Die Geständigkeit des Angeklagten erstaunte selbst die Staatsanwältin. Der junge Mann aus dem Tiroler Unterland musste sich am Dienstagvormittag vor dem Geschworenengericht Innsbruck verantworten. Verhandelt wurde über mutmaßliche Verstöße gegen das Verbotsgesetz, das Waffengesetz und eine versuchte schwere Körperverletzung. Herr G. soll sich im nationalsozialistischen Sinn widerbetätigt haben - und das über einen Zeitraum von über zwölf Jahren, konkret seit 2010. Aus welcher Intention er dabei gehandelt habe, diese Frage sei der "kritische Punkt im Verbotsgesetz", erklärte die Staatsanwältin den acht Geschworenen, bevor sich diese um die Mittagszeit zur Beratung zurückzogen. Diese Abwägung habe der umfassend geständige Angeklagte ihnen während des Beweisverfahrens abgenommen. Es sei äußerst selten, dass nach dem Verbotsgesetz angeklagte Personen so umfassend aussagten.

Mit 16 rechts abgebogen

Die Liste der Vorwürfe gegen den Tiroler, die die Staatsanwaltschaft als Verstoß gegen das Verbotsgesetz wertet, ist lang. So soll er im zarten Alter von 16 Jahren begonnen haben, auf Flohmärkten und im Internet diverse Gegenstände "mit Bezug zum Nationalsozialismus beziehungsweise der rechtsextremen Szene" zu erwerben, um sie dann in seiner Dachgeschosswohnung "für Dritte sichtbar zur Schau zu stellen".

Oberlandesgericht Innsbruck
Der Angeklagte bekannte sich vor Gericht sofort schuldig.
Erich Spiess/APA

Im Zuge einer Hausdurchsuchung, die am 17. Jänner diesen Jahres über die Bühne ging, stellte der Verfassungsschutz etwa einen Umschlag von "Mein Kampf" sicher, einen Kalender mit Bildern von Adolf Hitler, außerdem einen NS-Dolch und eingerahmte Fotos von bedeutenden Persönlichkeiten der NSDAP, etwa des in Neonazikreisen bis heute verehrten "Stellvertreter des Führers" Rudolf Heß - der letzte inhaftierte Hauptkriegsverbrecher, der in den Nürnberger Prozessen verurteilt wurde. An zwei Türen in seiner Wohnung seien zahlreiche rassistische und einschlägige Aufkleber angebracht gewesen, zitierte die Staatsanwältin in ihrem Eröffnungsplädoyer aus der Anklageschrift. Zudem hätten die Ermittler eine von G. selbst angefertigte Zeichnung, die ein Wesen mit Totenkopf zeigt, das "einem Juden den Kopf abreißt", sichergestellt.

Haut und Körper einschlägig geschmückt

Auch Haut und Körper soll der Angeklagte entsprechend geschmückt haben: Mit T-Shirts von rechtsextremen Musikgruppen oder einschlägigen Zahlenkombinationen wie 18 ("Adolf Hitler") oder 88 ("Heil Hitler"), einer Lederkutte, Ansteckern, die den SS-Totenkopf oder das Sonnenrad zeigen, das in der Szene oft als "Ersatz" getragen werde, um "das Hakenkreuzverbot zu umgehen", oder einer in schwarz, weiß und rot gehaltenen Armbinde einer finnischen Band, die an die von der NSDAP getragene Armbinde erinnert.

NS-Symbole soll sich der Angeklagte auch unter die Haut stechen haben lassen: So schmücke der SS-Totenkopf seine linke Brust und eine Wolfsangel sowie eine Todes-/Lebensrune seinen Unterarm, beschrieb die Staatsanwältin. Das erste Tattoo soll er sich bereits im Jahr 2016 stechen haben lassen. Die Behörden kannten G. damals schon. 2016 wurde er wegen schwerer Körperverletzung verurteilt.

Alkohol und Propagandafilme

Im Zuge der Hausdurchsuchung stellte der Verfassungsschutz auch diverse Datenträger sicher, auf denen G. Videos abgespeichert hatte, die NS-Propagandamärsche und Reden Adolf Hitlers zeigen. Gerade während der Coronazeit soll er Freunde zu sich eingeladen haben. Laut Aussagen von G. hätten sie sich betrunken und sich währenddessen die Filme zu Gemüte geführt.

Der junge Mann bekannte sich vor der Richterin sofort schuldig - ohne zu Zögern. Sein Verteidiger schwor die Geschworenen gleich zu Beginn ein, ihm das auch hoch anzurechnen: "Er hat nie etwas verheimlicht", unterstrich er im Zuge seiner ersten Wortmeldung. Jetzt sei er "geläutert" und "froh, dass alles aufgedeckt und mitgenommen wurde". "Er möchte endgültig aufräumen", so die Verteidigungslinie.

Bereits in Befragungen habe der Angeklagte eingeräumt, dass er nie auch nur versucht habe, die einschlägigen Gegenstände zu verstecken, sagte die Staatsanwältin. Von Familie und Freunden sei er darauf aufmerksam gemacht worden, dass dies gegen das Gesetz verstoße. Der Umstand, dass bei der Hausdurchsuchung Szenekleidung auch im Wäschekorb gefunden wurde, zeuge davon, dass er diese Kleidungsstücke nach wie vor trage.

Fasziniert von der "eingeschworenen" Gemeinschaft

"Es hat schon in der Hauptschule angefangen", gab der Angeklagte auf die Frage der Richterin zu Protokoll, als sie ihn fragte, wann er die rechtsextreme Gesinnung entwickelt habe. Damals habe ihn der Zusammenhalt in diesen "eingeschworenen" Kreisen fasziniert. Es sei ihm vor allem um die Gemeinschaft gegangen.

Nun gehe er auf Distanz zu dieser Philosophie, betonte der Mann mit leicht wackliger Stimme und breitem Dialekt. Warum? "Ich mags einfach nicht mehr", so seine Begründung. Er habe "probiert", den Kontakt zu seinen Freunden abzubrechen, habe auch kein Problem damit, dass einschlägige Gegenstände konfisziert wurden. Von seinem Verteidiger gefragt, wie er denn zum Holocaust stünde, antwortete G.: "Das ist eines der schlimmsten Sachen, die der Menschheit passiert sind".

Davidstern und eine gebrochene Nase

Die Ermittlungen gegen G. begannen mit einer gebrochenen Nase. Vor einem Lokal in Wörgl soll G. einem Mann, der sichtbar eine Kette mit einem Davidstern-Anhänger getragen habe, einen Kopfstoß verpasst haben. Dieser erlitt dabei einen "unverschobenen Nasenbeinbruch" und erstattete Anzeige: Seiner Meinung nach handelte G. aus antisemitischen Motiven.

Dies stellte G. vor Gericht in Abrede. Der Verletzte und er seien schon seit über zehn Jahren bekannt, sie hätten sich nie besonders gemocht, zwischen ihnen habe es eine "Fehde" gegeben. An besagtem Abend sei er alkoholisiert gewesen, außerdem habe er sich provoziert gefühlt, weil sein Kontrahent mit der Kette "vor seinem Gesicht herumgefuchtelt habe". Er hätte ihn wohl auch geschlagen, wenn der Anhänger kein Davidstern sondern ein "Kruzifix oder Halbmond" gewesen wäre, gab G. zu Protokoll.

Zählt ein NS-Dolch als Waffe oder nicht?

Auch das Waffengesetz wurde im Zuge der Verhandlung bemüht. Im Jahr 2016 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Kufstein im Zuge seiner Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung nämlich ein unbefristetes Waffenverbot gegen den damals jungen Erwachsenen G.. Dennoch soll sich dieser einen NS-Dolch zugelegt haben, den er zuhause verwahrte. Beim Schützenverein soll er außerdem mit einem Gewehr hantiert haben. Der Dolch sei für ihn keine Waffe, sondern ein "Deko-Objekt", entgegnete G.. Außerdem sei er der Meinung gewesen, dass das Waffenverbot mit Ablauf seiner Probezeit auslaufe.

"Hat sich nicht ausgezahlt"

Er habe sich vor dem Lokal beim Verletzten entschuldigt, erklärte G. als ihm die Richterin noch Gelegenheit zu einer letzten Wortmeldung gab. Und er gab zu: "Es hat sich nicht ausgezahlt". Als die Geschworenen nach stundenlanger Beratung über insgesamt sieben Fragen in den Verhandlungsraum zurückkehrten, waren sie sich großteils einig. Eine Person sah im Anklagepunkt der versuchten schweren Körperverletzung eine antisemitische Motivation gegeben, sieben nicht.

G. wurde schließlich nicht rechtskräftig zu 24 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, davon 16 Monate bedingt mit einer Probezeit von drei Jahren. Die Richterin machte den reuigen Mann darauf aufmerksam, dass er einen Antrag auf Hausarrest stellen könne. Dass er umfassend geständig war und teilweise noch jugendlich, wirkte sich mildernd auf das Strafausmaß aus. Erschwerend fiel die einschlägige Vorstrafe und der lange Tatzeitraum ins Gewicht. Den Strafrahmen beschrieb die Richterin als zwischen einem und zehn Jahren Freiheitsstrafe. (Maria Retter, 28.8.2023)