Sie liegen in vier Reihen auf der Straße, manche unter Decken, andere unter Folien, wieder andere bereits in Leichensäcke gepackt: die Opfer des verheerendsten Gebäudebrands in der Geschichte Südafrikas. Mindestens 73 Menschen kamen bei dem Feuer im Zentrum von Johannesburg ums Leben – darunter sieben Kinder, eines gerade ein Jahr alt. Mehr als 50 Menschen wurden in Krankenhäuser eingeliefert. Selbst Stunden nach dem Ausbruch der Flammen kurz nach Mitternacht am Donnerstagmorgen fanden Feuerwehrleute noch weitere menschliche Überreste. "So etwas habe ich in meinen zwanzig Berufsjahren noch niemals gesehen", sagte der Sprecher des Johannesburger Emergency Management Service, Robert Mulaudzi.

Dramatische Szenen spielten sich in diesem eigentlich von den Behörden gesperrten Haus ab.
AP/Jerome Delay

Augenzeugen berichteten von herzzerreißenden Szenen. "Ich musste mit ansehen, wie sie meine Freundin tot aus dem Gebäude trugen", sagte der 37-jährige Zabi Khumalo dem Nachrichtendienst News 24. Er selbst war aus dem vierten Stock des fünfstöckigen Gebäudes gesprungen und überlebte wie durch ein Wunder. Andere starben nach ihrem Sturz aus den Fenstern.

Feuerwehr kam spät

Sie sei kurz nach Mitternacht von beißendem Rauch geweckt worden, berichtete die 38-jährige Sindisiwe Sibeko. "Leute schrien, und Kinder weinten nach ihren Müttern." Die Feuerwehr sei erst eine Stunde später eingetroffen, klagt Sgcino Mpanza: "Wären sie schneller hier gewesen, hätten mehr Menschen gerettet werden können."

Dass die Folgen so verheerend waren, liegt vor allem daran, dass es sich bei dem Gebäude in der Johannesburger Delvers-Straße um einen "gekaperten" Apartmentblock handelt: Häuser, die von der Stadtverwaltung als unsicher geschlossen werden, dann jedoch von kriminellen Gangs aufgebrochen und illegal vermietet werden. Derartige Gebäude haben in der Regel weder Strom noch Wasser, auf ihren Etagen errichten die Bewohner und Bewohnerinnen Bretterhütten wie in Slums, zwischen denen es nur enge und verwinkelte Passagen gibt.

Im Haus in der Delvers-Straße sollen über 200 Menschen gelebt haben – in mehr als 80 Bretterhütten. Gekocht wird mit Kohle, für Licht sorgen Paraffinlampen oder Kerzen. Eine abgebrannte Kerze habe den Brand verursacht, ist die im Erdgeschoß lebende Nzombizodwa Ncube überzeugt. "Mein Nachbar hat seine Kerze nicht ausgeblasen, bevor er einschlief", sagt die 20-Jährige.

Aus Sicherheitsgründen war das Gebäude mit einer Gittertür verschlossen: Auf diese Weise wurde das Haus vollends zur Falle. Die meisten Toten seien in unmittelbarer Nähe zur Eingangstür gefunden worden, teilt die Feuerwehr mit. Colleen Makhubele, Sprecherin der Stadtverwaltung, zeigte sich indes aufgebracht. "Die Bewohner des Gebäudes leben alle illegal hier", schimpft sie. "Sie besetzen mir nichts, dir nichts Häuser und scheren sich um kein Gesetz." Leider habe die "World Class African City", wie sich Johannesburg in der Werbung nennt, keine "World Class Bewohner".

NGOs mitverantwortlich?

Auch Nichtregierungsorganisationen wie das Legal Resources Center bekommen von der Sprecherin ihr Fett ab: Sie seien für das derzeitige Dilemma "zumindest mitverantwortlich". Als Johannnesburgs Stadtverwaltung vor rund zwanzig Jahren besetzte Gebäude räumen ließ, zogen die Anwälte vor Gericht: Niemand dürfe aus einem Haus geworfen werden, solange keine alternative Unterkunft angeboten werde, urteilten die Richter. Und weil die Stadt keine freien Unterkünfte hat, kann sie seitdem auch keine Gebäude mehr räumen.

Die Koordinatorin des Johannesburger Netzwerks für Obdachlose, Mary Gillet-de Klerk, will die Katastrophe vorausgesehen haben: "Überraschend ist nur, dass sie sich nicht früher ereignete." Allerdings macht die World Class African City immer häufiger mit Desastern von sich reden: Im Juni starben bei einem Brand im Stadtteil Hillbrow zwei Kinder; Anfang diesen Monats brannte ein Gebäude in Yeoville ab; für weltweite Schlagzeilen sorgte im Juli eine Explosion in der Johannesburger Innenstadt, die einen ganzen Straßenzug aufriss und mehrere Minibusse durch die Luft schleuderte. Sie soll durch Metangas ausgelöst worden sein, das aus der Kanalisation oder auf tiefer liegenden Schichten der Erde aufstieg.

Bürgermeister Kabelo Gwamanda, der einer Partei angehört, die bei der Kommunalwahl knapp 1,5 Prozent der Stimmen errang, keine Matura vorweisen kann und seinen Job einem umstrittenen Deal des regierenden ANC mit den linkspopulistischen Economic Freedom Fighters (EFF) verdankt, versicherte inzwischen, dass die Stadt bei der Lösung des Wohnungsproblems Fortschritte mache. So sei das Gebäude in der Delvers-Straße zum Umbau für Sozialwohnungen vorgesehen gewesen: "Es ist tragisch, dass dem nun das Feuer zuvorkam." (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 31.8.2023)