 2.500 Euro plus Zinsen an Schmerzengeld zugesprochen. Zusätzlich spricht Apostol auch ein Tätigkeitsverbot aus: Der Angestellte darf künftig nicht mehr mit minderjährigen Mädchen arbeiten.

Richter zweifelt nicht an Zeuginnen

"Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass die Frauen die Wahrheit gesagt haben", begründet der Richter seine Entscheidung. Die bei einem Unbescholtenen eigentlich übliche rein bedingte Verurteilung sei in diesem Fall nicht infrage gekommen: "Die Taten sind zu gravierend, und sie haben auch keine Verantwortungsübernahme demonstriert", meint Apostol. Natürlich habe ein Autoritätsverhältnis bestanden, im Falle des Oralverkehrs sieht er "den Unrechtsgehalt nicht weit von der Vergewaltigung entfernt". Während die Staatsanwältin das Urteil akzeptiert, nimmt M. sich drei Tage Bedenkzeit, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 17.8.2023)