Es gibt abseits der offiziellen Zahlen einige Kennziffern, um etwas über den Zustand der chinesischen Wirtschaft zu erfahren. Eine der zuverlässigsten ist der Preis von Schweinefleisch. Es rangiert in der kulinarischen Beliebtheitsrangliste der Chinesen mit Abstand auf Platz eins. Zhu Rou, Schweinefleisch, ist für das Wohlergehen des Volkes so wichtig, dass die Kommunistische Partei Chinas sogar eine strategische Schweinefleischreserve eingerichtet hat.

Ein Mann in blauer Regenjacke steht in Schanghai vor einem großen Bildschirm, auf dem die neuesten Börsendaten angezeigt werden.
Eigentumswohnungen waren bei Chinesen so beliebt wie in Österreich das Sparbuch. Gekauft wurde überwiegend auf Pump. Jetzt kommt das böse Erwachen.
EPA/ALEX PLAVEVSKI

Im Juli waren die Preise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 26 Prozent gefallen. Das freut den chinesischen Konsumenten zwar. Über den Zustand der Wirtschaft der Volksrepublik aber sagt der Preisverfall nichts Gutes aus: China steckt in der Deflation. Die Wirtschaft lahmt, die Arbeitslosigkeit, besonders unter den 18- bis 24-Jährigen, ist hoch. Kaufentscheidungen werden zurückgehalten. Weil alles abwartet und sich nicht viel bewegt, ist die Deflation, anders als die leichte Inflation, das Schreckgespenst unter den Ökonomen.

Strauß an Problemen

Die Ursachen sind vielfältiger Art, und die chinesische Regierung versucht dementsprechend an verschiedenen Fronten stimulierend einzugreifen. Das derzeit größte Problem ist die seit nunmehr zwei Jahren schwelende Immobilienkrise. Im September 2021 ist der zweitgrößte Immobilienkonzern des Landes, Evergrande, in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Evergrande existiert zwar noch, aus der drohenden Implosion des Sektors aber wurde ein Schwelbrand, der seitdem an verschiedenen Stellen immer wieder aufflackert. Jüngst erwischte es das Unternehmen Country Garden. Dieser Tage bat der Konzern um ein 40-tägiges Moratorium, um Anleihen in Höhe von 535 Millionen US-Dollar zu bedienen. Insgesamt hat Country Garden Verbindlichkeiten in Höhe von unglaublichen 200 Milliarden US-Dollar. Vor zwei Wochen dann geriet ein Vermögensverwalter in Turbulenzen. Zhongrong Securities hatte sogenannte "trust products" angeboten, die teils hohe Zinsen versprachen. Einen großen Teil der Kundengelder hatte Zhongrong auf dem Immobilienmarkt investiert.

Menschen gehen in Shangha auf einer Fußgängerbrücke mit einem Bildschirm, der Börsendaten anzeigt.
Viele Unternehmen haben es derzeit schwer, sich an der Börse frisches Geld zu besorgen. Anfang der Woche hat die Regierung Steuern auf Transaktionen reduziert.
EPA/ALEX PLAVEVSKI

Peking hat daraufhin am Dienstag angekündigt, staatliche Banken würden Immobilienkredite demnächst verbilligen. Damit soll die Nachfrage stimuliert werden. Ob das ausreicht, ist fraglich. Der Sektor, der rund 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung ausmacht, gilt als massiv überschuldet. Drei Jahrzehnte lang hat die Branche mit zweistelligen Wachstumsraten im Jahr geboomt. Die gewaltige Urbanisierung, in deren Rahmen eine halbe Milliarde Menschen vom Land in die Städte zogen, trieb die Preise immer weiter nach oben. Chinesische Immobilienkonzerne machten gute Gewinne, nahmen aber immer mehr Kredite auf, um die Expansion voranzutreiben.

Diesen Schuldenberg kontrolliert abzubauen ist eigentlich erklärtes Ziel der Regierung in Peking. Ganz ohne Turbulenzen kann dieser Prozess nicht stattfinden. Hinzu kommen geopolitische Risiken und der nicht gerade freundliche Kurs der Regierung gegenüber ausländischen Unternehmen. Das gerade verabschiedete Anti-Spionage-Gesetz verschreckt viele internationale Arbeitnehmer, da damit schon einfache Marktstudien als Spionage ausgelegt werden können. Die ausländischen Direktinvestitionen in China haben im zweiten Quartal dieses Jahres einen Tiefpunkt erreicht.

Frisches Geld

Eng damit zusammen hängt auch der stagnierende Aktienmarkt. Viele Unternehmen haben es derzeit sehr schwer, sich an der Börse frisches Geld zu besorgen. Anfang der Woche hat die Regierung nun Steuern auf Transaktionen reduziert und die Mindesteinlage für Derivategeschäfte gesenkt. Dies zeigte zunächst auch die erhoffte Wirkung: Der chinesische Aktienmarkt konnte um knapp fünf Prozent zulegen.

Über den großen Trend aber können diese Maßnahmen kaum hinwegtäuschen. Der jahrelang wichtigste Wachstumstreiber der chinesischen Wirtschaft, der Immobiliensektor, steckt in der – gewollten – Krise. Die Zeiten, in denen die chinesische Wirtschaftsleistung im zweistelligen Prozentbereich wuchs, sind vorerst vorbei. Denn bisher ist noch kein gleichwertiger Ersatz für den Wachstumstreiber Immobilien in Sicht. (Philipp Mattheis, 31.8.2023)