Tirana – Als es eng wurde für Arben Ahmetaj, sprang ihm die Partei zur Seite. Die albanische Staatsanwaltschaft ersuchte Mitte Juli dieses Jahres um die Verhaftung des ehemaligen stellvertretenden Premiers, Ex-Wirtschaftsministers, Ex-Finanzministers und Infrastrukturminister an. Doch die Parlamentsfraktion der regierenden Sozialisten schaffte es, die Aufhebung der Immunität zu verschieben. Ahmetaj wird Geldwäsche und die Fälschung von Vermögenserklärungen vorgeworfen. Er nutzte die so gewonnene Zeit – und tauchte unter.

Ministerpräsident Edi Rama
Ministerpräsident Edi Rama zieht seit zehn Jahren die Fäden in Albanien.
AFP/OLIVER BUNIC

Die albanische Antikorruptionsbehörde SPAK lehrt die Mächtigen das Fürchten. Diese Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption und organisierte Kriminalität hat in dem südosteuropäischen Staat eine ähnliche Rolle wie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Österreich. Alle paar Wochen gerät zurzeit ein Politiker der Sozialistischen Partei (PS) von Edi Rama, der das Land seit nunmehr zehn Jahren regiert, ins Visier der Staatsanwälte.

So wurde vergangene Woche der ehemalige stellvertretende Gesundheitsminister Klodjan Rrjepaj wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch im Rahmen eines Beschaffungsauftrags festgenommen. Der frühere Innenminister Saimir Tahiri wurde wegen Drogenhandels und Amtsmissbrauchs angeklagt, nachdem im Oktober 2017 zwei seiner Cousins in Italien festgenommen worden waren. Zuvor hatte das Parlament, das von den Sozialisten dominiert wird, kein grünes Licht für die Verhaftung von Tahiri gegeben. In zwei Verfahren wurde er später vom Vorwurf des Drogenhandels freigesprochen. Mittlerweile wurde er aus der Haft entlassen – mit der Begründung, dass seine Frau sich nicht um die beiden Kinder kümmern könne.

"Straftaten haben kein Parteibuch"

Der ehemalige Umweltminister Lefter Koka wurde im Dezember 2021 wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet. Rama schrieb damals auf Facebook, dass dies weder eine politische noch eine Parteifrage sei. Der frühere PS-Abgeordnete Alqi Bllako wurde im März 2022 wegen des Verdachts verhaftet, indirekt Bestechungsgelder in Höhe von mehr als 120.000 Euro erhalten zu haben. Und der ehemalige Bürgermeister von Durrës, Vangjush Dako, wurde im Juni dieses Jahres wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs verhaftet.

Und immer und immer wieder entziehen sich die Parteispitze und Edi Rama selbst jeglicher Verantwortung – mit dem Argument, dass es sich um "individuelle Fälle" handle und Straftaten keine "Parteimitgliedschaft" hätten. Bisher jedenfalls kommt Rama mit dieser Strategie durch.

Edlira Gjoni vom McCain Institute meint dazu: "Ich glaube keine Sekunde lang, dass Rama selbst nichts von den Machenschaften dieser PS-Politiker weiß. Und ich habe auch nie an das Märchen geglaubt, dass er eine bahnbrechende Änderung für mehr Rechtsstaatlichkeit einleitet." Der Premier würde zwar die Verbesserung des Rechtsstaats durch Reformen unterstützen, weil das auch im Rahmen der EU-Annäherung notwendig sei; gleichzeitig aber kämen Mitglieder seiner Partei mit kleinen Strafen davon. "Wann immer es Vorwürfe gegen PS-Politiker gibt, weist er diese zunächst zurück, bis es zu viele Beweise gibt oder internationale Diplomaten ihn unter Druck setzen, und erst dann distanziert er sich von diesen Politikern", so Gjoni dem STANDARD gegenüber.

Dieses Verhalten von Rama zeuge weder von Integrität noch von Prinzipientreue. Auffällig sei, dass Rama nicht nur Oligarchen schütze, die mit seiner Partei in Verbindung stehen, sondern auch solche, die früher der Demokratischen Partei, als sie an der Macht war, nahestanden. In der eigenen Partei gebe es Grabenkämpfe. Dabei gehe es um Geld, etwa öffentliche Aufträge.

Tatsächlich hat die PS unter Rama durch ihre Macht in den Institutionen, durch Vetternwirtschaft und die Vergabe von Jobs mittlerweile ihre dominante Position in Albanien ausgebaut. Die auch intern zerstrittene Opposition kommt nicht vom Fleck. Die Politik in Albanien war schon seit dem Beginn der Demokratie Anfang der 1990er-Jahre von Polarisierung geprägt. Der Ton ist rau, die Kompromissbereitschaft gering, politische Konkurrenten werden als Todfeinde angesehen.

Starallüren, arrogantes Auftreten

In dieser politischen Kultur hat sich Rama stets als Opfer dargestellt, gleichzeitig ist der großgewachsene Mann, der gern in Sneakers herumläuft, übersteigert selbstbewusst und hat Herrscherallüren entwickelt. Insbesondere gegenüber Vertretern von Medien ist er arrogant, blasiert und aggressiv. Oft bezeichnet er Journalisten als "Müll" und rät ihnen, sich weiterzubilden, bevor sie ihm noch eine Frage stellen.

Kürzlich verweigerte Rama etwa die Beantwortung von Fragen, die nicht zu den von ihm vorgegebenen Themen gehörten, sondern bei denen es um die strafrechtlich relevanten Vorwürfe gegen PS-Politiker ging. Journalistenorganisationen beschweren sich immer wieder über Ramas Verhalten. Dieser betreibt mittlerweile einen eigenen Podcast, in dem er ohne die kritischen Fragen von Journalisten seine Politik zu erklären versucht. Immer wieder gab es seitens seiner Regierung auch Versuche, durch Einführung von Verleumdungsstrafen die Arbeit von Journalisten zu erschweren.

Ganz offensichtlich kommt Rama nicht damit zurecht, dass er nicht alle Medien und Medienvertreter kontrollieren kann. Er engagierte den erprobten Spindoktor Alastair Campbell, der für den früheren britischen Premier Tony Blair gearbeitet hatte. Die Idee, dass es in der Politik hauptsächlich darum gehe, Narrative ans Publikum zu verkaufen, verstärkte Ramas Hybris.

Kaum jemand wagt mehr, dem Premier, der in Regierungssitzungen gelegentlich herumbrüllt, etwas entgegenzusetzen. Denn wer nicht kuscht, kann auch rausfliegen. Der ehemalige Außenminister Ditmir Bushati wurde 2018 ausgetauscht, weil er im Gegensatz zu Rama gegen einen Gebietstausch zwischen Serbien und Kosovo war. Rama, der etwa so lang an der Macht ist wie der serbische Präsident Aleksandar Vučić, arbeitet mit diesem zusammen. Beide autoritären Alphamänner kommen wiederum mit dem Premier des Nachbarstaats Kosovo, Albin Kurti, einem prinzipientreuen und demokratisch gesonnenen Intellektuellen, nicht zurande.

Demokratiedefizite

Rama fiel Kurti zuletzt in den Rücken und sagte im Juni ein Treffen der kosovarischen und der albanischen Regierung ab, nachdem zuvor die USA und die EU die Regierung Kurti bestraft hatten, weil diese sich nicht den Vorgaben des Westens gebeugt hatte. Die derzeitige Politik der USA, die von der Vorstellung geleitet wird, dass Tirana eine Art Schirmherrschaft über die albanische Bevölkerung in der Region – auch im Kosovo und in Nordmazedonien – ausüben sollte, fördert zusätzlich Ramas Vorstellung von der eigenen Größe und Bedeutung. Von westlicher Seite gibt es kaum Kritik an dem Regierungschef, der sich gern als weltgewandter Künstler darstellt.

Der Politikwissenschafter Afrim Krasniqi aus Tirana meint, Rama sei es vor allem gut gelungen, sich im Westen zu verkaufen. "Aber für uns ist er nicht der moderne und reformorientierte Künstler, Sportler und Buchautor." Im eigenen Lande trete er mit "Arroganz und kommunistischer Mentalität gegenüber liberalen Kritikern und politischen Gegnern" auf. Krasniqi verweist darauf, dass es vor allem innerhalb der Sozialistischen Partei an Demokratie fehle, weil Rama dies nicht zulasse. Die Macht Ramas beruhe auch darauf, dass er Oligarchen wie Institutionen kontrolliere.

Dabei sei er auch "eine informelle Allianz mit einigen kriminellen Gruppen" eingegangen, meint Krasniqi. "Ich glaube nicht, dass Rama selbst in Verbrechen verwickelt ist – aber ich glaube, dass er die kriminellen Gruppen toleriert, die mit seiner Partei verbunden sind", analysiert er. Denn ohne ihre Hilfe hätte er keine Mehrheit im Lande.

Albanien unter Edi Rama ist jedenfalls in einem diffusen und widersprüchlichen Zustand. Einerseits wurden durch die Justizreform, die Rama vorantrieb, viele korrupte Staatsanwälte und Richter entlassen. Andererseits nimmt die Regierung weiter Einfluss. Insbesondere auf die Polizei. Irgendwer muss auch dem einst mächtigen Arben Ahmetaj gesteckt haben, dass er verhaftet werden sollte. Der ehemalige Vizepremier hat sich mittlerweile nach Großbritannien abgesetzt. (Adelheid Wölfl, 23.8.2023)