Seit mehr als einem Jahrzehnt bauen hochrangige Beamte mehrerer Länder an einem fragilen Gerüst, das irgendwann zur Bühne werden sollte, auf der die verfeindeten Staaten Israel und Libyen Seite an Seite Platz nehmen werden. Doch es brauchte nur wenige Minuten, um dieses Gerüst zum Einsturz zu bringen. Der Sprengmeister, auf den nun alles mit Entsetzen blickt, ist niemand Geringerer als Israels Außenminister Eli Cohen.

Proteste in Tripolis
Offiziell spricht Libyen nicht mit Israel. Dass es nun doch dazu kam, sorgte nicht zuletzt auf den Straßen der Hauptstadt Tripolis (Bild) für vehemente Reaktionen.
AP/Yousef Murad

Dessen Ministerium war am Sonntag mit einer Sensation herausgeplatzt: Erstmals in der Geschichte der verfeindeten Staaten habe in Rom ein Treffen der Außenminister von Israel und Libyen stattgefunden, hieß es in einer Presseaussendung – Fotos inklusive.

Danach ging es Schlag auf Schlag: Libyen dementierte, dass es Beziehungen gebe. Die libysche Außenministerin Najla al-Mangoush wurde gefeuert, aus Angst vor Repressalien flüchtete sie ins Ausland, Gerüchten zufolge nach Istanbul. In Libyens Hauptstadt Tripolis brachen wütende Demonstrationen aus – nicht wegen des Umgangs mit al-Mangoush, sondern aus Protest gegen eine Annäherung mit Israel.

Diskretion? Fehlanzeige

Das alles hätte Cohen wissen müssen. Nicht umsonst war das Treffen mit al-Mangoush, das unter Vermittlung der USA in Rom stattgefunden hatte, als streng geheim gehandelt worden.

Warum der Minister dennoch ausritt, um diplomatisches Porzellan zu zerschlagen, darüber kann nur spekuliert werden. Vielleicht war ihm bewusst geworden, dass die Liste seiner diplomatischen Errungenschaften überschaubar ist, dass er Vorzeigbares brauchte. Gezeigt hat er nun vor allem, was er nicht beherrscht: die oberste diplomatische Disziplin, Diskretion.

Najla al-Mangoush
Najla al-Mangoush wurde gefeuert und musste fluchtartig das Land verlassen.
AP / Darko Vojinovic

Die zahlreichen Presseanfragen, die auf das Debakel folgten, blieben unbeantwortet. Das Außenministerium in Jerusalem steckte den Kopf in den Sand. Erst Montagnachmittag erklärte ein Sprecher via Whatsapp-Verteiler, das Ministerium habe die Information über das brisante Treffen nicht selbst verbreitet, vielmehr handle es sich um ein "Leak", das man danach kommentierte. Dass sich ein solches Leak nirgends finden ließ, die offizielle Aussendung des Ministeriums aber immer noch online war, sorgte unter Journalisten für Häme. Das Ministerium ließ das obskure Nebeneinander alternativer Fakten unkommentiert.

Aufregung in Washington

Doch der Sturm dürfte nicht so bald vorüberziehen. In heller Aufregung ist nämlich vor allem Washington, das die sensiblen Gespräche zwischen Israel und Libyen vermittelt. Der Vertrauensbruch des israelischen Außenministers droht nun auch die Gespräche mit anderen, wichtigeren Partnern zu belasten, allen voran mit Saudi-Arabien.

Die Hoffnung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, er werde neun Monate nach Amtsantritt nun bald von US-Präsident Joe Biden in Washington empfangen werden, dürfte nun gedämpft sein. Bedanken darf er sich bei seinem Parteikollegen Cohen. Anstelle Netanjahus kommt nun Oppositionsführer Jair Lapid zum Zug: Er soll bereits nächste Woche einer Einladung nach Washington folgen, berichtete Aufdeckerjournalist Barak Ravid am Dienstag.

Eli Cohen
Eli Cohen ließ es – warum auch immer – an Diskretion mangeln.
EPA / Martin Divisek

Netanjahus Reaktion auf den Ausrutscher des Außenministers folgte erst am Dienstag – und sie spricht Bände: Der Ministerpräsident stellte klar, dass er über sämtliche bilateralen Gespräche aller Regierungsmitglieder, die hinter den Kulissen abgehalten werden, in Zukunft stets informiert werden will. Vor allem aber sollen ihm von nun an alle geplanten Presseaussendungen über solche Treffen vorab vorgelegt werden.

Aus Tripolis hieß es indes am Montag, man habe zu keinem Zeitpunkt eine Einladung zu einem Treffen mit offiziellen Vertretern Israels angenommen. Das Zusammentreffen der beiden Minister in Rom sei "ungeplant und zufällig" zustande gekommen. Gerüchte über eine mögliche Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel weise man strikt zurück. Dass sich das Treffen tatsächlich spontan ergab und nicht den Segen des libyschen Premiers hatte, ist höchst unwahrscheinlich. Die Reaktion aus Tripolis zeigt aber, dass man in naher Zukunft eher nicht mit einer Normalisierung der Beziehungen rechnen darf. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 30.8.2023)