Bei der Klimapolitik scheiden sich die Geister – nicht nur zwischen Kanzler Karl Nehammer (ÖVP), Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) und FPÖ-Obmann Herbert Kickl (von links nach rechts).
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Der Kanzler spricht von falscher Panikmache – und in der FPÖ wird der menschengemachte Klimawandel überhaupt negiert. Wer hat recht? Und reden alle anderen deshalb Unsinn? So einfach ist es nicht. Wir haben sieben politische Aussagen zum Klima auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft.

Karl Nehammer
Für Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist das Klima "global und nicht national".
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1. "Das Klima ist global und nicht national." Karl Nehammer (ÖVP), März 2023

These: Man kann ohnedies nichts bewirken.

Faktencheck: Es ist nicht von der Hand zu weisen: Ja, ein Einzelner kann den Klimawandel nicht stoppen, und selbst ganz Österreich ist global betrachtet nur ein Punkt auf der Weltkugel. Im Jahr 2021 trug Österreich 0,17 Prozent zum weltweiten CO₂-Ausstoß bei. Mit seiner Analyse, dass der Klimawandel ein globales Phänomen ist, hat der Kanzler recht. Daraus abzuleiten, dass Klimamaßnahmen allein in der globalen Verantwortung liegen, wäre aber ein Trugschluss.

"Der Klimawandel entsteht durch lokales und nationales Handeln", sagt der Ökologe Franz Essl von der Universität Wien. Da habe auch Österreich seinen Beitrag zu leisten. Michael Obersteiner, Direktor des Instituts für Umweltveränderungen an der Universität Oxford, sagt: "Jeder, der nicht mitmacht, ist ein klassischer Trittbrettfahrer." Dazu kommt, dass individuelle Handlungen oft weitere Kreise ziehen. "Einzelne persönliche Entscheidungen können 'ansteckend' im besten Sinne des Wortes wirken und im Umfeld zu einem Umdenken führen", sagt Daniel Huppmann vom Internationalen In­stitut für angewandte Systemanalyse in Laxenburg. "Außerdem können persönliche Entscheidungen helfen, dass politische Entscheidungsträger:innen Maßnahmen rascher und mit mehr Nachdruck umsetzen."

Fazit: Es ist kompliziert

2. "Österreichs Strom wird in Zukunft ausschließlich aus erneuerbaren Quellen erzeugt." Werner Kogler (Grüne), März 2021

These: Der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energie ist in absehbarer Zeit möglich.

Faktencheck: Die Annahme, dass der Umstieg auf 100 Prozent grüne Energie in absehbarer Zeit möglich ist, hat einen richtigen Kern, ist aber dennoch falsch. Richtig ist, dass der zeitnahe Umstieg auf eine ­erneuerbare Stromerzeugung aus wissenschaftlicher und technischer Sicht möglich ist. Ob das tatsächlich in absehbarer Zeit umgesetzt wird, steht aber auf einem anderen Blatt. Aktuell sieht es nicht danach aus.

Daniel Huppmann verweist auf den Entwurf des Nationalen Energieplans des Klimaministeriums. Laut diesem ist es mit den aktuell gesetzten Maßnahmen nicht plausibel, dass Österreich bis 2030 zu 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen bezieht. "Es bleibt derzeit eine Lücke von etwa 25 Prozent beim Ausbau der Erneuerbaren bis 2030", sagt Huppmann. Aber: "Viele ­andere Länder zeigen, dass dieser Weg ­beschritten werden kann. Es gibt keinen Grund, warum das in Österreich nicht möglich sein sollte", betont Birgit Bednar-Friedl.

Fazit: Es ist kompliziert

Herbert Kickl
FPÖ-Obach Herbert Kickl sieht die Rolle des Weltklimarates kritisch.
APA/HELMUT FOHRINGER
3. "Es gibt 'nur die eine Wissenschaft' – die Medien rollen das alle gleichgeschaltet aus." Herbert Kickl (FPÖ), August 2023

These: Auch in der Wissenschaft ist der Klimawandel umstritten.

Faktencheck: "Diese Aussage ist falsch", sagt Klimaforscher Aiko Voigt von der Universität Wien. Der Klimawandel ist wissenschaftlich unumstritten. Das ist eine der ­wesentlichen Erkenntnisse des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats, betont Birgit Bednar-Friedl, die an der Universität Graz zu Klimaökonomie forscht. "Dass die Temperatur global steigt, ist eine Tatsache, die auf normierten Messungen in der ganzen Welt beruht", sagt auch die Meteorologin Helga Kromp-Kolb von der Wiener Universität für Bodenkultur.

Der Weltklimarat wurde 1988 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen. In seinem Auftrag erstellen tausende Forschende aus aller Welt Klimaberichte. "Der Weltklimarat ist sicher keine verschwörerische Organisation, sondern besteht zum ­allergrößten Teil aus sehr seriösen Wissenschaftern, die seit Jahrzehnten zu diesem Thema arbeiten", sagt Michael Obersteiner.

Der Mythos, dass der Klimawandel in der Wissenschaft umstritten sei, ist beinahe so alt wie die Klimaforschung selbst. Inzwischen ist belegt, dass zunächst Ölkonzerne nach dem Vorbild der Tabakindustrie gezielt Zweifel am Klimawandel säten. Auch Kickl bedient sich dieser Strategie, wenn er über den Weltklimarat sagt, es handle sich um "diejenigen, die Klimaszenarien ausrechnen" und dann "ausgerechnet das schlechteste" wählen würden. Tatsächlich ist tendenziell eher das Gegenteil der Fall.

In den vergangenen Dekaden haben sich die Prognosen des Weltklimarats als äußerst treffsicher erwiesen, teilweise waren sie aber zu optimistisch. "Leider haben wir gesehen, dass die Geschwindigkeit der Klimaveränderungen noch rascher geht", sagt Franz Essl.

Fazit: Falsch

4. "Man muss die Klimafrage als sozialdemokratischen Verteilungskampf sehen." Andreas Babler (SPÖ), Juni 2023

These: Der Klimawandel wird die Ungleichheit auf der Welt weiter vergrößern.

Faktencheck: Global gesehen ist es zweifellos richtig, dass tendenziell ärmere Menschen im globalen Süden am stärksten vom Klimawandel betroffen sein werden. Das ist umso ungerechter, als sie anteilsmäßig viel geringer zur Verursachung beigetragen haben als die reichen Industrienationen. "Die Entwicklungsländer leiden stärker unter dem Klimawandel als der globale Norden und einkommensschwache Personen in dicht verbauten Städten mehr als jene im Villenviertel", sagt Helga Kromp-Kolb. Klimaschutz müsse deshalb auch "die Verteilungsfrage sozial regeln, sonst wird er scheitern".

Wen die Klimafolgen in welchem Ausmaß treffen werden, ist aber von vielen Faktoren abhängig. "Die geografische Verteilung der Vor- und Nachteile des Klimawandels korreliert nicht eins zu eins mit der Kapitalverteilung", sagt der Meteorologe Gerhard Wotawa, Bereichsleiter für Daten, Methoden und Modelle bei Geosphere Austria. So würde beispielsweise der Sommertourismus in den Alpen profitieren, andererseits seien reiche Menschen nicht dagegen gefeit, dass ihr Eigentum durch den Klimawandel an Wert verliert. Das ändert aber nichts am großen Bild, dass sich reichere Länder viel besser mit dem veränderten Klima arrangieren könnten.

Fazit: Es ist kompliziert

5. "Dann wird von oben ein Programm zur Weltrettung unter dem Aufbieten von Horrorszenarien rausgeholt." Herbert Kickl (FPÖ), August 2023

These: Im August regnete es so viel, von wegen Erderhitzung!

Faktencheck: Der Juli war einer der wärmsten in Österreichs Messgeschichte. Diesen Sommer hat es aber auch viel geregnet, und es kam zu heftigen Unwettern. Aus einem verregneten Sommermonat zu schließen, dass es keine globale Erwärmung gebe, sei aber "ein grobes Missverständnis", sagt Daniel Huppmann. "Die Klimaphysik zeigt, dass heißere Luft-und Meerestemperaturen zu intensiveren Hitze- und Trockenperioden führen, die sich mit Extremwetterperioden abwechseln." Genau das sei in Österreich diesen Sommer zu beobachten gewesen.

Kickl erklärte auch, dass es statistisch nicht richtig sei, dass es heute mehr Unwetter gebe als früher. Hat er recht? "Diese Aussage steht im klaren Widerspruch zu den Ergebnissen des Weltklimarats", sagt Huppmann. "Die Häufigkeit von Unwettern ist durch die Erderhitzung bereits merklich angestiegen."

Fazit: Falsch

6. E-Fuels sind die Zukunft, wir können den Verbrennungsmotor und das Know-how, das wir in Europa haben, zum Vorteil nutzen. Karl Nehammer (ÖVP), März 2023

These: "E-Autos sind genauso umweltschädlich – wegen ihrer Batterien und des vielen Stroms, den sie fressen."

Faktencheck: Ob Elektroautos in ihrer Energiebilanz besser abschneiden als Autos mit Verbrennermotor, hängt von vielen Faktoren ab: Fahrzeugnutzung, Stromerzeugung, Gewicht und Herstellungsprozess. Eine pauschale Aussage, ob E-Auto oder herkömmliche Pkws klimafreundlicher sind, ist daher nicht möglich. Wenn ein Elektroauto viel ­gefahren wird und der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt, ist die Klimabilanz besser als bei Autos mit Verbrennermotor. Zudem sind Elektromotoren effizienter als Verbrennermotoren. Tendenziell fällt die Rechnung daher zugunsten der Elektroautos aus.

Gleichzeitig ist es natürlich möglich, dass ein Kleinwagen mit Verbrennermotor eine bessere Bilanz aufweist als ein großer E-SUV, der mit Strom aus Kohle betrieben wird. "Wenn ich nur das Antriebssystem wechsle und sonst nichts, habe ich für das Klima nicht viel gewonnen", sagt Essl.

Fazit: Es ist kompliziert

Leonore Gewessler
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) will mit CO2-Einsparungen im Straßenverkehr erreichen.
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7. "Langsamer fahren ist ein Beitrag, den jede und jeder leisten kann." Leonore Gewessler (Grüne), Juli 2022

These: Tempo 100 auf der Autobahn wäre die einfachste Möglichkeit, um den heimischen CO2-Ausstoß zu verringern.

Faktencheck: Wie zahlreiche Berichte des Weltklimarats zeigen, gibt es keine Einzelmaßnahme, die der Schlüssel zum Erfolg beim Klimaschutz ist. "Es ist ganz klar, dass es ein Bündel an Maßnahmen braucht", sagt Birgit Bednar-Friedl.

Abgesehen davon ist es aber schon so, dass der Verkehr seit Jahrzehnten das große "Sorgenkind" in der CO2-Bilanz ist, wie etwa Franz Essl betont. Tempo 100 auf der Autobahn oder auch Tempo 80 auf der Landstraße bieten sich daher als effektive Maßnahmen zur CO2-Reduktion an.

Warum sich die Verringerung der Geschwindigkeit so stark in geringeren CO2-Emissionen niederschlägt, hat mit einem Phänomen zu tun, das Physikstudierende bereits in den Grundkursen kennenlernen: Luft- und Reifenwiderstand steigen exponentiell mit der Geschwindigkeit. Eine geringere Fahrgeschwindigkeit vermindert den Spritverbrauch und den CO2-Ausstoß daher drastisch.

Hinzu kommt für Daniel Huppmann, dass die Maßnahme Tempo 100 "sozial unproblematisch ist, weil die Geschwindigkeitsbeschränkung unabhängig vom Einkommensniveau gilt und keine Mehrausgaben fällig werden". Weitere positive Nebeneffekte sind bessere Luft und mehr Sicherheit im Straßenverkehr.

Fazit: Richtig

(Katharina Mittelstaedt, Tanja Traxler, 26.7.2023)