Infusionen, Kältebehandlungen, Nahrungsergänzungsmittel oder Sauerstofftherapien sollen helfen, das Altern aufzuhalten und den Körper womöglich sogar zu verjüngen. Doch die Wirksamkeit ist sehr umstritten.
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Man kommt nicht mehr so leicht aus dem Bett, wenn man am Vorabend gefeiert hat. Den Stress in der Arbeit steckt man nicht mehr so locker weg, die Kinder zehren auch an den Nerven. Plötzlich redet man im Freundeskreis mehr über Wehwechen als über ... Sex? Altern ist nix für Feiglinge, das ist nicht nur eine Binsenweisheit. Was würde man für eine Pille tun, die das ewige Gesetz des Lebens außer Kraft setzen könnte: die eigene Vergänglichkeit und die grässlichen Verschleißerscheinungen.

Rund um das Versprechen der verlängerten Jugend hat sich eine hochlukrative Industrie gebildet. Längst geht es dabei nicht mehr nur um den Verkauf von Cremchen und Salben. Die Schlagworte der Stunde heißen "Longevity" oder "Biohacking". Dabei geht es, vereinfacht gesagt, darum, den eigenen Körper besser kennen- und verstehen zu lernen – um ihn dann, ähnlich wie einen Computer, zu hacken. Läuft im System alles rund, so die Theorie, beugt man Lifestyle-Erkrankungen vor und zögert den Verfall möglichst lange hinaus.

Auf eine Infusion in die Drip-Bar

Zwar gaukeln Influencerinnen auf Social Media gerne vor, dass diese innere Optimierung und Zellverjüngung ein Klacks sei und quasi nebenbei erfolgen könne – tatsächlich benötigt man für die Idee vom Erhalt der Jugend im normalen Leben ziemlich viel Zeit, vor allem aber noch mehr Geld. Zunehmend etablieren sich Gesundheitsstudios, in denen für einen verbesserten Zellstoffwechsel abwechselnd Sauerstoff reduziert und überdosiert wird, Lifestyle-Ordinationen, wo man sich in Kältekammern bei Minusgraden jünger frieren kann, oder sogenannte Drip-Bars, in denen Spurenelemente-Cocktails als Infusion verabreicht werden. Einige dieser Angebote sind über Wochen ausgebucht.

Doch was bringen Anwendungen wie Kryosauna, Höhentraining mittels Sauerstoffmaske oder Nährstoffe über die Nadel wirklich? Das Grundkonzept von Biohacking ist zunächst simpel wie eingängig: Indem man Urreize wie Licht, Kälte, Hitze, Atem oder Hunger gezielt nutzt, gibt man dem Organismus die richtigen Impulse für eine optimale Performance. Diese kann man sich eigentlich selbst holen: in der Früh rausgehen, durch Meditation im Wald, Atemübungen, ausreichend Wasser trinken, Zirkeltraining, oder – ganz wichtig – durch guten Schlaf.

Damit das aber noch besser gelingt, gibt es technische Unterstützung. "Medizin 3.0" nennt Daniel Donhauser das. Der Mitgründer des Start-ups Maikai hat nach sechs Anlagen in Salzburg Ende letzten Jahres gemeinsam mit dem Nahrungsergänzungsmittelhersteller Biogena nahe der Wiener Staatsoper das noble Biogena Plaza eröffnet – einen Flagship-Store für Mikronährstoffe samt Biohacking-Lab und Kältekammern. "Letztendlich soll Biohacking nichts anderes tun, als uns dabei zu helfen, in unserer modernen Welt klarzukommen", sagt Donhauser.

Fett runter, Laune rauf

Denn unser Organismus funktioniere immer noch so wie in der Steinzeit, obwohl unser Leben heute diametral anders aussehe als vor zigtausenden Jahren. In der modernen Welt falle es oft schwer, die Urreize ausreichend zu nutzen. Natürlich könne man die Erfolge, die das Biohacking verspricht, auch mit einem gesunden Lebensstil hinbekommen, lenkt Donhauser ein. "Die Technologie, die wir einsetzen, ist einfach eine Art Abkürzung, mit der man all das schneller hinbekommt."

Als Beispiel nennt er das Eisbaden. Nur wenige Menschen können sich überwinden, tatsächlich in eiskalte Gewässer zu hüpfen. Die Kryokammer, in die man im Biohacking-Lab schlüpfen kann, soll denselben Effekt zeitigen. Dabei handelt es sich um eine Art menschengroßen Gefrierschrank, in dem man drei Minuten bei minus 110 Grad Celsius verbringt. Im Gegensatz zum Eiswasser handelt es sich aber um trockene Kälte, die man leichter aushält. Auf diese Weise sollen stille Entzündungen minimiert und das Immunsystem unterstützt, die Fettverbrennung angekurbelt und die Stimmung gehoben werden. Langfristig kann man so möglicherweise sogar Depressionen lindern, zumindest für das Eisbaden gibt es entsprechende Studien. Kostenpunkt für die insgesamt 15-minütige Behandlung: 45 Euro.

Ein anderer Ansatz ist das Höhentraining, bei dem der Lunge über eine reduzierte Sauerstoffsättigung via Sauerstoffmaske vorgegaukelt wird, sie befinde sich in 4.000 oder sogar 5.000 Metern Seehöhe. Dort ist der Sauerstoffgehalt niedriger, was dazu führt, dass der Körper zusätzliche rote Blutkörperchen bildet, um mehr Sauerstoff im Blut transportieren zu können. Das soll die Lungenfunktion und damit generell die Sauerstoffversorgung verbessern. Vorausgesetzt, man zahlt für 75 Minuten unter der Maske 99 Euro.

Noch teurer sind freilich Behandlungen, die ganz auf die individuellen Voraussetzungen abgestimmt werden: die orthomolekulare Medizin etwa, bei der mittels Blutbild eventuelle Nährstoffmängel oder Minderversorgungen festgestellt werden. Diese werden dann substituiert, um potenzielle gesundheitliche Probleme erst gar nicht entstehen zu lassen. Analysiert wird dafür das Vollblut, also die ganze Zelle, nicht nur das Serum. Nur so könne man das volle Ausmaß der Nährstoffsituation erkennen, sagt Michael Wäger, wissenschaftlicher Leiter bei Biogena.

Außerdem gibt es spezielle Genomanalysen, die zeigen sollen, ob man eher der Kraft- oder der Ausdauersporttyp ist, welche Lebensmittel man gut verträgt, mit welcher Ernährungsform man es schafft, schlank zu bleiben und wie man Stressbewältigung ideal auf die eigenen Voraussetzungen ausrichtet.

Dünne Studienlage

Wissenschaftlich untersucht werden die diversen Biohacking-Ansätze bislang wenig bis gar nicht. Studien zu den einzelnen Anwendungen gibt es vielfach nur von den Herstellern der entsprechenden Geräte. Eine Anfrage an der Med-Uni Wien für ein wissenschaftlich fundiertes Hintergrundgespräch blieb erfolglos – man habe schlicht niemanden, der oder die sich wissenschaftlich damit auseinandersetze. Das liegt wohl daran, dass Biohacking in erster Linie als Leistungsoptimierung für prinzipiell gesunde Menschen gilt. In der Behandlung von Krankheiten sind diese Methoden bislang kein Thema.

Wissenschaftlich fündig wird man deshalb im Bereich der Sportwissenschaften. Denn vor allem im Spitzensport werden Biohacking-Techniken schon lange eingesetzt. "Man will damit in erster Linie die Regeneration beschleunigen und verbessern", sagt Barbara Wessner, Molekularbiologin und stellvertretende Leiterin des Zentrums für Sportwissenschaft und Universitätssport an der Uni Wien. Sie sieht Biohacking als prinzipiell spannenden Ansatz – mit Vorbehalten. "Bei der Genomanalyse etwa gibt es einige Forschungsansätze. Aber ob die wissenschaftlich haltbar sind, ist sehr umstritten." Studien seien meist sehr klein und hätten ganz spezifische Populationen untersucht. So generierte Erkenntnisse könne man nicht einfach auf die breite Bevölkerung umlegen.

Ähnlich kritisch wird die Nährstoffsubstitution über Infusion beurteilt. Tilman Kühn, Professor für Public Health Nutrition an der Med-Uni Wien, findet sie "medizinisch grenzwertig. Die Dosierung der einzelnen Nährstoffe ist meist nicht transparent – und sie gehen direkt ins Blut." Über die Nahrung könnte der Körper Überschüssiges zumindest gleich wieder ausscheiden, im Blut tue er sich da wesentlich schwerer. Und auch der Nutzen sei nicht belegt, kritisiert er. "Warum soll ich dann aber ein Risiko in Kauf nehmen?"

Für Kühn spielt in dieser Wellnessmedizin auch ein starker Placeboeffekt mit. "Der Arzt oder die Ärztin sitzt in einer großen, hellen Praxis, nimmt sich Zeit, man bekommt die Zuwendung, die man gerne möchte." Auch die Vollblutanalyse – die natürlich selbst zu bezahlen ist – sieht er kritisch: "Für 95 Prozent der Marker sind Blutserum oder -plasma hervorragend geeignet und besser etabliert."

Wer davon profitiert

Trotzdem sieht Maikai-Gründer Donhauser Biohacking als Teil der wissenschaftlich fundierten Medizin: „Alles, was wir anbieten, ist evidenzbasiert“, sagt er. "Es ist einfach noch nicht im Mainstream der Medizin angekommen." Die, die jetzt schon darauf setzen, seien Early Adopter, auch weil sie es sich leisten können. Aber Donhauser hofft, dass durch die steigende Nachfrage "das Ganze günstiger und damit massentauglich wird".

Letztlich kann man im Alltag leistungsmäßig wohl nur sehr wenig aus Biohacking generieren, meint die Molekularbiologin Wessner: "Es kommt einfach darauf an, was man erreichen will. Ein Spitzensportler kann schon von sehr kleinen Veränderungen stark profitieren, eine Minute kann beim Marathon den entscheidenden Unterschied machen." Bei Freizeitsportlern dagegen fallen zwei Minuten kaum ins Gewicht. "Die Größenordnung, was Biohackingmethoden für die Leistung bringen, bleibt aber in etwa dieselbe, egal von welchem Niveau ich ausgehe."

Dennoch gebe es auch für die breite Masse einen Nutzen, etwa beim Minimieren von chronischen, niedriggradigen Entzündungen. "Hier kann man möglicherweise schon gesundheitliche Auswirkungen sehen." Insgesamt seien die Effekte sehr individuell, weshalb die Methoden nach streng wissenschaftlichen Kriterien oft nicht sehr gut abschneiden, sagt Wessner: "Schaut man sich aber die Ränder der untersuchten Gruppe an, kann man sehen, dass manche Personen sehr stark, andere sehr wenig von diversen Anwendungen profitieren. Aber noch gibt es keine etablierte Methode, die zeigt, wem welche Anwendung wie gut hilft."

Lückenfüller

Die befragten Expertinnen und Experten sind sich einig: Wer sich schlecht ernährt, wenig schläft, kaum bewegt und Stress hat, wird diese Lücken kaum mit Biohacking-Anwendungen in der Mittagspause füllen können.

Wirklich positiv wirken können diese dagegen bei jenen, die ohnedies bereits einen gesunden Lebensstil pflegen und ihrem Organismus zusätzlich unterstützende Impulse geben wollen. Molekularbiologin Wessner resümiert: "Auf dieser Basis kann man ausprobieren, wodurch man sich besser fühlt – und was einem gar nichts bringt. Das ist dann wirklich sehr individuell." (Pia Kruckenhauser, 26.8.2023)