Chinas Staatschef Xi Jinping
Chinas Staatschef Xi Jinping war im Gegensatz zum per internationalem Haftbefehl gesuchten russischen Präsidenten persönlich in Johannesburg.
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Am Donnerstag ging der Gipfel der Brics-Staaten im südafrikanischen Johannesburg mit dem Entschluss zu Ende, das Bündnis auf elf Staaten zu erweitern. Dass es in der jetzigen weltpolitischen Lage "Abgrenzungsabsichten" gibt, sei politisch nachvollziehbar, meint Expertin Daniela Schwarzer. Der Westen müsse sich aber bemühen, im Gespräch zu bleiben.

STANDARD: Am Donnerstag ging der Brics-Gipfel zu Ende. Wird dieses Treffen als Grundstein für die Bildung einer neuen Weltordnung gelten?

Schwarzer: Das Brics-Treffen ist tatsächlich sehr relevant. Seit einiger Zeit stellen einzelne Staaten die westlich geprägte liberale Ordnung seit Ende des Zweiten Weltkriegs infrage. China und Russland haben das schon vor Beginn des Krieges in der Ukraine in einer gemeinsamen Stellungnahme getan. Brasilien und auch die Golfstaaten machen immer wieder Vorstöße, sich selbst als internationale Player zu positionieren. Auch Südafrika hat im Zusammenhang mit seiner Einladung an die Brics-Staaten betont, dass es die bestehende Weltordnung verändern will. Wie die neue Ordnung aussehen wird, ist aber noch unklar.

STANDARD: Iran, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien, Ägypten und Argentinien sollen aufgenommen werden. Was halten Sie davon?

Schwarzer: Die Erweiterung der Brics-Gruppe ist ein strategischer Erfolg für China und Russland, die bereits seit einiger Zeit für die Aufnahme neuer Mitglieder werben. Mit Iran, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten stoßen drei der weltweit größten Exporteure von Öl und Gas dazu. Gleichzeitig treten mit dem Iran und Saudi-Arabien zwei weitere regionale Rivalen in die Reihen der Brics, deren regionale Rivalitäten einer kohärenten Politik im Wege standen. Der politische Westen muss die Erweiterung als Versuch verstehen, ein ernsthaftes Gegengewicht zu den G7 zu etablieren, deren Anteil am weltweiten BIP immer weiter schwindet.

STANDARD: Wie muss sich Europa positionieren, um sich zu behaupten? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich ja vergeblich bemüht, eine Einladung nach Johannesburg zu bekommen.

Schwarzer: Es ist wichtig, dass es keine zunehmende Entkopplung oder gar Sphärentrennung gibt. Enge politische und wirtschaftliche Beziehungen zwischen Brics und G7, zwischen dem politischen Westen und Staaten, die andere Modelle verfolgen, sind wichtig. Insofern ist der Vorstoß von Macron nicht falsch und signalisiert, dass man Teil der Diskussion sein will und das auch früh zeigt. Das Ziel muss sein, dass gemeinsam wirksamere und fairere globale Governance-Strukturen geschaffen werden – und dies auf Grundlage der Werte, die alle Staaten mit der Charta der Vereinten Nationen unterschrieben haben. Dass es jetzt erst einmal Abgrenzungsabsichten seitens der Brics gibt, ist allerdings politisch nachvollziehbar.

STANDARD: Russland als kriegsführender Aggressor ist allerdings auch für die anderen Brics-Staaten derzeit ein schwieriger Partner?

Schwarzer: Die anderen Brics-Staaten haben sich entweder zögerlich kritisch gegenüber Russland verhalten oder neutral. Das sehe ich in den meisten Fällen nicht als Unentschiedenheit, sondern als taktisches Kalkül und als Versuch, Interessen auszubalancieren. Indien hat über Jahre eine große Abhängigkeit von militärischem Equipment aufgebaut und kann jetzt nicht von heute auf morgen umschwenken. Gleichzeitig profitiert Indien wie China davon, aktuell billiges Öl aus Russland zu beziehen. Aber natürlich ist es für manche Brics-Staaten schwierig, dass Russland ganz klar internationales Recht verletzt und einen Staat in seiner Souveränität bedroht und massive Kriegsverbrechen begeht. Auch hat niemand ein Interesse an der Eskalation des Krieges. Das hat China zum Beispiel auch sehr deutlich gemacht.

STANDARD: Aber wir sehen trotzdem einen engen Schulterschluss zwischen China und Russland.

Schwarzer: Ja, in Fragen der globalen Ordnungsgestaltung und bezüglich einer engeren Wirtschaftspartnerschaft. China liefert zwar keine Panzer oder offensichtlich schweres Kriegsgerät, aber doch beispielsweise Lastwagen, Schusswaffen und Kriegsrelevantes wie Drohnen und andere Technologien. Dabei ist für China aktuell relevant, dass das eigene Wirtschaftssystem eben im Moment auf wackeligen Beinen steht, etwa durch die Immobilienkrise. Chinas Interesse an einer externer Nachfrage, auch von seinen westlichen Handelspartnern, ist daher groß.

STANDARD: Entsteht tatsächlich eine neue politische Bipolarität zwischen autokratischen und demokratischen Staaten?

Schwarzer: Wir erleben gerade keinen Kalten Krieg 2.0 – auch wenn die demokratischen und autoritären Staaten dabei sind, ihre jeweiligen Gruppen (wie die G7 oder die Brics) neu zu organisieren. Die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen dürften aber eng bleiben, auch wenn etwa die EU und auch die USA eine De-Risking-Politik verfolgen. Sie versuchen, strategische Abhängigkeiten zu reduzieren, ebenso wie auch China bereits in manchen Bereichen auf Autarkie setzt – um sich weniger verwundbar zu machen und die eigenen Handlungsspielräume, etwa in der Außenpolitik, zu vergrößern. Eine weitreichende wirtschaftliche Entkopplung würde für beide Seiten von Nachteil sein und zu Wachstumseinbrüchen führen. Zudem braucht man sich gegenseitig für die Lösung globaler Probleme und Bedrohungen wie Klimawandel oder Pandemien.

Wir müssen aber die Idee aufgeben, dass globale Wirtschaftsbeziehungen zwischen autoritären Systemen und Demokratien zum Wandel der autoritären Systeme führen. Das hat jetzt Russland widerlegt, und das widerlegt auch China. Und damit ist ein altes westliches Paradigma konterkariert.

STANDARD: Wo findet der afrikanische Kontinent seinen Platz? Muss Europa auch hier einsehen, dass Werteexport nicht funktioniert?

Schwarzer: Die Europäer müssen ihre Afrikapolitik dringend überdenken, und dies nicht nur, weil immer mehr Konflikte und die Folgen der Klima- und Ernährungskrise den Kontinent erschüttern. Die EU konkurriert mit China und auch Russland um Einfluss und Zugänge auf dem Kontinent, was auch Folgen für die Förder- und Entwicklungspolitik hat. Wie auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds bindet die EU ihre Kreditvergabe oder Transferzahlungen an Good-Governance-Grundsätze. China vergibt Kredite ohne solche Bedingungen, schafft aber große Abhängigkeiten. Einige Staaten haben schnell gemerkt, dass die Rechnung am Schluss kommt. Die Bedingungen für die Rückzahlungen und Kreditverlängerungen sind oft hart, in vielen Fällen hat China Zugriffsrechte. Trotzdem bleiben Infrastrukturinvestitionen oder bilaterale Kredite, die China vergibt, ein wichtiges Zeichen des Systemkonflikts. Aber viele Staaten Afrikas, wie auch Europa, sehen die Abhängigkeiten, die China geschaffen hat, kritischer.

STANDARD: Europa hat jedenfalls in Afrika Glaubwürdigkeit verspielt.

Schwarzer: Ja, wir müssen glaubwürdige und effektive Mechanismen für Kooperationen bilden und im Krisenmanagement besser werden. Das haben auch die Covid-Krise und der etwa in Afrika als egoistisch wahrgenommene Umgang Europas mit Impfstoffen gezeigt. Oder der Vorwurf an den Westen, die Klimakrise hauptsächlich verursacht zu haben und die ärmeren Staaten mit der Bewältigung der Folgen zu lange alleingelassen zu haben. Die Risiken, die sich aus multiplen und verflochtenen Krisen ergeben, waren noch nie so akkumuliert und verflochten wie jetzt. Ein Mindestmaß an Stabilität zu erhalten ist eine große politische Aufgabe. Dabei können eben auch zivilgesellschaftliche Diskussionen und insbesondere auch der Einbezug von Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur eine große Rolle spielen, wie dies gerade der Salzburger Trilog des Liz Mohn Center gezeigt hat. Es ist sehr wichtig, der Tendenz, sich zu isolieren, entgegenzuwirken.

STANDARD: Auf politischer Ebene könnte auch eine Reform der Uno beitragen?

Schwarzer: Ja, die Uno als globales Forum mit klarer Wertegrundlage ist wichtig – und auch ihre Reform. Sobald ein Staat mit permanentem Sitz im Sicherheitsrat Kriegspartei ist, ist der Sicherheitsrat in diesem speziellen Konflikt entscheidungsunfähig. Deshalb ist die Generalversammlung so wichtig und damit die Frage, wie man sie aufwerten und zivilgesellschaftliche Kräfte noch stärker einbeziehen kann. (Manuela Honsig-Erlenburg aus Salzburg, 24.8.2023)

Prof. Dr. Daniela Schwarzer
Daniela Schwarzer ist Vorständin der Bertelsmann-Stiftung. Wir sprachen mit ihr am Rande des jährlichen Salzburger Trilogs des Liz Mohn Centers - eine Initiative der Bertelsmann Stiftung - auf Einladung ebendieser. Schwarzer ist Expertin für europäische Angelegenheiten sowie transatlantische und internationale Beziehungen.
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