Während in Moskau Spekulationen über den Tod Jewgeni Prigoschins vorerst kein Ende nehmen, strahlte die Fassade des Kiewer Bahnhofs bereits in Blau und Gelb, den ukrainischen Nationalfarben. Der diesjährige Unabhängigkeitstag am Donnerstag warf da schon seinen Schatten voraus. "Stolz, die Ukraine zu sein", steht darauf auf Ukrainisch und Englisch geschrieben. Die Bahn und ihre Mitarbeiter wurden nach Beginn der Invasion am 24. Februar vergangenen Jahres zu einem Sinnbild des Widerstands und des Durchhaltewillens: Seit Kriegsbeginn wurde der Zug für viele Menschen zum verlässlichsten Transportmittel – und manche Strecken, die den Westen mit dem Osten des Landes verbinden, zu einer Lebensader für die Lieferung von Hilfsgütern und Waffen.

Die Stahlstatue Mutter Heimat mit dem ukrainischen Wappen in der Hand.
Mutter Heimat wacht künftig nicht mehr mit Hammer und Sichel, sondern mit dem ukrainischen Dreizack über Kiew. Auch sonst sind die Symbole der ukrainischen Nation omnipräsent.
EPA/SERGEY DOLZHENKO

Doch der auf der Fassade des Bahnhofs beschworene "Mut" ist in der Ukraine längst auch eine Marke. Sie wurde im April vergangenen Jahres ins Leben gerufen, einige Wochen bevor das ukrainische Parlament die Symbole "Z" und "V", mit denen das russische Militär für seinen Krieg in der Ukraine wirbt, verbot. "Be Brave Like Ukraine", so lautet der Slogan der Kampagne, die vom Präsidialamt, vom Ministerkabinett, vom Kulturministerium und jenem für digitale Transformation mitentwickelt wurde.

Video: Die Ukraine feiert ihre Unabhängigkeit
AFP

Drei Tage

"Als der Krieg begann, gab uns die Welt drei Tage", heißt es auf der Webseite, die außerdem Download-Material zum Ausdrucken oder in passender Auflösung für die sozialen Medien zur Verfügung stellt.

Und weiter: "Wir gaben der Welt die Chance, zu sehen, was ukrainische Tapferkeit ist." Laut Nadia Kaneva, die als Professorin für Medien-, Film- und Journalismuswissenschaft an der University of Denver tätig ist, ist dies der erste Fall, in dem ein Staat Markenkommunikation zum strategischen Instrument in einem Krieg macht.

Die Bravery-Kampagne mit ihrer Botschaft zielt mittlerweile vor allem auf die Unterstützung der Ukraine im Ausland ab und verweist etwa auf die von Präsident Wolodymyr Selenskyj gelaunchte Plattform "United24", über die unter anderem in wenigen Schritten für die Verteidigung, den Wiederaufbau oder die Armee gespendet werden kann.

In der Ukraine selbst gehören Maßnahmen, die den Zusammenhalt und die Unabhängigkeit des Landes betonen, längst zum Alltag. Sie reichen von Heldenvideos über Soldaten auf Youtube und Instagram bis zu Rock- und Techno-Coverversionen der Nationalhymne im Radio. Auf den Tischen der Händler in Kiews U-Bahn-Stationen und Straßenmärkten liegen T-Shirts und Pullover, Armeeabzeichen und Schlüsselanhänger, auf die nicht nur ukrainische Flaggen gedruckt wurden, sondern auch die seit der Invasion allgegenwärtigen Sprüche "Russisches Kriegsschiff, fick dich" und "Guten Abend, wir sind aus der Ukraine".

Gut gemeinte Geschmacklosigkeit

Das an vielen Orten erhältliche Putin-Klopapier und die Kondome mit seinem Gesicht dagegen waren bereits vor dem 24. Februar 2022 im Sortiment. Damals verachteten viele Putin zwar, doch am Unabhängigkeitstag vor zwei Jahren waren die wirtschaftlichen Nachwehen der Corona-Pandemie am Arbeitsmarkt, Impfzertifikate und Quarantäneregelungen bei der Einreise in die EU aus dem damals meist tiefroten Risikoland Ukraine die weit drängenderen Probleme – und die tiefgreifenden Veränderungen, die bevorstanden, nicht absehbar.

Mittlerweile wurden Straßen nach Städten wie Mariupol umbenannt. Sowjetische Denkmäler wurden gestürzt. Und auf dem Schild in der Hand der über dem Fluss Dnjepr wachenden Mutter-Heimat-Statue in Kiew ersetzt der Dreizack seit kurzem Hammer und Sichel. Er ist nicht nur Teil des Wappens und nun außerdem fester Bestandteil des Wahrzeichens, sondern auch aus der Modewelt und aus der Tattoo-Szene nicht mehr wegzudenken.

Ob auf Briefmarken oder den Verpackungen von Alkohol und Salz aus der Gegend rund um Bachmut: Wo immer es möglich ist, wird die Botschaft untergebracht, dass die Ukraine stark und – entgegen den Behauptungen aus dem Kreml – kein Teil von Russland ist. Doch in manchen Fällen gingen Unternehmen zuletzt zu weit. Das übermäßige Branding mit Motiven, die im Zusammenhang mit dem Krieg stehen, ließ etwa Marken wie Heroic Bucha Kombucha, eine Radieschensorte, die nach Asow-Stahl benannt wurde, oder ein "Heroes Don’t Die"-Bier entstehen, die wahrscheinlich gut gemeint waren, für viele allerdings eine Geschmacklosigkeit darstellen.

Ende März brachten Abgeordnete der Werchowna Rada deshalb einen Gesetzesentwurf zur Einschränkung kommerzieller Werbung mit Kriegsmotiven ein. Schließlich werde nicht bei jedem Produkt Geld an humanitäre Organisationen oder die Armee gespendet. Patriotismus verkauft sich auch einfach gut. (Daniela Prugger aus Kiew, 24.8.2023)