Ein potenzieller Aufsichtsratschef für die Verstaatlichtenholding Öbag, der schon auf dem Weg zur konstituierenden Sitzung von deren Kontrollgremium war. Eine Meinungsforscherin und Ex-Ministerin, die einen Öbag-Vorstandskandidaten mit kritischen Fragen vorbereitet hat. Ein Unternehmer, der wegen seiner Beziehungen nach Russland erst später als vom Kanzler erhofft in einen staatsnahen Aufsichtsrat einziehen sollte: Illustre Mosaiksteinchen wie diese blitzen aus jenem Strafantrag hervor, der Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), die frühere Casag-Managerin Bettina Glatz-Kremsner und Kurz' früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli im Oktober vors Strafgericht bringen wird. Es geht um den Vorwurf der falschen Zeugenaussage, die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe, für sie alle gilt die Unschuldsvermutung.

Im Zentrum der Anklage gegen Kurz stehen seine Aussagen rund um Postenbesetzungen bei der Öbag. Als er im Juni 2020 im Ibiza-U-Ausschuss nach seiner Beteiligung daran gefragt wurde, sagte der damalige Kanzler und ÖVP-Chef, er sei "eingebunden im Sinne von informiert" gewesen und habe keine Aufsichtsräte selbst ausgewählt. Darin sieht die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine Falschaussage, denn Kurz sei sehr wohl involviert gewesen. Eines der zentralen Argumente apert aus der Einvernahme eines Zeugen heraus, der sich im Jänner 2019 schon als Aufsichtsratsvorsitzender der Öbag sehen durfte.

Schmid freute sich auf Zusammenarbeit

Zu diesem Zeitpunkt suchte man gerade händeringend nach einem Chef oder einer Chefin für das Kontrollgremium der Verstaatlichtenholding: Die Wirtschaftsprüferin Christine Catasta, die dafür vorgesehen war, sprang in letzter Minute ab, die damalige PwC-Partnerin sah sich mit unlösbaren Compliance-Problemen konfrontiert. Finanzminister Hartwig Löger und Thomas Schmid, damals sein Generalsekretär und Fixstarter für den Öbag-Chefposten, fanden in der Folge eine Alternative: einen ehemaligen KPMG-Partner, der auch prompt zusagte. Er freue sich auf die "gute Zusammenarbeit", schrieb ihm Schmid bereits per Whatsapp.

Löger
Entschied der damalige Finanzminister Hartwig Löger, wer in den Öbag-Aufsichtsrat einzog – oder war es doch Sebastian Kurz?
APA/ROBERT JAEGER

Der Mann saß auch schon im Auto in Richtung konstituierende Aufsichtsratssitzung, als aus dem Kanzleramt ein Njet kam. Der Grund dafür soll gewesen sein, dass weder Kurz noch sein Kabinettschef Bonelli den früheren KPMG-Partner persönlich kannten. Dies führte zu einer eher unangenehmen Situation: Für den Ex-KPMG-Chef sei die Sache "fixiert" und unmittelbar vor der Umsetzung gewesen, sagte er als Zeuge aus. Löger habe die Sitzung unter einem Vorwand abberaumen müssen, was ihm laut einer Aussage "sichtlich unangenehm war". Aufsichtsratschef wurde dann der Krankenhausmanager Helmut Kern, auf Vorschlag von Bonelli.

Problem US-Sanktionen

Der eigentliche Wunschkandidat von Sebastian Kurz soll aber der Unternehmer und frühere Magna-Chef Siegfried Wolf gewesen sein. Dass der nie in den Öbag-Aufsichtsrat kam, ist für Kurz ein Beweis dafür, dass er sich nicht in die Personalangelegenheiten der Staatsholding eingemischt habe. "Was wäre ich denn für ein 'Würschtel' als Bundeskanzler, wenn ich den Sigi Wolf will, und er wird es nicht", sagte der in seiner Einvernahme als Beschuldigter. Die WKStA interpretiert es anders. Die gewünschte Bestellung von Wolf sei zum Problem geworden, weil es US-Sanktionen gegen Wolfs Geschäftspartner, den Oligarchen Oleg Deripaska, und den Konzern Russian Machines gegeben habe. An dessen Tochter, dem Autohersteller GAZ, war auch Wolf selbst beteiligt.

Schon 2018 hat Kurz laut WKStA "auf Drängen von Wolf" mehrfach versucht, US-Vertreter dazu zu bewegen, Deripaskas Unternehmen von der Sanktionsliste zu streichen. Gelungen sei ihm das aber nicht.

Als Ausweg hätten Wolf und Kurz vereinbart, dass der Manager erst später in den Öbag-Aufsichtsrat nachrücken sollte. So wussten die beiden, dass Wolf wenige Wochen nach der konstituierenden Sitzung der Öbag in den Aufsichtsrat der deutschen Porsche SE einziehen werde. Flapsig gesagt sollte dieses Mandat die Kritik an Wolfs Russland-Connection neutralisieren: Wer sauber genug für den deutschen Spitzenkonzern ist, ist das wohl auch für die Öbag. Auch diesen Plan dürfte – wie so vieles – das Ibiza-Video durchkreuzt haben, das im Mai 2019 publik wurde. Kern blieb jedenfalls bis Juni 2022 Aufsichtsratschef der Öbag.

Karmasin und die kritischen Fragen

Und dann wäre da noch das Puzzlesteinchen mit Sophie Karmasin: Bei ihr haben die Ermittler eine Unterlage gefunden, die belege, dass sich Schmid "schon vor seinem Vorstandshearing der Gefahr möglicher politischer Vorwürfe sehr bewusst war", sollte er tatsächlich wie erhofft Öbag-Chef werden. Eine Woche vor dem Hearing im März 2019 übermittelte Schmids Assistentin ihr eine Reihe von "kritischen Fragen zur Öbag beziehungsweise zu seiner Person", die Schmid gestellt werden könnten – erarbeitet hatte die Schmid selbst. Da ging es zum Beispiel ums Thema "Postenschacher" und seine "enge Beziehung zu Kurz", um die Frage nach politischen Besetzungen im Aufsichtsrat ("War das vorab ausgedealt, dass die ÖVP vier Kapitalvertreter erhält?") oder um die Personalie Wolf.

Es ging laut Strafantrag also um genau jene "heiklen Themen", zu denen Sebastian Kurz dann im U-Ausschuss falsch ausgesagt haben soll.

Zu welchen Antworten Karmasin Schmid geraten hat, das ist nicht überliefert. Dafür werden jene klüger, die wissen wollen, wie Karmasins damalige Geschäftspartnerin Sabine Beinschab (die mittlerweile Kronzeugin ist) zu manchen Aspekten ihrer politischen Umfragen gelangte. Da ging es ja zum Beispiel darum, welchem Tier Sebastian Kurz ähnle (Delfin) oder wie der Auftritt des damaligen Kanzlers Christian Kern (SPÖ) als Pizzabote angekommen sei. Des Rätsels Lösung zu letzterer Frage: Die Idee dafür hatte der damalige Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP). (Renate Graber, Fabian Schmid, 22.8.2023)