Während der Festspielzeit ist Sepp Schellhorn bis zum Nachmittag in seinem Café in Salzburg (wie auf dem Bild), am Abend steht er in Goldegg in der Küche.
Anna Aicher

Sepp Schellhorn kratzt sich am Hinterkopf, läuft die stählerne Küchenzeile zweimal auf und ab, dann schubst er seine transparent gerahmte Hornbrille vom Kopf auf die Nase und stemmt die Hände in die Hüfte: "Hamma genug Hirn?"

Hirn mit Ei und andere Spezialitäten

Die Frage ist weder rhetorisch noch beleidigend gemeint. Hirn mit Ei ist eine von Schellhorns Spezialitäten des Abends. "Jo, jo", sagt einer seiner Mitarbeiter. Danach überprüft der prominente Gastwirt den Parmesanbestand; erklärt, dass die Burrata keinesfalls mit Essig, sondern ausschließlich mit Zitronensaft und Olivenöl mariniert werden soll, und erinnert daran, dass Tisch sechs kein Schwein isst. Seine Kochtruppe nickt. Womöglich geht es Sepp Schellhorn in der Küche seines Stammhauses, des Seehofs im Salzburger Goldegg, ähnlich wie mit der Politik: Natürlich läuft es auch ohne ihn irgendwie, aber besser ist es schon, er redet mit.

Schellhorn hat die Politik vor zwei Jahren verlassen, um sich voll und ganz um seine fünf Betriebe zu kümmern. So lautet zumindest die offizielle Erklärung. Neben dem Seehof führt Schellhorn auch ein traditionelles Gasthaus in Goldegg und in der Stadt Salzburg das zielgruppengerecht schicke Museumscafé am Mönchsberg. Zuletzt war über ihn wieder häufig auf den Innenpolitikseiten heimischer Medien zu lesen. Die Frage lautet: Kehrt der frühere Neos-Mandatar ins Politikgeschäft zurück? Und: in welcher Funktion?

Grantig am Ruder

So richtig angeheizt, betont Schellhorn, wurde die Debatte nicht von ihm. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger hatte unmissverständlich erklärt, dass er bald wieder Politik machen wolle: "Er wird für die Neos im Nationalrat kandidieren", kündigte sie vor etwas mehr als zwei Wochen im Boulevardmedium Österreich an. Und Sepp Schellhorn reagierte, wie Sepp Schellhorn reagiert, wenn ihm jemand das Ruder aus der Hand nimmt: etwas grantig. Am 30. November werde er den Seehof an seinen Sohn Felix übergeben. Bis dahin sei er beschäftigt. Dann werde man sehen. Aber was heißt das?

Ein alter Freund Schellhorns öffnet die Glasschiebetür zur Küche. Er möchte heute im Seehof zu Abend essen. "Eine Million Klicks für dein Spiegelei", ruft er Schellhorn zu und lacht schallend. "Das ist auch eine Diagnose für unsere Gesellschaft." Schellhorn grinst und nickt.

Er ist inzwischen auch so etwas wie ein Influencer. Auf Instagram hat er 153.000 Follower – mehr als dreimal so viele wie Bundeskanzler Karl Nehammer. Dabei kann Schellhorn weder Videos schneiden noch auf Instagram hochladen. Zuerst hatte das seine Tochter für ihn gemacht, die hatte darauf dann aber irgendwann keine Lust mehr, was ein mittleres Familiendrama zur Folge hatte. Inzwischen hat Schellhorn Social-Media-Profis an seiner Seite. Die fragen ihn zu Beginn jedes Clips: "Sepp, was machst du?" Dann zeigt Sepp, wie man Hirn mit Ei oder Saltimbocca zubereitet – oder eben, wie man ein Spiegelei brät. 1,3 Millionen Klicks.

Sepp Schellhorn
Damit auch alles seine Ordnung hat, sortiert der Chef die Zeitungen noch selbst.
Anna Aicher

Zukunftsängste

In seinen Videos ist Schellhorn grantig, zynisch, witzig. Und er gefällt sich in dieser Inszenierung. Sepp Schellhorn ist aber auch ein nachdenklicher Mensch. Jemand, der sich Sorgen macht. In der Corona-Zeit wurde ihm irgendwann alles zu viel. Er wurde krank. Psychisch krank. Diagnose: Depressionen.

"Die Angst um die Familie, um die Unternehmen, um die Mitarbeiter, dann noch der politische Job. Wir haben so viele E-Mails beantwortet von Menschen, die verzweifelt waren." Es sei ihm plötzlich alles ausweglos erschienen. Er verließ die Politik. Und ging zum Therapeuten. Inzwischen möchte er offen mit dem Thema umgehen. "Ein Arzt hilft", sagt er. "Auch in solchen Fällen."

Fladern und Freiheit

Groß geworden ist Schellhorn in der absoluten Idylle des Pongaus. Der Seehof ist seit 1727 ein Wirtshaus. Dort ist er mit seinem kleinen Bruder Franz Schellhorn aufgewachsen, der zuerst Wirtschaftsjournalist wurde und heute die wirtschaftsliberale "Denkfabrik" Agenda Austria leitet. Es sei eine sorglose Kindheit gewesen: Lederhose, Leiberl, spielen mit den Kindern der Gäste, Kohlrabis fladern. Mit drei Jahren konnte er schwimmen. "Das war das Wichtigste für meine Mutter", sagt er. Schließlich liegt der Betrieb an einem kleinen Moorsee. Der Rest war Freiheit.

Die Freiheit und der Widerstand gegen vermeintliche Grenzen sind bis heute Schellhorns größter Antrieb. Er wollte Matura machen, sein Vater war dagegen – seither will Schellhorn unter Beweis stellen, dass er mehr kann. Als er 1996 mit seiner Frau Susi Schellhorn den elterlichen Betrieb übernahm, krempelten sie ihn ordentlich um. "Wir wollten kein Lederhosengasthaus sein."

Heute hängen an den Wänden Kunstwerke von Maria Lassnig, Erwin Wurm und Christoph Schlingensief. Der deutsche Schauspieler Ben Becker hat sein Festspielkostüm, das er in seiner Rolle als Tod im Jedermann trug, in einer Ecke an die Wand genagelt und als Installation mit Zigarettenstummeln und einer Krawatte von Schellhorn in Szene gesetzt. Ein Künstler soll einst nach ein paar Gläsern Wein zu viel nackt durch den blauen Salon des Hauses gewandelt sein. Straßenseitig hängen Geranien vor den Fenstern, das war es dann aber auch mit Alpenkitsch.

Sepp Schellhorn
Darf's noch ein Glaserl sein?
Anna Aicher
"Eigentlich habe ich Angst vor Menschen. Ich liebe die Bühne, weil man von dort aus das Publikum nicht sieht." Sepp Schellhorn

Schellhorn, heute 56, wird selbst von Menschen, die ihn schätzen, als "trotz allem ein bisserl ein alter weißer Mann" beschrieben. Allerdings zählt er unter den alten weißen Männern Österreichs wohl zu den ausgeflippteren. Aber wie wurde er zum "Wutwirt", wie er auch in seiner Partei gerne genannt wird?

In der Küche richtet er inzwischen die "Amüs" an – Amuse-Gueules, Grüße aus der Küche. Mit einem Schöpfer wirft er Caesar-Dressing auf Salatherzen. Er ist nicht der feingeistige Spitzenkoch, der Teller zu Kunstwerken verziert. Schellhorn ist mehr ein Grobmechaniker. In der Küche wurde er radikalisiert.

Begonnen hat alles mit den kleinen "Schikanen", die er nicht hinnehmen wollte. Die bürokratischen Hürden, die Unternehmern das Leben schwermachen, treiben ihn zur Weißglut. So müsse er etwa in seiner klimatisierten Küche, in der die Fenster nicht geöffnet würden, Fliegengitter anbringen. "Da weigere ich mich." Er habe deshalb schon mehrmals Strafe gezahlt und schließlich die Griffe von den Fenstern geschraubt.

Interner Zwist

Schon in jungen Jahren wird Schellhorn auf Gemeindeebene aktiv – für die ÖVP. Von 2003 bis 2013 ist er Präsident der Österreichischen Hoteliervereinigung. Bei seiner glühenden Abschiedsrede nach zehn Jahren in der Interessenvertretung wird Neos-Gründer Matthias Strolz auf ihn aufmerksam – und Schellhorn eines der ersten Parteimitglieder.

Im Juli 2014 zieht er in den Nationalrat ein, wird Wirtschaftssprecher seiner Partei. Vier Jahre später führt Schellhorn die Neos in die Salzburger Landtagswahl und danach in die Landesregierung. Landeshauptmann Wilfried Haslauer habe es aber zur Koalitionsbedingung gemacht, dass Schellhorn persönlich keinen Posten bekomme, sagt Schellhorn. Er verzichtet auf den Landesjob. Bei der diesjährigen Salzburg-Wahl hieß es plötzlich, Schellhorn unterstütze Haslauer. "Die ÖVP wollte mich politisch vereinnahmen, um den Neos zu schaden", sagt er heute dazu.

Sepp Schellhorn
Sepp Schellhorn an der Bar.
Anna Aicher

Und jetzt unorthodox

Schellhorn vereint zahlreiche Gegensätze in sich: Er ist eine "Rampensau", wie er selbst sagt, habe aber "Angst vor Menschen". "Ich liebe die Bühne, weil man von dort aus das Publikum nicht sieht." Er ist exzentrisch, wirkt manchmal dennoch fast unsicher. Er ist ein heillos Getriebener und trotzdem entschleunigt, wenn er diskutiert. "Er ist schon ein schwieriger Charakter", sagt jemand, der ihn schon lange kennt. Vor allem aber ist Schellhorn ein hochpolitischer Mensch, der es nicht lassen kann.

Zu seiner politischen Zukunft will er nicht viel sagen und macht dabei trotzdem klar: Natürlich wolle er weiterhin daran arbeiten, dass etwas "weitergeht" im Land. Im ORF-Sommergespräch wurde Meinl-Reisinger darauf angesprochen, ob Schellhorn wohl gegen sie kandidieren könnte – um selbst Spitzenkandidat der Neos zu werden. Schellhorn beteuert, das habe er nicht vor. Ein langjähriger Wegbegleiter sagt: "Würde Meinl-Reisinger gehen, würde er den Parteichef schon machen."

Ausgefeilter Plan

Wahrscheinlich ist es mit Schellhorn wie mit mehreren österreichischen Ex-Politikern: Sie halten den aktuellen Zustand der Politik kaum aus, möchten etwas tun. Bloß: wie? Schellhorn selbst sagt: "Würde ich noch einmal in die Politik gehen, wäre ich unorthodox. Man muss da mit progressiven, ausgefeilten Ideen hineingehen und erklären, wie Österreich in zehn Jahren ausschauen soll."

Ende November übergibt er den Seehof, auch wenn sich manche in seiner Familie nicht sicher sind, wie gut er loslassen kann. Er hat dann jedenfalls wieder mehr Zeit. (Katharina Mittelstaedt, 20.8.2023)