Frauen WM Finale
Knapp einen halben Meter hoch ist der Women’s World Cup. Die vergoldete Bronze ist 4,6 Kilogramm schwer und rund 30.000 Dollar wert.
EPA/LUKAS COCH

Von einem Fieber zu reden wäre übertrieben, schließlich liegt England in tiefer Sommerruhe, zudem machen Millionen Urlaub an südeuropäischen Stränden. Aber auf der Insel ist eine gewisse Begeisterung spürbar über die Fußballerinnen, die am Sonntag (12 Uhr, ORF 1) in Stadium Australia zu Sydney vor mehr als 75.000 Fans im Finale der Weltmeisterschaft auf Spanien treffen. Frohsinn herrscht nicht zuletzt in den Medien, die gerne einmal abweichen von der Berichterstattung über Leitzins-Erhöhungen, den Streit um die Asylpolitik oder die Länge der Hosenbeine von Premier Rishi Sunak.

Das gesamte erste Drittel der abendlichen Hauptnachrichtensendung hatte die öffentlich-rechtliche BBC der Berichterstattung über den Halbfinalsieg gegen die gastgebenden Australierinnen gewidmet. In den Tagen danach bejubelte der Boulevard die "Golden Girls" und "History Girls", während der politisch korrektere Independent von den "Wunder-Frauen" schrieb. "Dürfen wir träumen?", fragte der Express.

Ein für alle Mal vorbei sind jedenfalls die Zeiten, da der Frauenfußball ganz im Schatten der Männer stand, wie noch zu Anfang des Jahrhunderts, als Gurinder Chadha ihre wunderbare Komödie Kick It Like Beckham mit Parminder Nagra und der inzwischen weltbekannten Keira Knightley in den Hauptrollen drehte. "Damals verweigerten viele TV-Anstalten den Stoff, der schien nicht relevant", erinnert sich die Regisseurin. Jetzt diskutiert das Land darüber, ob es, wie von der Labour-Opposition vorgeschlagen, einen Feiertag geben soll, wenn der Sieg gegen Spanien gelingt.

"Sweet Caroline"

Für englische Fans ist es bereits der dritte Sommer in Folge, in dem vor einem Finale überall die inoffizielle Fußballhymne, Neil Diamonds Evergreen Sweet Caroline, gesungen wird. Dafür, dass auch nach dem Spiel noch Grund zur Sangesfreude besteht, spricht einiges. Schließlich gehen die Lionesses als Favoritinnen ins Endspiel. Vor zwei Jahren scheiterten die Männer noch unglücklich im EM-Heimfinale an Italien, dagegen holten die Frauen im vergangenen Sommer ebenfalls im Wembley-Stadion erstmals den EM-Titel (2:1 gegen Deutschland).

Das Team ist eingespielt, Stars wie Verteidigerin Lucy Bronze vom FC Barcelona, Regisseurin Georgia Stanway von Bayern oder die Stürmerinnen Alessia Russo von Arsenal und Lauren Hemp von ManCity geben zu den schönsten Hoffnungen Anlass.Vor allem aber hören die "Löwinnen" auf die unbestritten beste Trainerin. Seit Sarina Wiegman das Kommando führt, also seit knapp zwei Jahren, ging ein einziges von 37 Spielen verloren – in aller Freundschaft gegen Australien. Die Revanche folgte im WM-Halbfinale.

Im Vorfeld des Turniers hatten Wiegman Verletzungen scheinbar unverzichtbarer Spielerinnen zu schaffen gemacht, so fehlt die EM-Torschützenkönigin Beth Mead. Doch mit der sehr englischen Mischung aus robustem physischem Einsatz und hohen technischen Fertigkeiten spielte sich das Team in einer leichten Vorrundengruppe warm, vertraute im Achtelfinale gegen Nigeria aufs Elfmeter-Glück und dominierte die weiteren Partien gegen Kolumbien und Australien.

Vor dem Ritterschlag

Wiegman dürfte im Fall des Finalsieges zumindest den Ritterschlag ehrenhalber erhalten, schließlich hat es seit dem Titelgewinn der Männer im eigenen Land 1966 kein englisches Team mehr ins Finale einer Fußball-WM geschafft. "Kommandeurin des britischen Empire" ehrenhalber ist die 53-Jährige bereits. Die Übergabe des Ordens nahm Prinz William höchstpersönlich vor, als er im Juni das Team im Trainingslager besuchte. Der 41-Jährige amtiert als royaler Schirmherr des englischen Fußballverbands FA.

Derzeit urlaubt der Thronfolger samt Familie und hängt dort offenbar vor dem Fernseher. Jedenfalls folgte dem englischen Sieg über Australien umgehend per X, vormals Twitter, die Gratulation zur "phänomenalen Vorstellung", gefolgt von diplomatischem Trost für die Matildas. Schließlich würde William nach heutigem Stand dereinst seinem Vater Charles III. als – nominelles – Staatsoberhaupt Australiens folgen. Sollte der FA-Präsident aber nicht persönlich vor Ort sein, wenn die Lionesses Geschichte schreiben wollen?

Die Frage warf der königstreue Telegraph auf und kritisiert damit indirekt Williams Entscheidung, auf die Reise nach Down Under – offiziell als Zeichen des Kampfes gegen den Klimawandel – zu verzichten. Die Royals-Expertin des konservativen Blattes appelliert an den engagierten Vater dreier Kinder, "diesmal seine Verpflichtung dem Land gegenüber voranzustellen".

2:0 für Spanien

Nach letztem Stand bietet Großbritannien nur Sportministerin Lucy Frazer auf und bleibt damit Lichtjahre hinter Spanien zurück. Zwar ist König Felipe wegen der heiklen Regierungsbildung im Zarzuela-Palast unabkömmlich, dafür reiste Königin Letizia nach Australien, mit ihr Prinzessin Sofía.

Das Herz der 16-Jährigen und ganz Spaniens gehört Salma Paralluelo vom FC Barcelona, die nach dem Triumph in der Champions League dem Land nun den begehrten Women’s World Cup besorgen soll. Die 19-jährige Ex-Leichtathletin ist ohne Frage der neue Star der Truppe von Coach Jorge Vilda. Der 42-Jährige hat nach einer abgewendeten Spielerinnenrevolte die Furia Roja geeint hinter sich. Sie brennt auf Revanche für das 1:2 im EM-Viertelfinale vor genau 13 Monaten. (Sebastian Borger aus London, Sigi Lützow, 19.8.2023)