Historische Augmented-Reality-Touren, Hofburg
Miriam Weberstorfer (links) nutzt das Wissen aus ihrem Studium, um Wiens Geschichte mit moderner Technologie zu vermitteln.
Archäo Now

Die Zukunft ist – auf gut Wienerisch gesagt – ned so leiwand. Denn durch einen Unfall wurde ein Virus freigesetzt, das die Menschheit dahinzuraffen droht. Zum Glück gibt es im Jahr 2055 aber schon Zeitreisen, wodurch die Betroffenen in der Vergangenheit nach einem verschollenen Heilmittel suchen können. Doch das schaffen sie nicht alleine, dafür brauchen sie einen Hansdampf in allen Gassen: mich. Und so durchsuche ich im besten Indiana-Jones-Stil die Gemäuer der Hofburg nach Hinweisen, die die Habsburger uns hinterlassen haben könnten. Es geht um nichts weniger als das Überleben der Menschheit.

Aber natürlich ist das nicht echt. Es ist ein Spiel, das Miriam Weberstorfer vom Unternehmen Archäo Now gemeinsam mit ihrem vierköpfigen Team und einem technischen Partner, Franco Lanfur vom Unternehmen Vars, entwickelt hat. Weberstorfer hat Archäobiologie studiert – und diesen Studiengang als Orchideenfach zu bezeichnen wäre geradezu ein Euphemismus: Nur fünf Menschen waren während ihrer gesamten Studienzeit inskribiert, mittlerweile wurde das Studium aufgelöst.

Archäobiologie

Weberstorfer tat zu Beginn ihrer Karriere das, was Archäobiologinnen so tun – sie verbrachte viel Zeit mit der Analyse von Skeletten –, bevor sie sich entschloss, dass sie doch lieber mit Lebenden arbeiten möchte. Und so gründete sie Archäo Now: ein Unternehmen, bei dem historisches Wissen über Wien in spielerischer Form mithilfe moderner Technologie vermittelt wird.

Dabei nutzt Archäo Now das Prinzip der Room-Escape-Spiele: Inspiriert von Point-&-Click-Computerspielen wie den Monkey Island-Adventures, müssen hier verschiedene Rätsel gelöst und Gegenstände kombiniert werden. Anbieter dieser Art gibt es einige in der Stadt: Bei einem Spiel des Unternehmens No Way Out Escape verwandeln sich die Teilnehmenden etwa in Meisterdiebe, die Gustav Klimts Der Kuss stehlen müssen. Beim Anbieter Crime Runners muss man wiederum mehrere Verbrechen aufklären. Mystery Makers lädt zum Lösen von Rätseln im Kunsthistorischen Museum und in der Albertina ein. Und ein Escapespiel des Anbieters First Escape findet sogar in einer echten U-Bahn statt.

Irrgarten in der Hofburg

Bei Archäo Now macht die Mischung den Reiz aus. Es wird historisch akkurates Wissen vermittelt, die Spiele finden an der frischen Luft anstatt in geschlossenen Räumen statt, und es werden technische Mittel der Augmented Reality (AR) eingesetzt: Laien hauptsächlich von Handyspielen wie Pokémon Go bekannt, werden hier auf Smartphones virtuelle Objekte über den realen Bildern eingeblendet, die man mit der Handykamera aufnimmt.

In meinem Abenteuer bedeutet das, dass ich Statuen auf der Fassade der Nationalbibliothek analysieren muss, die mir zuvor noch nie aufgefallen sind. An einer anderen Stelle werden historische Abbilder der Hofburg nahtlos auf die heutige projiziert, um mir einen Eindruck des damaligen Erscheinungsbilds zu vermitteln. Zudem erfahre ich, dass in der Hofburg einst ein Irrgarten stand, aus dem ich mithilfe der AR-App hinausfinden muss.

Historische Augmented-Reality-Touren, Hofburg
So manches Rätsel muss mithilfe von Smartphones geknackt werden. In anderen Fällen kommen analoge Mittel zum Einsatz.
Archäo Now

Günstig sind die insgesamt neun unterschiedlichen Spiele nicht, das hier beschriebene Escape the Hofburg kommt für bis zu vier Personen auf 180 Euro, ein Spiel dauert eineinhalb bis zwei Stunden. Den Preis begründet Weberstorfer damit, dass vor allem die Entwicklung der AR-Apps teuer und aufwendig ist. Ein bis eineinhalb Jahre lang wurde zum Beispiel das Hofburg-Spiel entwickelt, gerade am Anfang geht es viel um Recherche: Weberstorfer gräbt in historischen Daten, Lanfur sucht nach brauchbaren 3D-Modellen, die er in die Apps integrieren kann.

Hinzu kommen Storytelling, Probeläufe, Feintuning. Das erste Projekt – historische AR-Objekte auf dem Stephansplatz – hatte das Team noch aus Eigenmitteln finanziert, "um First Mover zu sein", wie Weberstorfer sagt. Für die Entwicklung des Prototyps von Escape the Hofburg gab es eine Förderung des Austria Wirtschaftsservice.

Teambuilding für Firmen

Auf den Einsatz von VR-Brillen verzichtet man übrigens – erstens aus Kostengründen und zweitens, weil diese Brillen die Realität aussperren, was wiederum dem Teamgeist schadet. Denn anders als andere Anbieter nennt Weberstorfer nicht Freundeskreise und Touristen als Zielgruppe, sondern Unternehmen mit Bedarf an Teambuilding und Schulklassen, denen auf diese Weise Geschichtswissen greifbar gemacht wird. Parallel dazu entwickelt das 2016 gegründete Start-up inzwischen Lösungen für Dritte; in Arbeit sind unter anderem ein Spiel für das Wiener Uhrenmuseum und eine Infotainment-App für das Bundesforschungszentrum für Wald.

Und mein eigenes Abenteuer? Das geht zum Glück gut aus. An einem weiteren historischen Schauplatz – der nicht modelliert, sondern per 3D-Scan integriert wurde – finde ich das begehrte Heilmittel und rette somit die Menschheit. Leider jedoch, so tönt eine Erzählstimme aus dem Handy, wird nie jemand von meiner Heldentat erfahren, weil ich damit den Lauf der Geschichte verändert habe und die Bedrohung somit niemals präsent war. Schade irgendwie. Spaß macht es trotzdem.

Miriam Weberstorfer nutzt das Wissen aus ihrem Studium, um Wiens Geschichte mit moderner Technologie zu vermitteln. Dabei muss so manches Rätsel geknackt werden. (Stefan Mey, 29.8.2023)