Momentan wandeln etwas über acht Milliarden Erdenbürger auf unserem Planeten. Obwohl sich die Lebensbedingungen in vielen Weltregionen nicht zuletzt durch die Folgen des Klimawandels immer mehr verschlechtern, erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass die Menschheit in absehbarer Zeit vollständig vom Angesicht der Erde verschwinden wird.

Doch das war nicht immer so. Archäologische Untersuchungen und genetische Analysen der vergangenen Jahre sprechen dafür, dass die Spezies Mensch vermutlich sogar mehrmals in ihrer Entwicklungsgeschichte auf so kleine Populationen zusammengeschrumpft war, dass sie nur knapp am Aussterben vorbeigeschrammt ist.

Knapp vorbei

Bereits kurz nach seiner ersten Ausbreitung über den afrikanischen Kontinent vor 195.000 Jahren machte Homo sapiens ein dramatischer Klimawechsel zu schaffen. Nur wenige Hundert Individuen fanden wahrscheinlich an der Südküste Afrikas noch genug Ressourcen vor, um gerade so durchzukommen. Bis die klimatischen Verhältnisse wieder günstiger wurden und der Mensch den Kontinent und in weiterer Folge den Rest der Welt erobern konnte, vergingen freilich viele Jahrtausende.

Ein weiterer derartiger "Flaschenhals"-Abschnitt könnte das Überleben der Menschheit vor rund 70.000 bedroht haben. Lange Zeit hielt man den Ausbruch des Supervulkans Toba auf der indonesischen Insel Sumatra für diese einschneidende Entwicklung für verantwortlich. Neuere Ergebnisse allerdings weckten Zweifel daran, ob der Bevölkerungsrückgang damals tatsächlich so dramatisch war wie zuvor angenommen.

Der Mensch als Spezies stand vermutlich mehrmals am Rande des Aussterbens. Möglicherweise war schon unser Vorfahre Homo erectus knapp dem Untergang entronnen.
Foto: REUTERS/David Mdzinarishvili

DNA-Proben von 3.100 Menschen

Nun hat ein internationales Forschungsteam in einem deutlich früheren Abschnitt der menschlichen Evolution eine Phase ausgemacht, in der die Lebensumstände uns beziehungsweise unseren Vorfahren beinahe den Garaus gemacht hätten. Die Entdeckung ist einer neuen genetischen Methode zur Bestimmung frühzeitlicher Populationsgrößen zu verdanken und erklärt erstmals in schlüssiger Weise eine bisher rätselhafte Fossilienlücke vor über 800.000 Jahren.

Grundlage der Studie sind DNA-Proben von 3.154 Individuen aus zehn afrikanischen und 40 nichtafrikanischen Ländern. Das Team um Yi-Hsuan Pan von der East China Normal University (ECNU) in Schanghai nahm diese Gensequenzen mithilfe eines Verfahrens namens Fitcoal (fast infinitesimal time coalescent process) genauer unter die Lupe. Die Forschenden nutzen dabei Muster in den genetischen Unterschieden zwischen den untersuchten Proben der verschiedenen menschlichen Bevölkerungsgruppen. Ihre Modellberechnungen lassen anhand von typischen Mutationsraten so Rückschlüsse auf frühere Populationsgrößen zu, wie das Team erklärte.

Genetischer Flaschenhals

Das nun im Fachjournal "Science" veröffentlichte Ergebnis deutet darauf hin, dass vor 800.000 bis 900.000 Jahren die Homo-erectus-Population annähernd vollständig zusammengebrochen sein muss. Während dieses markanten Einschnitts am Übergang vom frühen zum mittleren Pleistozän schrumpfte die Weltbevölkerung menschlicher Vorfahren auf weniger als 1.300 fortpflanzungsfähige Individuen zusammen. Der Populationsengpass dauerte demnach etwa 117.000 Jahre an. Den Forschern zufolge gingen zu Beginn dieser Entwicklung 98,7 Prozent der ursprünglichen Population verloren.

"Der genetische 'Flaschenhals' ließ sich direkt in allen zehn untersuchten afrikanischen Bevölkerungsteilen nachweisen. In den 40 nichtafrikanischen Populationen war das Signal dagegen deutlich schwächer", meinte Ko-Autor Wangjie Hu. "Die signifikante Lücke in den afrikanischen und eurasischen fossilen Befunden lässt sich durch diese Ergebnisse gut erklären, denn sie passen zeitlich genau zusammen", sagt Ko-Autor Giorgio Manzi, Anthropologe an der Sapienza-Universität Rom.

Als Ursache für den Bevölkerungsschwund vermuten die Wissenschafter einmal mehr klimatische Umbrüche: Eine Kaltphase mit weiträumigen Vergletscherungen während dieser Zeit führte zu langfristigen Temperaturschwankungen, einem Abkühlen der Meeresoberflächen und anhaltenden schweren Dürren. Dies hat lokal unter anderem zum Verschwinden zahlreicher Tier- und Pflanzenarten geführt, die unseren Ahnen bis dahin als wichtige Nahrungsquellen gedient hatten.

Viele Fragen bleiben offen

Vielleicht liegt dieses "Flaschenhals"-Ereignis auch der Aufsplitterung des menschlichen Stammbaumes in Homo sapiens, Denisova-Mensch und Neandertaler zugrunde, die nach Ansicht vieler Experten etwa in diesen Zeitraum fällt, spekulieren die Forschenden. Doch Yi-Hsuan Pan und ihre Kolleginnen und Kollegen geben sich vorsichtig bei der Interpretation ihrer Ergebnisse. "Diese Daten haben zwar einige Aspekte der Lebensumstände unserer Vorfahren aus dem frühen bis mittleren Pleistozän beleuchtet, dennoch bleiben noch viele Fragen offen", erklärte das Team.

Ähnlich äußerten sich Nick Ashton und Chris Stringer vom British Museum in London, die nicht an der Studie beteiligt waren. Die "Flaschenhals"-Theorie habe zwar einiges für sich, doch müsste sie auch durch archäologische und fossile menschliche Funde untermauert werden, schreiben sie in "Science": "Wenn der Mensch in der Zeit vor 800.000 bis 900.000 Jahren vor heute innerhalb und außerhalb Afrikas weitverbreitet war – und das ist mittlerweile sehr wahrscheinlich –, dann war die Ursache des Populationszusammenbruchs in ihren Auswirkungen vermutlich eher begrenzt oder nur von kurzer Dauer." (Thomas Bergmayr, 1.9.2023)