In Ermangelung schriftlicher Aufzeichnungen wissen wir vergleichsweise wenig darüber, wie Menschen in prähistorischen Zeiten lebten und liebten. Die Untersuchung alter DNA hat das in den letzten Jahren geändert und ermöglichte neue Einblicke in alte Familiensysteme – und etwa auch Antworten auf die Frage, wer sich mit wem paarte und Kinder hatte. Jüngstes Beispiel für diese Fortschritte ist eine Studie eines deutsch-russischen Forscherteams, das einen 3.800 Jahre alten Grabhügel in der Steppe des südlichen Urals untersuchte.

Grabstätte Südural
Lage der Grabstätte in der südlichen Ural-Region.
Joachim Burger

In diesem als Kurgan bezeichneten Grabhügel in Nepluyevsky an der Grenze von Europa und Asien fanden sich die Überreste von sechs Brüdern, ihren Frauen, Kindern und Enkeln. Die genetischen Analysen zeigten, dass der vermutlich älteste Bruder acht Kinder mit zwei Frauen hatte, wobei eine der Frauen aus den asiatischen Steppengebieten im Osten stammte. Für die anderen Brüder hingegen konnten keine Anzeichen von Polygamie festgestellt werden. Sie lebten wahrscheinlich monogam mit deutlich weniger Kindern.

Die Privilegien des Erstgeborenen

"Die Grabstätte bietet eine faszinierende Momentaufnahme einer prähistorischen Familie", erklärt Jens Blöcher (Uni Mainz), Erstautor der Studie. "Es ist bemerkenswert, dass der erstgeborene Bruder offenbar einen höheren Status innehatte und dadurch auch erhöhte Reproduktionschancen. Wir kennen dieses Recht des männlichen Erstgeborenen zum Beispiel aus dem Alten Testament, aber auch aus historischen Zeiten in Europa. In Nepluyevsky sind die Unterschiede im Hinblick auf die Anzahl der Nachkommen allerdings besonders deutlich."

Die genomischen Daten offenbarten aber noch mehr, wie die Forschenden im Fachblatt "PNAS" berichten. So waren alle im Kurgan begrabenen Frauen zugereist. Die Schwestern der begrabenen Brüder dürften umgekehrt andernorts eine neue Heimat gefunden haben. "Weibliche Heiratsmobilität ist ein universell verbreitetes Muster, das aus wirtschaftlicher und evolutionärer Sicht sinnvoll ist", sagt Joachim Burger, der Seniorautor der Studie. Während also die Männer vor Ort bleiben und die Kontinuität der Stammeslinie und des Besitzstandes sichern, heiraten die Frauen von außen ein, um Verwandtenehen und Inzucht zu verhindern.

Bronzezeit Leiche Hirtenfamilie
Skelett eines Jugendlichen auf dem Fundplatz Nepluyevsky.
Svetlana Sharapova

Die Populationsgenetiker der Uni Mainz stellten an den Genomen der prähistorischen Familie zudem fest, dass die genetische Diversität der Frauen deutlich höher war als die der Männer. Die eingeheirateten Frauen stammten also aus einem größeren Gebiet und waren nicht untereinander verwandt. In ihrer neuen Heimat folgten sie ihren Männern ins Grab.

Das harte Leben der Hirten

Vor 3.800 Jahren lebten die Bevölkerungen im Süden des Urals als Hirten, die bereits Metallverarbeitung kannten. Es fanden sich aber kaum Anzeichen für Ackerbau. Und insgesamt muss das Leben sehr hart gewesen sein. "Die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen betrug etwa 28 Jahre, die der Männer 36 Jahre", sagt Jens Blöcher. "Der Gesundheitszustand der hier begrabenen Familie muss sehr schlecht gewesen sein." Zum schlechten Gesundheitszustand der Leichen passt auch, dass die Benutzung des Grabhügels plötzlich aufhörte.

In der letzten Generation, die bestattet wurde, sind fast nur noch Säuglinge und Kleinkinder zu finden. Möglicherweise wurden die Bewohner von Krankheiten dezimiert oder die verbliebene Bevölkerung zog auf der Suche nach einem besseren Leben an einen anderen Ort. (tasch, 20.9.2023)