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Das Sanierungsverfahren von Kika/Leiner ist in vollem Gange. Die Insolvenz wird den Staat aller Voraussicht nach viel Geld kosten. Die Finanzprokuratur will die Vorgänge genau prüfen.
APA/HELMUT FOHRINGER

Im Gastbeitrag erklären die Rechtsanwälte Clemens Jaufer und Alexander Painsi, worum es in der aktuellen Debatte geht.

Die Wirtschaft spürt es längst, aber auch in der Öffentlichkeit kommt es durch medienwirksame Großinsolvenzen langsam an: Die während der Corona-Pandemie für viele überraschend ausgebliebene Insolvenzwelle rollt leise, aber doch durch Europa. Fachleute in Österreich sagen für das zweite Halbjahr 2023 einen weiteren Anstieg der Unternehmensinsolvenzen voraus.

In der Diskussion um große Insolvenzverfahren wie Kika/Leiner wird zuletzt immer wieder eine Reform gefordert, etwa von der SPÖ. Hintergrund ist, das das Insolvenzrecht nicht zur persönlichen "Bereicherung" Einzelner genutzt werden soll. Die Rechtsordnung gibt den Gläubigern – repräsentiert durch die vom Gericht bestellte Insolvenzverwalterin – allerdings bereits jetzt mächtige Werkzeuge in die Hand.

Die gesetzlichen Bestimmungen zur "Kapitalerhaltung" schützen etwa davor, dass Vermögen aus der Gesellschaft zu den Eigentümerinnen und Eigentümern abfließt. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen wie Spaltungen oder Unternehmensverkäufe sind durch Ausfallshaftungen der beteiligten Gesellschaften geprägt. Gab es vor einer Insolvenz Aktionen, die die Gläubiger benachteiligen, ist zudem eine Insolvenzanfechtung möglich, mit der diese Aktionen "rückgängig" gemacht werden können. Nicht zuletzt haftet die Geschäftsleitung persönlich für Pflichtverletzungen.

Zahlreiche Vorkehrungen

Ob die politisch geforderte zusätzliche "Überwachungsbehörde" im Justizministerium hier eine Verbesserung bringt, ist fraglich: Zum einen übt die Finanzprokuratur als Vertreterin der Republik schon jetzt eine wichtige Kontrollfunktion in großen Verfahren aus – und tut dies auch in der aktuellen Großinsolvenz von Kika/Leiner. Zum anderen darf die Einbindung eines weiteren Stakeholders nicht dazu führen, dass das österreichische Sanierungsverfahren seine Stärken einbüßt – mit im EU-Vergleich sehr kurzer, dreimonatiger Verfahrensdauer bei vergleichsweise hohen Rückführungsquoten für die Gläubiger.

Gefordert wurde unter anderem auch, staatliche Förderungen in einer Insolvenz überhaupt bevorzugt – also vorrangig – zu befriedigen. Leidtragende dieses Vorstoßes wären zum einen die übrigen unbesicherten Gläubiger – also vorrangig Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer (sofern nicht der Insolvenzentgelt-Fonds einspringt) und jene Lieferanten und Kunden in der viel zitierten Realwirtschaft, deren wirtschaftliche Situation häufig selbst angespannt ist. Branchenweite Dominoeffekte, wie sie in der Automobilzuliefererindustrie, in der Immobilienbranche und im Handel aktuell zu beobachten sind, würden damit nur noch weiter verstärkt.

Der Fokus sollte vielmehr darauf liegen, außerhalb der Insolvenz klare Spielregeln und Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Liste der Verbesserungspotenziale ist lang: Notwendig wären etwa kürzere Abgabenverfahren, die transparente und vorhersehbare Vergabe von Fördergeld und eine bessere Mitwirkung der verschiedenen Förderstellen an der bestehenden, an sich gut funktionierenden außergerichtlichen Restrukturierungspraxis.

Andere Reformen wichtiger

Dabei wäre es wichtig, das eigentliche Ziel eines modernen Insolvenzrechts nicht aus den Augen zu verlieren: Bestandsfähige Unternehmen sollen bestmöglich saniert werden, um Know-how, Wertschöpfung und letztendlich auch Arbeitsplätze zu erhalten.

Eine große Hürde zeigt sich in der Praxis etwa immer dann, wenn Unternehmen nicht bloß in einem Rechtsträger, sondern als Unternehmensgruppe organisiert sind: Meist ist nicht nur eine Gruppengesellschaft in Schieflage. Die österreichische Insolvenzordnung sieht aber keine rechtsträgerübergreifenden Sanierungsmöglichkeiten vor. Es gibt kein Konzerninsolvenzrecht, was die Sanierung von eigentlich ertragsfähigen, aber in der Gruppe verflochtenen Gesellschaften massiv erschwert. Hier wäre der Gesetzgeber gefordert, die Verfahrensabwicklung zu verbessern. Auch eine Erweiterung der Gestaltungsmöglichkeiten für ein gruppenweites Sanierungskonzept – in Anlehnung an jene Flexibilität, die das US-amerikanische Chapter-11-Verfahren bietet – wäre wünschenswert.

Dazu kommt, dass die Mehrheit der Eigentümer(familien) im Mittelstand im Insolvenzfall derzeit ein immenses Risiko trägt. Häufig schlägt die Insolvenz durch Haftungsübernahmen, die von Finanzierungsgebern gefordert werden, persönlich unmittelbar durch. Den Eigentümerinnen und Eigentümern hier durch einen angemessenen Beitrag ebenfalls einen Neustart zu ermöglichen wäre letztendlich im Interesse aller Beteiligten und würde zum Erhalt der Unternehmenskultur als wesentlichen Motor jeder Volkswirtschaft beitragen. (Clemens Jaufer, Alexander Painsi, 5.9.2023)