Hand deckt Haus ab
Mit fixen Zinsen wäre das Leben für zehntausende Haushalte jetzt leichter.
Illustration: STANDARD/Oana Rotariu

Mit knapp unter 900 Euro im Monat waren Sebastian und Elizabeth bis vor einem Jahr gut dabei. Für ihr Haus inklusive Physiotherapiepraxis nahe Steyr haben sie vor sieben Jahren 400.000 Euro an Kredit bei ihrer Bank aufgenommen. Die Monatsrate passte gut in ihr Familienbudget. Das ist seit ein paar Monaten anders. Seit die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen erhöht, steigen auch die monatlichen Belastungen des Ehepaares mit den beiden Kindern an.

Denn sie haben damals einen variabel verzinsten Kredit aufgenommen und zahlen nun bereits 1400 Euro im Monat. Ein Kredit mit fixem Zinssatz hätte damals etwas mehr gekostet, wäre seither aber nicht gestiegen.

Mit ihrem Finanzierungsproblem sind die beiden nicht allein. Rund 500.000 Haushalte haben in Österreich einen variablen verzinsten Kredit laufen.

Rund um diese Geschäfte wird derzeit auf mehreren Ebenen gestritten. Ein Disput tobt hinter den Kulissen: Die Bankenaufsicht FMA und die heimischen Institute sind sich im Zusammenhang mit den Vergabekriterien für variabel verzinste Immokredite in die Haare geraten. Der zweite Streit dreht sich um die Frage, ob der Staat und die Banken unter Druck geratenen Kreditnehmern unter die Arme greifen sollen. Die SPÖ fordert das. Die Banken haben namens ihres Obmanns Willibald Cernko zugesagt, Leute, die in "individuelle Stresssituationen" geraten, unterstützen zu wollen.

Risikofreude beim Kredit

Dabei könnte die Debatte über Hilfen theoretisch schnell beendet sein: Alle Bankkundinnen und -kunden müssen wissen, welches Risiko sie mit dem Abschluss eines Geschäftes eingehen, bei dem der Preis, also die Zinsen, von äußeren Umständen abhängt und sich daher verändern kann. In dem Fall sind die äußeren Umstände eben die Leitzinsen.

Beim Abschluss von Immobilienkreditverträgen sind die gesetzlichen Regeln streng, Banker müssen die Risken durch variable Zinsen im Angebot vorrechnen. Warum soll der Staat also ausrücken und Haushalten, die sich verspekuliert haben, helfen?

Bei dieser Erzählung darf natürlich die andere Seite nicht fehlen. Nämlich die der Banken. Österreichs Geldinstitute sind bei der Vergabe von Krediten mit variablen Zinssätzen im europäischen Vergleich recht großzügig – um es vorsichtig zu formulieren. In der Eurozone gibt es zwei Gruppen: Da sind einmal Länder wie Deutschland, die Niederlande, Belgien oder Frankreich, wo es sehr wenige variabel verzinste Darlehen an Häuslbauer gibt. In Staaten wie Finnland, Litauen, Zypern, Malta oder eben Österreich ist das anders (siehe Grafik). In Österreich wurde zuletzt die Hälfte aller Kredite ohne Fixzins vergeben, fast 50 Prozent der schon vergebenen Immobilienkredite fallen in diese Kategorie. Banken bieten das Produkt offensiv an. In der Eurozone liegt der Schnitt bei 20 Prozent.

Variable Kredite
Variable Kredite im Vergleich
DerSTANDARD

Woher kommt diese Entwicklung, die in Wahrheit nicht nur für Kunden, sondern auch für Banken Risiken birgt? Ist sie doch umso überraschender, als die Österreicherinnen und Österreicher ansonsten bei Finanzgeschäften als risikoavers gelten und ungern spekulieren. "Es ist sowas wie Folklore der Bevölkerung. Auf der einen Seite sehen sie Aktien und den Kapitalmarkt als etwas Böses an. Auf der anderen Seite agieren sie bei Krediten trotz Warnungen extrem risikofreudig", analysiert der Ökonom Stefan Pichler von der Wirtschaftsuniversität Wien. Er spricht von einer Art Schnäppchenmentalität, bei der von Bankkunden nicht mitbedacht werde, dass Zinsen eben auch steigen können.

Auch Banken mögen’s variabel

Für die Banken sind variable Kredite interessant, weil sie ihnen eine einfache Form der Absicherung bieten und deshalb im Idealfall sogar höhere Gewinne ermöglichen, wie Stefan Selden vom Bankenberater 720° Restructuring & Advisory sagt. Um das zu verstehen, hier ein Beispiel: Geldhaus A vergibt laufend Kredite und braucht umgekehrt Geld, wenn seine Kundinnen und Kunden Barmittel am Bankomaten von ihren Konten beheben oder Gelder auf das Konto des Geldhauses B überweisen.

Damit Bank A immer genügend Geld hat, sich also refinanzieren kann, nimmt sie unter anderem Spareinlagen an. Davon haben die meisten Banken derzeit genug, weshalb sie so wie A kaum Zinsen zahlen. Zugleich brauchen Banken laufend Kredite, von anderen Banken und der EZB. Dafür zahlt Bankhaus A natürlich Zinsen. Steigen diese, so muss auch sie mehr zahlen. Umso besser, wenn in dem Fall auch die Kreditkunden der Bank mehr Zinsen abliefern müssen. Dagegen sitzt die Bank bei Krediten mit Fixzinsen im Falle von Zinssteigerungen auf einem Risiko. Dieses lässt sie sich über Geschäfte auf dem Kapitalmarkt absichern, und das kostet. Freilich gilt das für alle Kreditinstitute Europas, trotzdem tun sich Österreicher wie beschrieben hervor.

Österreichs Exportschlager

Das dürfte auch mit einem Finanzprodukt zu tun haben, das noch riskanter ist und Österreichs Geldinstitute einst zur Hochblüte brachten: dem Fremdwährungskredit. Ab Mitte der 1990er-Jahre wurden immer mehr Kredite in Schweizer Franken und Yen vergeben, die Zinsen waren variabel, das Risiko extrem. Zur Jahrtausendwende wurde bereits die Hälfte aller Kredite in Österreich in Fremdwährung vergeben. Österreichs Banken exportieren das Produkt nach Ost- und Südosteuropa und verdienten prächtig. Nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 gerieten aber viele Kundinnen und Kunden in massive Zahlungsschwierigkeiten, weil der Franken so stark an Wert zulegte. Die Aufarbeitung der Folgen dauerte mehr als ein Jahrzehnt. Seither ist der variable verzinste Fremdwährungskredit weitgehend Geschichte – dafür kam die Zeit der variabel verzinsten Eurokredite.

Dass Österreichs Banken so viel davon vergeben, bringt ihnen aktuell sprudelnde Gewinne ein. Ihre Zinseinnahmen aus dem Kreditgeschäft sind stärker gestiegen als im Schnitt der übrigen Euroländer. Das Risiko, dass die Zahl der Schuldner stark steigt, die sich ihre Kreditraten nicht leisten können, hat sich bisher nicht manifestiert. Weniger als zwei Prozent der Kredite sind notleidend, es erfolgen also länger als 90 Tage keine Ratenzahlungen.

Streit mit dem eigenen Aufseher

Die FMA beobachtet die Entwicklung dennoch besorgt. Zuletzt kochte hinter den Kulissen ein Streit zwischen Aufsehern und Banken hoch, in dem es um die im August 2022 verschärften Vorgaben für Immokredite geht.

Der variable verzinste Fremdwährungskredit ist weitgehend Geschichte – dafür kam die Zeit der variabel verzinsten Eurokredite.
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Seither gilt, dass Haushalte diese nur bekommen können, wenn die Rückzahlungsraten 40 Prozent des Einkommens nicht übersteigen. Die Vorgaben für die FMA-Verordnung stammen vom Finanzmarkstabilitätsgremium. Zeitgleich mit der neuen Verordnung geschah Erstaunliches: Der Anteil variabel verzinster Kredite schoss in die Höhe und verdoppelte sich zwischen Frühjahr 2022 und Jänner 2023 auf zwei Drittel aller Immodarlehen. "Das muss wohl als Zeichen für grenzwertige Finanzierungen interpretiert werden", heißt es dazu aus der FMA. Sprich: Bei vielen Kreditnehmern ging sich ein fixverzinstes Darlehen mit den neuen Vorgaben nicht aus. Also wurden ihnen die damals günstigeren variablen Darlehen angeboten. Diese Wette ging für Kundinnen und Kunden schief, weil die Zinsen seither stark stiegen.

Am 13. Juli erinnerte die FMA die Banken an eine Empfehlung des Stabilitätsgremiums: Demnach sollen bei variabel verzinsten Krediten die Ratenzahlungen 30 Prozent des Haushaltseinkommens nicht übersteigen. Diese rechtlich nicht bindenden Vorgaben sind also noch strenger als die Vorschriften für sonstige Darlehen. Es folgte eine scharfe Replik der Banken in Form eines von Bankenobmann Cernko gezeichneten Briefes.

Die Geldhäuser lehnen eine weitere Verschärfung ab und fühlen sich nicht an die Empfehlungen des Gremiums und der Bankenaufseher gebunden, was variable Kredite betrifft. Sie werfen ihren Aufsehern vor, "enorme Verunsicherung" bei Banken zu schüren. Kunden, die einen variablen Kredit wollen, hätten "besondere Gründe dafür und einen expliziten Wunsch", heißt es in dem Brief.

Womöglich wird auch diese 30-Prozent-Empfehlung in eine rechtliche Vorgabe münden. Das würde dann Familien vor Verlusten wie bei den Physiotherapeuten Sebastian und Elizabeth bewahren. Der Traum vom eigenen Haus wäre dann freilich für viele geplatzt. (Renate Graber, András Szigetvari, 19.8.2023)