Monkey D. Ruffy und seine Bande.
Die Strohhut-Piratenbande: Taz Skylar als Sanji, Mackenyu Arata als Lorenor Zorro, Iñaki Godoy als Monkey D. Ruffy, Emily Rudd als Nami, Jacob Romero Gibson als Lysop (von links).
Netflix © 2023

Eiichirō Oda schläft nur drei Stunden pro Nacht. Der Erfinder von One Piece widmet sich den gesamten restlichen Tag dem Zeichnen seiner Manga-Serie, so intensiv, dass er schon öfter wegen gesundheitlicher Probleme ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Seit 1997 hat Oda mehr als 1.000 Kapitel über die Strohhut-Piratenbande rund um Anführer Monkey D. Ruffy gezeichnet, der den sagenumwobenen Schatz One Piece finden will, um König der Piraten zu werden. Ein Ende scheint noch nicht in Sicht zu sein. Wöchentlich fiebern die Fans jedem neuen Kapitel entgegen, sollte ausnahmsweise einmal keines erscheinen, bedeutet das meistens, dass Oda wieder krank ist.

Seit 1999 wurden auch schon über 1.000 Episoden der dazugehörigen Anime-Serie ausgestrahlt. Am Donnerstag startet die Netflix-Realserie, die Hauptrolle spielt der (noch) gänzlich unbekannte Iñaki Godoy. "Das ist Ruffy", dachte Eiichirō Oda, der seinen Manga eigentlich immer für unverfilmbar hielt und sich lange gegen eine Realverfilmung sträubte.

Mit Matt Owens ist neben dem ehemaligen Akte X- und Lost-Autor Steven Maeda ein Showrunner an Bord, der den ersten One Piece-Band als zehnjähriges Kind miterlebt hat. "Als ich über 20 war, hatte ich eine schlimme Depression. Und ich glaube ehrlich, dass One Piece mir das Leben gerettet hat", erzählt er im Netflix-Interview. Aber was macht diese langanhaltende Faszination aus?

ONE PIECE | Official Trailer | Netflix

Der Mega-Manga-Markt

One Piece ist ein typischer Shōnen, so nennt man japanische Comics und Animationsfilme, die sich hauptsächlich an ein jugendliches, männliches Publikum richten und meistens in Manga-Magazinen erscheinen. Shūkan Shōnen Jump – in dem One Piece erscheint – ist das größte dieser Magazine. Auf dem Höhepunkt Mitte der 1990er-Jahre zählte es mit einer Auflage von über sechs Millionen zu den meistverkauften Magazinen weltweit.

Im Mittelpunkt dieser Geschichten steht meistens ein widersprüchlicher Held mit einer oft absurd kantigen Frisur, wie in Dragon Ball (wo die Frisuren immer zackiger werden, je stärker die Helden werden), Naruto oder Yu-Gi-Oh. Und obwohl Monkey D. Ruffys Haare unter seinem Strohhut fast nicht zu sehen sind, treffen auf ihn sonst alle charakteristischen Merkmale zu: Er ist kindisch und tollpatschig, aber ausdauernd und viel stärker, als es auf den ersten Blick scheint.

Auch übernatürliche Elemente, die gestaltverändernde Fähigkeiten freisetzen, sind typisch. In der Welt von One Piece gibt es Teufelsfrüchte – Ruffy nutzt die Gum-Gum-Frucht, durch die er im Kampf zu einem dehnbaren, gummiartigen Wesen wird.

Die meistverkauften Mangas aller Zeiten
Vor allem über digitale Distributionswege wächst der Manga-Markt.
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Shōnen-Protagonisten durchlaufen die klassische Heldenreise, durch Training, Ausdauer und Willensstärke wachsen sie über sich selbst hinaus. Das "Held-Werden" steht im Zentrum, irgendwann dann das "Held-Sein" – und die neuen Probleme, die damit einhergehen. Langläufige Mangas wie One Piece wiederholen aber unendlich lange dieses "Held-Werden", immer kommen neue Gegner, die immer stärker werden, und auch der Held muss immer weiterwachsen.

Studio-Ghibli Gründer Hayao Miyazaki kritisiert an solchen Geschichten das einfache Gut-Böse-Schemata: Alle Probleme werden durch das Besiegen von Schurken gelöst. One Piece ist hier für einen Manga ausgeklügelter und überraschend moralisch, aus Prinzip tötet Ruffy seine Gegner nie. An äußeren Zielen zu wachsen ist hier stark mit dem Erwachsenwerden im Inneren verknüpft – und die Fans wachsen mit ihren Helden.

Inspiration von überall

Wickie und die starken Männer – wie Biene Maja und Heidi eine japanische Produktion – gehört neben Akira Toriyamas Dragon Ball zu den größten Inspirationen von Eiichirō Oda. One Piece ist aber auch sonst ein bunter Referenzendschungel. Hier treffen japanische Mythologie und Samurai-Klassiker auf westliche Popkultur, Monty Python und echte Piratengeschichten, wie die von Blackbeard. Besonders Quentin Tarantino und Tim Burton scheinen es Oda angetan zu haben, das merkt man bei Charakteren wie Sanji oder Brook.

Wie in einem Thriller treibt ein Objekt, von dem wir gar nicht wissen, was es ist, die Filmhandlung voran. MacGuffin nennt man dieses von Alfred Hitchcock geprägte narrative Element, das die Spannung ständig aufrechterhält. Was der Schatz am Ende sein wird, ist irrelevant, die Reise dorthin ist, was zählt.

Ruffy dehnt seinen Mund. 
Durch die Gum-Gum-Teufelsfrucht wird Monkey D. Ruffy zum Gummimenschen und kann seinen gesamten Körper überdehnen.
Netflix © 2023

Und wenn die Gesundheit von Eiichirō Oda mitspielt, wird diese Reise wohl noch unendlich lange weitergehen. Der 48-jährige Mangaka hat eine so intensive Bindung zu seinen Fans, dass er sich anlässlich der neuen Netflix-Serie in einem persönlichen Brief an sie gewendet hat. "Bei dieser Serie wurden keine Kompromisse eingegangen", schreibt er. "Inzwischen sind mir das Produktionsteam und die Besetzung so ans Herz gewachsen, dass ich es kaum erwarten kann, bis sie endlich die Beachtung aus aller Welt erhalten, die sie so verdient haben."

18 Millionen Dollar pro Episode hat sich Netflix den Spaß kosten lassen, aber ob das reicht, um die Zeichentrickwelt in die Realität zu hieven? Zumindest war Schöpfer Oda in die Entstehung mehr involviert, als es sonst bei Netflix-Adaption von Anime-Serien üblich ist. Auch die deutschen Synchronstimmen sind die gleichen wie im Anime. Und eines hat er mit seiner Hauptfigur Ruffy gemeinsam: Um seinen Traum zu erreichen, ist er bereit, alles zu geben. (Jakob Thaller, 29.8.2023)