Nur ein Sprecherpult und ein Mikrofon waren am Dienstag in München nach dem Sonderkoalitionsausschuss aufgebaut. Doch es lag falsch, wer meinte, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe seinen Vize, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), schon aus der Koalition geworfen.

Er hält derzeit, fünf Wochen vor der Landtagswahl, an ihm fest. "Wir wollten uns ein eigenes Bild machen und einen persönlichen Eindruck gewinnen" – so erklärte Söder das Gespräch zwischen ihm, Aiwanger und den anderen Kabinettsmitgliedern. Denn Aiwanger steht in der sogenannten Flugblatt-Affäre schwer unter Druck.

Die Süddeutsche Zeitung hatte berichtet, dass Aiwanger vor 35 Jahren, als 17-jähriger Gymnasiast, eine antisemitische Hetzschrift verfasst haben soll und diese in seiner Schultasche gefunden worden sei.

Bruder outete sich

Doch Aiwanger dementierte die Urheberschaft, er räumte nur ein, dass das Pamphlet tatsächlich in seinem Ranzen gewesen sei. Als Verfasser outete sich sein ein Jahr älterer Bruder Helmut, der erklärte, er habe sich geärgert, weil er eine Klasse habe wiederholen müssen.

Aiwanger und Söder sprechen miteinander.
Noch sitzen Hubert Aiwanger (links) und Markus Söder gemeinsam in der "Bayernkoalition". Ob das so bleibt, ist derzeit offen.
Imago/Sven Simon

Und Helmut Aiwanger legte auch dar, warum seiner Meinung nach die Flugblätter in der Schultasche des heutigen Freie-Wähler-Chefs gefunden worden seien: "Ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren."

All das hat natürlich auch Söder vernommen, der am Dienstag einmal mehr betonte: "Es gibt keinen Platz für Antisemitismus in der bayerischen Staatsregierung. Es muss eine klare Distanzierung von dem Dreck erfolgen."

Im Sonderkoalitionsausschuss habe man in der Causa aber noch keine "abschließende Bewertung und Klärung" vornehmen können.

Schulakten offenlegen

Söder meinte zudem: "Die Recherchen der Süddeutschen Zeitung reichen nicht aus." Denn in dieser seien nur anonyme Quellen zitiert worden. Daher wurde Aiwanger aufgefordert, 25 Fragen schriftlich zu beantworten.

Bis wann dies geschehen soll, blieb offen. Aiwanger, so Söder, habe zugesichert, die Fragen "nach bestem Wissen und Gewissen" zu beantworten und auch seine Schulakten – soweit noch vorhanden – offenzulegen.

Aiwanger jetzt schon aus der Regierung zu werfen wäre ein "Übermaß", so Söder. Er warnte aber auch: "Es darf jetzt nix mehr dazukommen." Die Koalition mit den Freien Wählern will Söder auch nicht aufkündigen. In München ist auch folgende Variante diskutiert worden: Aiwanger fliegt, die Koalition mit den Freien Wählern wird aufrechterhalten, aber es gibt einen neuen Wirtschaftsminister und Vizekanzler. Doch das kommt bei den Freien Wählern nicht infrage, da Aiwanger ihr Zugpferd ist.

Sondersitzung im Landtag

Der SPD-Spitzenkandidat für die bayerische Landtagswahl, Florian von Brunn, ist mit der Entscheidung des Ministerpräsidenten nicht zufrieden. Er sagt: "Markus Söder ist zu schwach, um sich gegen Hubert Aiwanger durchzusetzen. Er spielt auf Zeit, um seine Koalition bis zum Wahltag zu retten."

Aiwanger habe zehn Tage lang Zeit gehabt, alle offenen Fragen zu klären. Das habe er nicht getan. Von Brunn: "Die Hängepartie jetzt vergrößert den Schaden für den Freistaat noch weiter. Das Mindeste wäre gewesen, dass Hubert Aiwanger sein Amt ruhen lassen muss." SPD, Grüne und FDP wollen eine Sondersitzung des Landtages.

Söder hat sich aber nicht nur auf der Pressekonferenz am Dienstag zu Aiwanger geäußert, sondern auch am Montagabend, bei einem Auftritt in einem Bierzelt in Landshut (dem Stimmkreis von Aiwanger), eine Rede gehalten und sich über diesen lustig gemacht.

Heikle Imitation

"Ich werde in München mal auf den Tisch hauen", ruft Söder mit verstellter Stimme, die an den Tonfall von Hitlers Reden erinnert. Berichtet hat darüber der Deutschlandfunk. Aiwangers Name wurde von Söder nicht erwähnt, aber es war klar, dass es um einen politischen Mitbewerber geht, der auf dem Land draußen große Reden schwinge, in München jedoch zahm sei.

Die CSU wies den Vergleich mit Hitlers Reden zurück. Ein Sprecher erklärte, "historische Vergleiche zu konstruieren ist absurd und eine bewusste Manipulation."

Flugblatt im Archiv der KZ-Gedenkstätte Dachau

Am Dienstag kam zudem heraus, dass das antisemitische Flugblatt als Teil der Schülerarbeit "Letzte Heimat Steinrain? Zur Geschichte des Judenfriedhofs bei Mallersdorf-Pfaffenberg" in der KZ-Gedenkstätte Dachau archiviert ist. Die Arbeit wurde demnach im Schuljahr 1988/89 von Roman Serlitzky verfasst und gewann den zweiten Preis beim Schülerwettbewerb "Deutsche Geschichte" des deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Seitdem liege sie in der Dachauer KZ-Gedenkstätte, schreibt die "Welt". Die Sprecherin der Gedenkstätte erläuterte, das Flugblatt sei in der Schülerarbeit ohne Nennung eines Verfassers abgedruckt. "Das Flugblatt liegt nicht als einzelnes Exemplar, sondern ausschließlich im Rahmen der Schülerarbeit vor."

Der Autor der Arbeit stellt laut "Welt" das Flugblatt einem Flugblatt der "Schülermitverantwortung" (SMV) des Burkhart-Gymnasiums gegenüber, in dem diese 1985 zu einer Mahnwache auf dem Judenfriedhof aufgerufen hatte. Roman Serlitzky sagte der "Welt", er habe das Flugblatt in Kopie von seinem Lehrer erhalten. "An der Schule hatte ich vorher nichts über das Flugblatt mitbekommen. Über die Verfasser war und ist mir nichts bekannt."

Ampelkoalition berät sich

Eine Art Sonderkoalitionsausschuss ist am Dienstag auch im brandenburgischen Schloss Meseberg zusammengetreten. Dorthin zog sich die Ampelkoalition wieder einmal zurück, um ihre Unstimmigkeiten beizulegen und über Maßnahmen zum wirtschaftlichen Aufschwung zu beraten.

Zu Beginn mahnte Bundeskanzler Olaf Scholz: Wir haben eine sehr erfolgreiche Leistungsbilanz im letzten und in diesem Jahr, und es wäre natürlich gut, wenn alle mit ihren Kommunikationsstrategien dazu beitragen." (Birgit Baumann aus Berlin, red, APA, 29.8.2023)