Wenn ein "aber" auf grundsätzliche Aussagen folgt, muss man vorsichtig sein. Ein Extrembeispiel dafür lieferte am Dienstag Srettha Thavisin in seiner Werberede für den thailändischen Premiersposten. "Wir belügen das Volk nicht", sagte er im Parlament. "Aber: Wir müssen vorsichtig sein." Wem gegenüber, sagte er nicht dazu. Klar ist dennoch, dass die neuen konservativen Koalitionspartner der populistischen Pheu-Thai-Partei gemeint waren, als deren Kandidat Srettha antrat. Sie sind eigentlich politische Todfeinde – haben sich nun aber dennoch verbündet. Wenig später wählten sie Srettha tatsächlich zum neuen Premier.

Frage: Wieso sind diese Parteien so stark verfeindet?

Antwort: Die Pheu Thai, die Srettha aufgestellt hat, steht unter der Kontrolle der Familie von Ex-Premier Thaksin Shinawatra. Der einstige Telekom-Magnat hat Thailand nach einem Wahlsieg 2001 deutlich umgebaut. Unter anderem hat er mit großzügigen Sozialstaatsprogrammen für die ländliche Bevölkerung Macht von den städtischen Eliten weg verschoben, die auch eng mit dem Königshaus verbunden sind. 2006 bis 2014 setzten das Militär und die Gerichte mehrere Regierungen ab, die von Pheu Thai und deren Vorgängerpartei Thai Rak Thai geführt wurden. Dabei gab es auch große Straßenproteste. "Gelbhemden" (Konservative) und "Rothemden" (Thaksin-Anhänger) blockierten wochenlang Bangkok. 2014 putschte der Militär Prayuth Chan-o-Cha und übernahm die Regierung. Er, selbst sehr konservativ, versuchte, den Gegensatz durch Unterdrückung fast aller Parteien zu beseitigen und Ruhe zu schaffen.

Srettha Thavisin ist erfreut.
Srettha Thavisin ist neuer Premier Thailands.
EPA/RUNGROJ YONGRIT

Frage: Und dann gab es doch wieder Wahlen?

Antwort: Sie sind die Folge von Großprotesten vor allem junger Menschen seit 2020 und sollten die Rückkehr zu einer Art Demokratie bedeuten. Pheu Thai war für diese Wahlen im Mai der Favorit gewesen. Die Partei hatte dabei versprochen, als Gegner der Militärpartei Prayuths und der Konservativen aufzutreten. Gewonnen hat den Urnengang dann aber die progressive Move-Forward-Partei des Unternehmers Pita Limjaroenrat, der unter anderem demokratische Reformen und eine Einschränkung der drakonischen Majestätsbeleidigungsgesetze versprochen hatte. Sie bekam 38 Prozent, Pheu Thai nur 28 Prozent. Prayuths Militärpartei bekam nur 12,5 Prozent.

Frage: Wäre das nicht eine klare Mehrheit für die Progressiven?

Antwort: In einer herkömmlichen Demokratie: ja. In Thailand aber nicht. Dort wählt den Premier nämlich nicht allein das Parlament, sondern eine Versammlung aus 500 Abgeordneten und 250 Senatoren. Letztere sind von der Junta bestellt und erzkonservativ.

Frage: Und wie kommt es dann zu einem Premier von Pheu Thai?

Antwort: Das liegt daran, dass Junta und Beamtenstaat die Ideen der Move-Forward-Partei offenkundig noch bedrohlicher finden als jene von Pheu Thai. Zweimal hatte die Versammlung über deren Chef Pita als Premier abgestimmt, zweimal aber erhielt er die Stimmen seiner eigenen Partei und jene von Pheu Thai, nicht aber eine ausreichende Zustimmung, um Premier zu werden. Zwischenzeitlich brachten Gegner auch einen Gerichtsprozess wegen angeblicher Wirtschaftsvergehen gegen Pita ins Rollen, der daraufhin sein Parlamentsmandat verlor. Verhandlungen über einen Ersatzkandidaten ließ Pheu Thai am 2. August scheitern. Die Partei nannte als Grund, dass Move Forward das Versprechen für eine Reform der Majestätsbeleidigungsgesetze nicht aufgeben wollte. Sie begann Verhandlungen mit den Konservativen.

Thaksin Shinawatra kniet vor einem Altar an einem Flughafen.
Erstmals seit 2008 kehrte Thailands Ex-Premier Thaksin Shinawatra wieder in seine Heimat Thailand zurück. Nach kurzen Ehrerbietungen wurde er festgenommen – zumindest vorerst.
AFP/MANAN VATSYAYANA

Frage: Was ist das für ein Gesetz?

Antwort: Es stellt Beleidigungen von König Rama X. (Maha Vajiralongkorn) und seiner Familie unter Strafe – bis zu 15 Jahre Gefängnis sind möglich, Haft wird tatsächlich oft verhängt. Weil das Gesetz breit formuliert ist, kann es zur politischen Verfolgung genutzt werden.

Frage: Wieso macht Pheu Thai das?

Antwort: Die Partei selbst stellt es in Abrede, aber offenkundig gibt es einen Deal. Immerhin kehrte am Tag der Wahl Sretthas auch Parteigründer Thaksin erstmals seit seiner Flucht 2008 wieder nach Thailand zurück. Er wurde unmittelbar danach wegen Vorwürfen aus dem Jahr 2006 festgenommen. Allgemein wird aber davon ausgegangen, dass er – im Gegenzug für die Kooperation – bald von König Rama X. begnadigt werden wird. (Manuel Escher, 22.8.2023)