Absturzstelle in der russischen Region Twer.
Dieses Still aus einem Video zeigt die Absturzstelle des Flugzeugs in der russischen Region Twer.
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Nach dem Flugzeugabsturz, bei dem der Chef der russischen Söldner-Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, und sein Stellvertreter Dmitri Utkin ums Leben gekommen sein sollen, hat die russische Luftfahrtbehörde ein Ermittlungsteam zur Absturzstelle in der Region Twer geschickt, um die Unglücksursache zu klären. Der Privatjet des Typs Embraer Legacy hatte sich auf dem Weg von Moskau nach St. Petersburg befunden, insgesamt seien zehn Personen an Bord gewesen, niemand habe überlebt, hieß es am Mittwoch.

Um Spekulationen darüber, dass sich Prigoschin zwar auf der Passagierliste, aber gar nicht im Flugzeug befunden habe, zu entkräften, muss Moskau möglichst schnell Beweise für dessen Tod vorlegen. Eine Identifizierung von Absturzopfern ist aber in der Regel nicht einfach. Schon gar nicht, wenn wie im vorliegenden Fall das Wrack am Boden in Feuer aufgegangen ist. Oft können nur mehr DNA-Forensiker menschliche Überreste identifizieren.

Video: Absturz in Russland: Leichen in forensische Klinik gebracht
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Abgleich mit früheren Spuren

Dafür brauchen die Fachleute sogenannte Ante-mortem-Spuren, am besten ein DNA-Profil, das schon zu Lebzeiten der betreffenden Person erstellt wurde. Ist Prigoschins DNA schon in einer Datenbank gespeichert, können die an der Absturzstelle entnommenen Post-mortem-Spuren damit verglichen werden. Gibt es noch kein Profil, was wahrscheinlich ist, müssen die Forensiker nach DNA-Spuren suchen, die Prigoschin zu Lebzeiten hinterlassen hat. Beispiele sind Haarbürsten, Zahnbürsten oder Bekleidung, die eindeutig und zweifelsfrei zugeordnet werden können. Aber auch ein DNA-Abgleich mit verwandten Personen kommt infrage.

Österreich hat sich bei der Identifizierung von Unglücks- und Katastrophenopfern in den vergangenen zwanzig Jahren einen internationalen Ruf erarbeitet. Im Bedarfsfall werden vom Innenministerium DVI-Teams (Desaster Victim Identification) zusammengestellt. In diesen Teams kooperieren Kriminalbeamte, Tatortspezialisten, Gerichtsmediziner, Odontologen (Vergleich von Zahnschemata), Daktyloskopen (Fingerabdrücke) und einsatzspezifische Fachleute etwa der Austro Control oder der ÖBB.

Systematisches Vorgehen

An den Einsatzorten werden sogenannte Lines gebildet, einzelne Stationen, an denen Fingerabdrücke, Zahnbilder und DNA-Proben genommen werden. Die Arbeitsschritte werden fotografisch dokumentiert und in international standardisierte Formulare übertragen. In weiterer Folge werden dann die Proben mit übermitteltem Material abgeglichen, das zu Lebzeiten einer vermissten Person angefallen ist. Dazu gehören Röntgenbilder, Zahnschemata, DNA-Spuren und allfällige Hinweise auf besonders auffällige körperliche Merkmale.

Eine Entsendung eines österreichischen DVI-Teams nach Russland ist derzeit nicht geplant, heißt es auf Anfrage des STANDARD im Bundeskriminalamt. Üblicherweise werde Unterstützung nur über Ersuchen eines betroffenen Staates geleistet. Was derzeit nicht der Fall sei. Wenn in Katastrophenfällen österreichische Staatsbürgerinnern und Staatsbürger oder in Österreich dauerhaft aufhältige Personen involviert seien, dann würde beim betroffenen Staat aktiv angefragt werden.

Reaktion auf Katastrophen

Das lose DVI-Team mit rund 250 Mitgliedern wurde aufgrund der Katastrophen im Tauerntunnel (zwölf Tote bei Brand im Jahr 1999), von Galtür (Lawinenunglück mit 38 Todesopfern ebenfalls 1999) und Kaprun (155 Tote bei einem Brand im Tunnel der Gletscherbahn im Jahr 2000) geschaffen. Auch bei der Identifizierung von Menschen, die bei der Erdbeben- und Tsunamikatastrohe im Jahr 2004 starben, waren österreichische Spezialisten monatelang im Einsatz. An den Küsten im Indischen Ozean kamen damals insgesamt 230.000 Menschen ums Leben. Zu einem weiteren internationalen Einsatz wurde das DVI-Team 2019 nach dem Absturz einer Boeing in Äthiopien gerufen. Unter den 157 Todesopfern befanden sich damals auch drei Passagiere aus Österreich. (Michael Simoner, 24.8.2023)

Hinweis: Dieser Artikel wurde am 25.8. um 11 Uhr 30 mit dem Statement des Bundeskriminalamtes aktualisiert.