Alles war normal. Die Flugdaten des Privatjets vom Typ Embraer Legacy 600 zeigten keine Probleme an. Dann hörten Augenzeugen kurz vor dem Absturz zwei laute Knallgeräusche. Das deutet auf eine Explosion hin. Nahezu senkrecht, so zeigt es ein Video, stürzte das Flugzeug ab. Unterwegs war es von Moskau nach Sankt Petersburg, wo Jewgeni Prigoschin den Firmensitz seiner Gruppe Wagner hat. Oder hatte.

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Offiziell bestätigt ist der Tod Prigoschins nicht. Und: Laut dem Telegram-Kanal "Grey Zone", einer Art inoffizieller Nachrichtenagentur von Wagner, sind zwei Flugzeuge der Gruppe in der Luft gewesen. Das zweite habe auf dem Flug nach Sankt Petersburg kehrtgemacht und sei am Flughafen Ostafjewo südlich von Moskau gelandet. Möglich, dass Prigoschin in der zweiten Maschine war, sich aber auf die Passagierliste der ersten gesetzt hat. Schon mehrfach vermeldete man den Tod Prigoschins. Als im Oktober 2019 in der Demokratischen Republik Kongo ein Frachtflugzeug abstürzte, wurde berichtet, Prigoschin sei an Bord gewesen. Das stellte sich als unwahr heraus. Ebenso auch Berichte von 2022, der Wagner-Chef sei in der Region Luhansk gestorben.

Video: Wagner-Chef Prigoschin offenbar bei Absturz mit Privatjet ums Leben gekommen
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Sohn einer Künstlerin

Sollte Jewgeni Prigoschin wirklich tot sein, hinterlässt er seine Mutter, seine Frau und drei Kinder. Fast alle nahen Verwandten Prigoschins, mit Ausnahme seiner jüngsten Tochter, stünden unter Sanktionen, so die "Rostower Zeitung". Prigoschin wurde in Leningrad geboren, dem heutigen Sankt Petersburg. Seine Mutter arbeitete als Ärztin in einem Krankenhaus. Laut Medienberichten schrieb sie ein Buch über Infektionskrankheiten. Wioletta Prigoschina ist auch Künstlerin und Gründerin der Galerie Colors of Life in Sankt Petersburg. Mehrere Jahre lang sei sie Miteigentümerin des Cateringunternehmens Concord Management and Consulting gewesen, das zur Prigoschins Unternehmensgruppe Concord gehört. Prigoschins Vater starb früh.

Bilder vom Jewgeni Prigoschin und Dmitri Utkin, an denen ein Söldner Blumen niederlegt.
Auch vor der Filiale der Söldnergruppe Wagner in Nowosibirsk legten Söldner Blumen für die beiden Führungsfiguren Jewgeni Prigoschin und Dmitri Utkin nieder.
APA/AFP/VLADIMIR NIKOLAYEV

Prigoschins Frau, die 52-jährige Lyubow Prigoschina, besitzt laut Medienberichten ein Anwesen im Dorf Kabardinka in der Nähe von Gelendschik am Schwarzen Meer. Prigoschin hat oder hatte drei Kinder, die älteste Tochter Polina, seinen Sohn Pawel und die jüngere Tochter Weronika. Angeblich besitzt Polina viele Vermögenswerte der Familie. Sie soll Miteigentümerin von Chocolate Museum sein, einer Kette von Schokoladenläden. Zu den Kunden gehört auch die russische Eisenbahn. Polina Prigoschina soll auch wertvolle Immobilien in Sankt Petersburg besitzen. Seine jüngste Tochter Weronika ist angeblich die Besitzerin des Red Stars Hotels in Sankt Petersburg.

Kritik bekommt nicht gut

Russlands Präsident Wladimir Putin und Prigoschin waren einander schon aus Sankt Petersburg bekannt. Als Putin dort noch in der Stadtverwaltung arbeitete, soll er öfters Gast in Prigoschins Gastrobetrieben gewesen sein. Später, als Putin Präsident wurde, begann Prigoschins Aufstieg. Zunächst richtete seine Cateringfirma Staatsbankette aus. Deshalb nennt man ihn auch "Putins Koch". Seit dem Beginn der Kämpfe in der Ukraine handelte die Söldnergruppe Wagner wie eine eigene militärische Macht in Russland. Eine entscheidende Rolle spielte die Wagner-Truppe bei der Eroberung der ukrainischen Stadt Bachmut.

Prigoschin kritisierte immer schärfer die russische Militärführung, durchaus auch mit derbem Vokabular. In Russlands Straflagern ging Prigoschin ein und aus, um dort Verurteilte zu rekrutieren – mit dem Versprechen, sie bekämen nach Ende ihres Dienstes die Reststrafe erlassen. Der Kreml schaute zu. Mit seinem gescheiterten Marsch auf Moskau allerdings hatte Prigoschin den Bogen überspannt. Seine Leute mussten sich nach Belarus zurückziehen, sein Vertrauter, der bisherige Luftwaffen-Chef Sergej Surowikin, wurde vor wenigen Tagen seines Amtes enthoben.

Kreml-Chef Wladimir Putin äußerte sich zunächst nicht zu dem Flugzeugabsturz. Vor Prigoschins Hauptquartier in Sankt Petersburg legten Menschen am Donnerstag Blumen, Kerzen und Aufnäher mit dem Wagner-Logo nieder, ebenso bei anderen Stützpunkten der Söldnertruppe. "Uns fehlen die Worte", sagte ein maskierter Mann und rief dazu auf, Prigoschin "und alle unsere Kommandanten" zu unterstützen. (Jo Angerer aus Moskau, 24.8.2023)