Ein Blick auf die Kirche in Alpbach.
In Alpbach treffen Tradition und Innovation aufeinander. Dieses Jahr fand das Forum unter dem Motto "Mutiges Europa" statt.
IMAGO/Bildagentur Muehlanger

Der Startschuss ins Europäische Forum Alpbach blieb auch dieses Jahr den Schützen vorbehalten. Wenn die Männer mit Tracht, Gewehren und Blasmusik am "Tirol-Tag" auf dem Alpbacher Platz vor der Kirche exerzieren, zeigt sich das Dorf von seiner traditionellsten Seite.

Aber passt dieser "landesübliche Empfang" noch zu einem Europäischen Forum, das sich der Zukunft verschrieben hat? Auf dem Nobelpreisträger, Umweltschützer und Studierende die drängendsten Fragen der Zeit diskutieren? "Ja", sagte Forumspräsident Andreas Treichl bei der Eröffnungsfeier unmissverständlich. Und vielleicht sind es gerade die Widersprüche und die scheinbaren Widersprüche, die jedes Jahr tausende Gäste in das kleine Tiroler Alpendorf locken.

2023 fand das Forum bereits zum dritten Mal unter der Ägide des ehemaligen Erste-Bank-Chefs Treichl statt. Der Nachfolger von Franz Fischler kehrte zu reinen Offline-Formaten zurück, drückt der Konferenz aber zunehmend seinen eigenen Stempel auf. Statt einer großen zentralen Eröffnung gab es heuer mehrere Themenblöcke. Nach den traditionellen Seminartagen, mit hunderten Stipendiatinnen und Stipendiaten aus ganz Europa, folgten zwei mehrtägige Veranstaltungsreihen zu "Europa in der Welt" und "Österreich in Europa".

Auf den Podien war man sich einig, dass die EU vergleichsweise gut durch die vergangenen Krisenjahre gekommen ist. Jetzt sei es aber Zeit für ein "Mutiges Europa", so das Motto des diesjährigen Forums. Der Kontinent müsse in der Klimakrise eine Vorbildfunktion einnehmen. Gleichzeitig gelte es, Abhängigkeiten zu reduzieren und Weltoffenheit zu bewahren. Ein Widerspruch?

DER STANDARD war vor Ort und fasst die wichtigsten Themen des Forums zusammen.

Sicherheit und Demokratie

Der Krieg in der Ukraine verändert EU von Grund auf

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei nicht bloß "ein Krieg in Europa, sondern ein Krieg um Europa", um "unser Lebensmodell" von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Wohlstand. Das war ein zentraler Satz des aus Bulgarien stammenden Historikers Ivan Krastev. Gewinnt Putin den Krieg, ist kein Land im Osten Europas mehr sicher. Das prägte alle außen- und sicherheitspolitischen Debatten.

Niemand kann sagen, wie das weitergeht. Krieg und Krise werden vermutlich lange dauern. Wie schon 1989 erleben die Europäer einen "geopolitischen Moment" (EU-Botschafter Martin Selmayr), fundamentale Veränderungen der Sicherheitsarchitektur kommen, diesmal aber durch Bedrohung aus Moskau. Das wird viel kosten.

Die EU wird die Erweiterung auf dem Balkan vorantreiben (müssen). Sie hat keine Zeit zu verlieren, um Demokratie dort und im Osten zu sichern, bevor China und Russland noch mehr Einfluss bekommen.

Nach den Beitritten Schwedens und Finnlands zur Nato ist nun auch klar, dass die EU keine eigene Militärstruktur aufbauen wird. Die Nato ist de facto die EU-Armee, 23 von 27 EU-Staaten sind Mitglied.

Wirtschaft

Inflation und Lieferketten erfordern Umdenken

Billige Energie aus Russland und ein riesiger chinesischer Markt als Abnehmer: Europas Wohlstand gründet zu einem Gutteil auf einer Weltordnung, die in den letzten Jahren durch die Corona-Krise und den Ukrainekrieg zunehmend infrage gestellt wurde.

Auf dem Forum sind sich Politikerinnen und Politiker zwar einig, dass die EU mithilfe hoher Staatsausgaben gut durch die vergangenen Krisenjahre gekommen ist. Jetzt gelte es aber, die Teuerung zu bekämpfen und die Budgets zu konsolidieren.

Die Spannungen mit China zwingen die EU indes dazu, sich neue Partner zu suchen. Dabei setzt sie zwar nicht auf ein "decoupling", aber auf ein "de-risking". Die Handelsbeziehungen sollen nicht abgebrochen, sondern diversifiziert werden. Europa will unabhängiger sein – etwa bei kritischen Rohstoffen – und seine Beziehungen zu Demokratien stärken.

Stets präsent ist beim Forum die Klimakrise. Auf den Podien ist man sich einig, dass es enorme finanzielle Anstrengung braucht, um die Herausforderungen zu bewältigen. Wissenschafter mahnen eine "just transition" ein – also eine Klimawende, die sozial gerecht finanziert wird.

Klima

Dauerbrenner bringt Aktivisten nach Alpbach

Wer nach Alpbach kommt, wird am Straßenrand von einem Transparent begrüßt, auf dem eine brennende Yacht und der Schriftzug "Redistribute Extinction" zu sehen sind. Aufgehängt wurde das Kunstwerk von Jonas Staal ganz offiziell: Denn das Forum Alpbach fördert seit Jahren Kunst – gerne auch einmal mit subversiven Botschaften. Auch auf den Podien ist Klima ein Dauerthema, ist es schließlich einer der vier Thementracks des Forums.

Das ist Aktivistinnen und Aktivisten nicht genug. Vergangene Woche demonstrierte Fridays for Future für ein "fossilfreies" Alpbach, sie stören sich vor allem an Sponsoren, die fossile Energieprojekte finanzieren würden.

Der Einfluss der Sponsoren ist auf dem Forum unübersehbar: So wird auf einem Podium darüber diskutiert, wie Buchungsplattformen den Tourismus nachhaltiger machen können – gleich zwei der vier Diskutierenden werden von Booking.com gestellt. Bei einer Wanderung können sich Interessierte wiederum zu nachhaltiger Landwirtschaft austauschen, unter anderem mit Nestlé, welches den Ausflug sponsert.

Wissenschaft

Strategien gegen die Wissenschaftsskepsis

Wie ausgeprägt die Wissenschaftsskepsis tatsächlich ist und was sich dagegen tun lässt, ist eines der dominierenden wissenschaftlichen Themen beim Forum Alpbach. Für Diskussionsstoff sorgt eine neue Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS), wonach in Österreich zehn Prozent der Bevölkerung wissenschaftsfeindlich eingestellt sind. "Wir müssen mehr erklären, wie Wissenschaft funktioniert. Wir sehen, dass Wissenschaft und ihre Methoden im täglichen Leben vieler Menschen nicht sehr präsent sind", sagt Studienautor Johannes Stark vom IHS.

Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP), der die Studie in Auftrag gegeben hat, spricht sich für eine differenzierte Betrachtung von Wissenschafts- und Demokratieskepsis aus. "Nur mit einer fundierten Bestandsaufnahme schaffen wir die Grundlage, um ein Problem an der Wurzel zu bekämpfen." Mit seinem bayerischen Amtskollegen Markus Blume wurde eine verstärkte Zusammenarbeit vereinbart: "Gemeinsam müssen wir den Kampf um Aufmerksamkeit aufnehmen und Fake News die Stirn bieten", sagt Blume. (Thomas Mayer, Jakob Pflügl, Philip Pramer, Tanja Traxler, 2.9.2023)