Željko Komšić, Mitglied im Staatspräsidium, will Gleichberechtigung.
EPA

In Bosnien-Herzegowina verlaufen die politischen Fronten seit langem zwischen jenen Kräften, die einen modernen, europäischen Staat für alle Bürgerinnen und Bürger schaffen wollen, und den Nationalisten, die noch mehr Segregation und Trennung wollen. Ein historisches Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gibt laut dem Medium Istraga jetzt jenen Unterstützung, die die Diskriminierung von Bosniern und Herzegowinern aufheben wollen, die die Trennung von Menschen entlang "ethnischer Gruppierungen" ablehnen.

In dem neuen Urteil – das noch nicht offiziell verkündet wurde –, das der Klage von Slaven Kovačević, einem Berater des bürgerstaatsorientierten Politikers Željko Komšić, recht gibt, kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg zum Schluss, dass die drei Mitglieder des Staatspräsidiums nicht mehr in den bisherigen Wahleinheiten gewählt werden sollen.

Bislang wird ein serbisches Mitglied im Staatspräsidium in dem Landesteil Republika Srpska gewählt, wo nach den ethnischen Säuberungen im Krieg (1992–1995) mehrheitlich nur mehr Serbinnen und Serben leben. Der EGMR stellt nun laut Istraga klar, dass Kovačević diskriminiert wird, weil der Mann, der in Sarajevo lebt, keinen Serben ins Staatspräsidium wählen kann.

Wahleinheiten

Die anderen beiden Mitglieder – das kroatische und das bosniakische – werden bisher nur im Landesteil Föderation gewählt. Die Form der Wahl innerhalb dieser Wahleinheiten ist für viele Bosnier und Herzegowiner diskriminierend. Juden, Roma und alle Leute, die sich zu gar keiner Gruppe zählen lassen wollen, sind diskriminiert, weil sie gar nicht kandidieren dürfen.

Der EGMR hat deshalb bereits in zahlreichen anderen Urteilen seit dem Jahr 2009 festgestellt, dass die Verfassung menschenrechtswidrig ist und geändert werden muss. Die Nationalisten haben dies jedoch bisher verhindert. Die Urteile des EMGR werden einfach nicht umgesetzt. Auch westliche Diplomaten und Politiker, etwa die EU, die USA und das Amt des Hohen Repräsentanten setzten sich kaum bis gar nicht für die Umsetzung der Urteile des EGMR ein. In den vergangenen Jahren unterstützen sie sogar wieder vermehrt die Nationalisten.

So hat etwa der Hohe Repräsentant Christian Schmidt im vergangenen Jahr auf Wunsch von kroatischen Nationalisten und US-Diplomaten das Wahlgesetz so verändert, dass die nationalistischen Parteien in der Parlamentskammer "Haus der Völker" noch gestärkt wurden. Der EGMR schlägt nun die Einschränkung oder Abschaffung der Kammer vor und kritisiert, dass alle Gesetze vom Haus der Völker abgesegnet werden müssen.

Das Gericht stellt auch fest, dass das derzeitige politische System von Bosnien und Herzegowina – eine von Ausländern ausgedachte Nachkriegsordnung, die völkischen Nationalisten entgegenkommt – die ethnische Vertretung wichtiger gemacht habe, als politische, wirtschaftlich-soziale und andere Fragen, die ethnische Spaltungen im Staat verstärke und den demokratischen Charakter von Wahlen untergraben habe.

Kein Ethno-Vorrang

Laut dem Gerichtshof kann und darf die ethnische Zugehörigkeit nicht Vorrang vor der politischen Repräsentation haben.

Offen ist jedoch, ob das Urteil umgesetzt werden kann. Der kroatische Nationalist Dragan Čović kündigte bereits an, dagegen mobil zu machen. Klar ist, dass die Umsetzung im Fall Kovačević so wie jene im Fall Zornić einer tiefgreifenden Überarbeitung der Daytoner Verfassung bedürften. Komšić, Mitglied im Staatspräsidium, meint, dass Bosnien-Herzegowina "mit so einer undemokratischen und diskriminierenden Verfassung nie Mitglied der EU werden kann". (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 28.8.2023)