Angenommen, Sie haben gerade Ihre Ausbildung abgeschlossen und sind motiviert, einen Job bei einer großen Wirtschaftsprüfungskanzlei oder Beratungsunternehmen zu starten. Der Posten bedeutet in den Anfängen ziemlich sicher viel Stress, Arbeiten bis spät abends, viele Nächte im Hotel oder Besprechungen im Urlaub – bringt dafür aber schon ein sehr hohes Einstiegsgehalt. Dann kommt dieses Angebot: 25.000 Dollar dafür, dass Sie die Stelle erst im Frühjahr kommenden Jahres antreten, weil die Auftragslage gerade schlecht ist. Nehmen Sie an?

Frau liegt am Strand und liest ein Buch mit Blick aufs Meer
Anstatt ins stressige Berufsleben zu starten, fahren manche College-Absolventen an den Strand – mit Bezahlung.
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In den USA müssen sich hunderte College-Absolventinnen und -Absolventen gerade tatsächlich mit dieser Frage beschäftigen. Eine davon ist Sophia Augustine. Eigentlich hätte sie im Sommer bei Beratungsunternehmen Accenture in New York anfangen sollen. Stattdessen vermietet sie ihre Wohnung und reist durch Südostasien. Los geht es für sie nun im April 2024, als "Entschädigung für die Umstände" erhält sie von Accenture 25.000 Dollar. Gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg beschreibt die Absolventin des Pomona-College in Kalifornien die Situation als eine "goldene Gelegenheit".

Damit ist sie nicht allein. Diese Praxis ist ein Ergebnis wirtschaftlich unsicherer Zeiten und stagnierender Auftragszahlen. Dass Unternehmen wie KPMG, EY, Deloitte, Bain oder Accenture gleichzeitig Leute kündigen und Neueinstellungen verschieben, hat es aber seit Jahrzehnten nicht gegeben, wie das Wall Street Journal (WSJ) berichtet. Junge Menschen werden also dafür bezahlt, nichts zu tun, dabei aber trotzdem an ein Unternehmen gebunden.

Einstellungspläne anpassen

Wie kann es so etwas im leistungsgetriebenen Corporate America geben? Das kommt nicht ganz überraschend. In der Finanz- und Beratungsbranche kam es in den vergangenen Monaten vermehrt zu Kündigungen. Wirtschaftsprüfer sind zudem dafür bekannt, ihre Einstellungspläne anzupassen, wenn die Wirtschaft schwächelt oder sich die Marktbedingungen verändern. Damit wird sichergestellt, dass neue Mitarbeiter ausreichend beschäftigt sind und darüber hinaus die Kosten eher niedrig gehalten werden, bis das Geschäft wieder Fahrt aufnimmt. Die Aussichten sind momentan allerdings mager.

Etwa dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge schwächt sich der Welthandel weiter ab. Ursache dürften vor allem die weltweit eingetrübten Konjunkturaussichten sein. In den USA sehen die Prognosen zwar etwas besser aus als in Europa, doch die Auftragsbücher der Beratungsfirmen sind trotzdem lange nicht so voll wie gewohnt.

Das macht sich eben bemerkbar. Wenn Unternehmen anfangen zu sparen, streichen sie oft früh die Aufträge für Beratungsfirmen. Deswegen gibt es in den USA unterschiedliche Modelle für die "delayed starts". Hauptsache nicht gleich anfangen, lautet die Devise. Laut WSJ bekamen manche Absolventen 40.000 Dollar, um vorübergehend bei einer NGO zu arbeiten, 30.000 Dollar, um eine neue Sprache zu lernen, 20.000 Dollar für eine Yoga-Lehrer-Ausbildung oder 2000 Dollar für jeden "verschobenen Monat".

Verzögerter Start in Österreich?

Gibt es solche verschobenen Berufseinstiege auch in Österreich? DER STANDARD hat bei KPMG, EY, Deloitte, BCG, PWC und McKinsey nachgefragt: Die Antworten der ersten vier Genannten waren ähnlich. Solche Praktiken gebe es in Österreich bzw. dem DACH-Raum nicht. Die Herausforderung sei, die offenen Stellen besetzen zu können. PWC und McKinsey äußerten sich nicht.

Aussetzen keine Option

Einfach ein Jahr auszusetzen klingt nach einer logischen Alternative, in der US-Praxis aber undenkbar. "Beratungsunternehmen besetzen auf lange Sicht. Lässt man ein Jahr aus, macht sich das sechs bis acht Jahre bemerkbar", meinen Branchenexperten. Man könne sich eine Lücke in einem Jahrgang nicht leisten. Man wolle auch vermeiden, dass die neuen Kolleginnen und Kollegen nichts zu tun haben. So ginge es denen, die bereits fest im Berufsleben stehen.

Nicht für alle ist diese bezahlte Verzögerung eine Option. Viele haben nach einem Studium in den USA Schulden. Die Fixkosten sind oft sehr hoch – oder man will einfach nicht so lange auf den Berufseintritt warten. Das könnte die großen Wirtschaftsprüfer auf Dauer gesehen einige Talente kosten, die sich jetzt möglicherweise etwas anderes suchen. (Andreas Danzer, 21.8.2023)