Die Abaya ist ein aus dem Maghreb stammendes, bodenlanges, traditionelles Überkleid für Frauen, das im arabischen Raum weitverbreitet ist. Doch hat es auch eine religiöse Bedeutung? Das ist die große Frage, die Frankreich zum Schulbeginn am Montag wälzt.

Videoumfrage zum Abaya-Verbot in Frankreich: "Es ist ein Trend aus dem Nahen Osten, mehr nicht"
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Bildungsminister Gabriel Attal hat vergangene Woche mit einem Rundschreiben bekanntgemacht, dass die Abaya als religiöses Bekleidungsstück anzusehen sei und insofern auf dem Schulareal nicht toleriert werden könne. Seit dem Verbot des islamischen Kopftuchs im Jahr 2005 sind "ostentative" Religionssymbole – wie unter anderem auch die jüdische Kippa oder christliche Kreuze – an französischen Schulen verboten.

Viele Rektoren reagierten erleichtert über die Klarstellung, die letztlich von Staatspräsident Emmanuel Macron ausgeht. Der bisherige, im Juli abgelöste Bildungsminister Pap Ndiaye hatte die Entscheidung den Schuldirektionen überlassen. Viele wussten nicht mehr, wie sie auf die zunehmende Zahl von Abayas reagieren sollten. An einzelnen Banlieue-Schulen trugen sie über hundert Mädchen, wie ein Lehrer dem Livesender BFM erklärte. Das männliche Pendant, der luftige, ebenfalls bis zum Boden reichende Qamis, soll hingegen weniger verbreitet sein.

"Grundsätzlich kein religiöses Symbol"

Das neue Verbot wurde am Montag und Dienstag nach ersten Rückmeldungen wie seinerzeit das Kopftuchverbot relativ gut befolgt. 67 Mädchen weigerten sich, die Abaya abzulegen, und wurden mit Disziplinarstrafen bedroht. Andere erschienen zwar in der Abaya am Schuleingang, entledigten sich dort aber des Übergewandes, unter dem sie eine normale Kleidung trugen. Auf dem Portal X (vormals Twitter) gab es Hashtags wie "Zeig dich zum Schulbeginn in der Abaya". Auch sie riefen aber nicht offen zur Nichtbefolgung auf; vielmehr gab eine männliche Stimme die Anweisung, seine "Schwestern" sollten die Abaya auf Gürtelhöhe in zwei Teile schneiden, womit das Kleid nicht mehr als Abaya gelte; der männliche Qamis sollte zum Betreten des Schulareals mit einem – an sich unüblichen – Gürtel umschnallt werden.

Abaya-Verbot in Frankreich: "Es ist ein Trend aus dem nahen Osten, mehr nicht"
Schülerinnen und Schüler reagieren auf die Entscheidung, das Tragen der Abaya in Schulen zu verbieten, die letzte Woche vom französischen Bildungsminister Gabriel Attal angekündigt wurde
DER STANDARD

In den sozialen Medien, aber auch in der Nationalversammlung in Paris kocht seit Tagen die Debatte hoch, ob und wie weit eine Abaya ein religiöses Kleid sei. Selbst in der muslimischen Gemeinschaft herrscht Uneinigkeit. Der Französische Rat des muslimischen Kults (CFCM) hatte in einem Kommuniqué festgehalten: "In der islamischen Tradition ist ein Bekleidungsstück grundsätzlich kein religiöses Symbol." Die feministische Imamim Kahina Bahloul erwiderte, die Abaya stelle auf jeden Fall ein "politisches Projekt" dar. Aus diesem Grund unterstützt Bahloul das Abaya-Verbot an den Schulen.

Frau mit Abaya
Die Abaya ist – nicht nur in Frankreich – immer häufiger im Straßenbild zu sehen. An französischen Schulen hat sie seit dieser Woche nichts mehr zu suchen.
AFP/LOIC VENANCE

Auf religiösen Webseiten wie ajib.fr, die unter anderem Musliminnen zum richtigen Verhalten anhält, heißt es: "Die Abaya entspricht den Anforderungen des Islam." Und: "Jeder Muslim muss sich von Ungläubigen in jeder Beziehung unterscheiden, also auch in seiner Bekleidung."

"Bekleidungspolizei"

Hochumstritten ist der Symbolgehalt der weiblichen Abaya und des männlichen Qamis auch in politischen Parteien. Linken-Sekretär Manuel Bompard erklärte, seine Partei werde das neue Verbot vor dem Staatsrat anfechten. Frankreich brauche auch an Schulen keine "Bekleidungspolizei", fügte seine Parteifreundin Clémentine Autain an.

Nuancierter reagierten die Sozialdemokraten, die traditionell der Laizität verbunden sind und das Kopftuch- und das Burkaverbot mitgetragen haben. Sie lehnen das Verbot nicht offen ab, werfen Macron aber vor, er versuche mit einem härteren Immigrationskurs die konservativen Republikaner auf seine Seite zu ziehen, da er in der Nationalversammlung keine Mehrheit habe.

Attal gab am Montag auch bekannt, dass er im Herbst ein breites Experiment mit Schuluniformen durchführen werde. Das ist eine alte Forderung der Konservativen. Der Rechtspopulistin Marine Le Pen geht dies nicht weit genug; sie verlangt seit den jüngsten Banlieue-Krawallen mit Nachdruck eine Volksabstimmung über die Immigration. (Stefan Brändle aus Paris, 5.9.2023)