Arbeitende gehen über eine Baustelle der chinesischen Evergrande-Gruppe in Peking
Die chinesischen Evergrande-Gruppe hat in den vergangenen Jahren einen Schuldenturm von 300 Milliarden Dollar aufgebaut.
Reuters/Carlos Garcia Rawlins

Beginnt in China die nächste große Finanzkrise? Diese Frage stellen sich gerade viele Investoren und Analysten. Sogar Hedgefonds-Legende Ray Dalio sah sich am Donnerstag gezwungen, etwas zur aktuellen Situation in China zu veröffentlichen. Der sonst eher zurückhaltende Gründer der Investmentfirma Bridgewater sprach von einem "Entschuldungsprozess, der in China seit langem überfällig ist". Die hohen Schulden und deren Bedienung würden die Wirtschaft schwächen, schrieb er.

Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass vielleicht eine der größten Blasen der Finanzgeschichte zu platzen begann: Im September 2021 stellte der zweitgrößte Immobilienkonzern Chinas, Evergrande, Zahlungen auf fällige Anleihen ein. Was faktisch die Insolvenz bedeutete, wurde seitdem mit staatlicher Hilfe verschleppt. Zwei Jahre später ist der Schwelbrand noch immer nicht gelöscht und scheint immer wieder neu entfacht zu werden.

Neues Problemkind

Aktuell heißt das Problemkind Zhongrong Securities. Die Firma verwaltetet sogenannte Trust-Products, in China nicht unübliche Anlagevehikel, im Wert von 780 Milliarden Yuan, rund 100 Milliarden Euro. Die Produkte locken Anleger mit hohen Zinsen. Analysten warnen seit langem, dass diese Trust-Products teilweise betrügerisch sind.

Vergangene Woche hatten nun zwei an der chinesischen Börse gelisteten Unternehmen bekanntgegeben, eigentlich fällige Zahlungen von Zhongrong nicht erhalten zu haben. Unter chinesischen Anlegern ist die Verunsicherung jetzt groß, der Zahlungsausfall könne eine Kaskade auslösen. Via Investorenplattformen hatten Anleger dutzende Firmen mit hunderten Fragen bombardiert, ob sie von den Zahlungsausfällen betroffen seien. Denn der Zeitpunkt für eine solche Insolvenz könnte nicht unpassender sein.

In die Deflation gerutscht

Das Land steckt in einer für seine Verhältnisse handfesten Wirtschaftskrise. Die Exporte lahmen, die Direktinvestitionen sind massiv eingebrochen. Hinzu kommt eine grassierende Jugendarbeitslosigkeit, die für das stabilitätsfixierte Regime in Peking mehr als ungemütlich ist. All dies führt dazu, dass Chinas Wirtschaft vor einigen Wochen offiziell in die Deflation gerutscht ist. Die Preise fallen. All dies hat seinen Ursprung im Immobiliensektor, welcher rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht.

Auch der aktuelle Pleitekandidat Zhongrong Securities hat damit zu tun. Die Muttergesellschaft Zhongzhi Enterprise Group verfügt über ein beachtliches Immobilienportfolio. Jahrelang galt die Anlage in Immobilien als "sichere Wette". Während in den vergangenen drei Jahrzehnten bis zu einer halben Milliarde Chinesen vom Land in die Stadt zogen, bauten große Immobilienunternehmen Wohnung für Wohnung, um den Bedarf zu decken. Die Preise stiegen, und so gaben Konzerne wie Evergrande das Geld bald schneller aus, als sie es einnehmen konnten.

Während die Staatsverschuldung in China mit rund 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts relativ gering ist, explodierten die Unternehmensschulden auf 160 Prozent der Wirtschaftsleistung. Im Sommer 2021 entschied sich die Regierung, diesem Prozess ein Ende zu machen. Mit den "drei roten Linien" sollten Konzerne dazu gebracht werden, ihre Schuldenlast zu reduzieren. Der Plan: Aus einem aufgeblähten Ballon langsam und kontrolliert Luft zu lassen – bevor dieser platzt und größeren wirtschaftlichen Schaden anrichtet.

Zwei Jahre später lässt sich immer noch nicht sagen, ob dieser Prozess gelingt oder ob die Schuldenlawine doch noch außer Kontrolle gerät. Vor knapp zwei Wochen erwischte es den Immobilienkonzern Country Garden: Auch dieser steht nun knapp vor einer Insolvenz. Und der amerikanische Zweig von Evergrande, das Unternehmen, mit dem vor zwei Jahren die Misere begann, hatte am Mittwoch Antrag auf Gläubigerschutz in den USA gestellt.

Nachfrage sinkt

All das hat Auswirkungen auf die chinesische Gesamtwirtschaft. Fehlen die Impulse aus dem Immobiliensektor, sinkt in vielen anderen Industriezweigen ebenfalls die Nachfrage. Wohl deshalb hat die chinesische Zentralbank am vergangenen Dienstag die Leitzinsen um 15 Basispunkte auf 2,5 Prozent gesenkt – dem niedrigsten Stand seit 2020 und entgegen dem internationalen Trend steigender Zinsen. Stärkere Konjunkturimpulse sind aus China trotzdem nicht zu erwarten, der Abbau des Schuldenbergs im Immobiliensektor wird Zeit brauchen.

Gleichzeitig ist ein Überschwappen der finanziellen Probleme aus China in die Welt unwahrscheinlich. Nachdem 1997 zahlreiche Nachbarstaaten Chinas im Rahmen der "Asienkrise" in finanzielle Turbulenzen gerieten, entschied man sich in Peking, den Bankensektor nicht zu internationalisieren. Das chinesische Finanzsystem ist deswegen weitgehend isoliert und ein globaler Flächenbrand wie zuletzt 2008 kaum möglich. (Philipp Mattheis, 18.8.2023)