Es ist ein Empfang, wie man ihn sich als Politiker nur wünschen kann. "Hubert! Hubert!", skandieren die Anhängerinnen und Anhänger der Freien Wähler am Montag, als Parteichef Hubert Aiwanger im "Weißbierstadel" auf die Bühne tritt. Wie viele andere Spitzenpolitiker und -politikerinnen ist er zum Gillamoos, dem großen Jahrmarkt im bayerischen Abensberg, gekommen. Der politische Frühschoppen ist ein Pflichttermin im Jahreskalender in Bayern, erst recht kurz vor einer Landtagswahl. Diese findet ja in Bayern am 8. Oktober statt.

Auch CDU-Chef Friedrich Merz (rechts) kam zum Gillamoos-Volksfest nach Bayern. Er hatte sich dafür extra einen Trachtenjanker angezogen. Mit CSU-Chef Markus Söder gab es einiges zu besprechen.
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Schon lange vor Aiwangers Erscheinen standen seine Fans Schlange, um noch ins Bierzelt zu kommen. Aiwanger zeigte sich entsprechend erfreut. "Danke für diesen wunderbaren Vertrauensbeweis und diese Rückenstärkung", sagt er. Man darf das durchaus als Anspielung auf die schweren Turbulenzen der vergangenen Tage verstehen. Da beutelte die "Flugblatt-Affäre" Aiwanger gewaltig. Nachdem die Süddeutsche Zeitung berichtet hatte, Aiwanger solle vor 35 Jahren in seiner Schulzeit ein antisemitisches Flugblatt verfasst haben, dementierte der Beschuldigte zunächst.

Später outete sich sein Bruder als Verfasser der Hetzschrift. Doch diese Offenbarung und eine Entschuldigung Aiwangers reichten dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder nicht. Er forderte von Aiwanger in 25 Fragen Aufklärung. Die bekam er – allerdings in recht vager Form. Dennoch entschied Söder, an Aiwanger als Vizeregierungschef und Wirtschaftsminister in der gemeinsamen "Bayernkoalition" festzuhalten.

"Komische Parteien"

Viele also hörten sehr genau hin, ob Aiwanger denn am Gillamoos noch etwas zu erklären hatte. Dies war nicht der Fall. Er wetterte in gewohnter Manier gegen "Zuwanderungschaos", die "unterfinanzierte Bundeswehr" und Menschen, die nicht mehr "Mama und Papa" sagen wollen, sondern "Elternteil eins und Elternteil zwei".

Als er mahnte, man müsse "die Menschen in die politische Mitte zurückholen", weil sonst in Bayern "komische Parteien immer stärker werden", dachten vermutlich einige an die Freien Wähler. Aber die waren nicht gemeint.

Kein Wort verlor Aiwanger zur Flugblatt-Affäre, und das war ein paar Zelte weiter nicht anders. Dort trat, fast auf die Minute zeitgleich, Markus Söder auf. Er kritisierte die Berliner "Hampel-Ampel" und erklärte einmal mehr, dass er nach der Bayern-Wahl im Freistaat nicht mit den Grünen regieren werde. Denn: "Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern. Deswegen wird es keine Grünen in der Staatsregierung geben."

Den Namen Aiwanger und die Affäre wollte er auch nicht mehr ansprechen, also tat es ein anderer: der extra im Trachtenjanker nach Bayern gereiste CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. "Markus Söder hat in schwierigen Zeiten das Land gut geführt. Auch in den letzten Tagen hatte er eine schwierige Aufgabe, und ich muss sagen, diese Aufgabe hat er bravourös gelöst. Es war verdammt schwierig, und er hat genau richtig entschieden", sagte er.

Doch mehr Zuspruch gab es nicht für Söder. Vielmehr musste er sich nach seiner Entscheidung für Aiwanger von vielen Seiten Kritik anhören. SPD-Chefin Saskia Esken sieht ein "fatales Signal" und "Wasser auf die Mühlen aller derjenigen, die die NS-Zeit, die den Antisemitismus, die Rassismus verharmlosen".

Ungeeignet für das Amt

Sie findet: "Nicht nur das mögliche Verhalten Hubert Aiwangers in seiner Jugend, sondern vor allem sein heutiger Umgang damit zeigt für mich ganz klar, dass er ungeeignet ist, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen."

Auch der grüne Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck nennt die Entscheidung über den Verbleib Aiwangers in der Regierung "leider keine gute". Bei allen Unterschieden in der Sache habe sich die CSU immer als eine staatstragende Partei der Mitte verstanden, die den Grundkonsens dieser Republik wahre, so Habeck. "Zu ihm gehört, dass die Erinnerung an den Holocaust zentral ist und wir sie nicht relativieren dürfen. Genau das aber hat Herr Aiwanger getan und sich als Opfer inszeniert."

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, meinte zwar, sie habe Verständnis für Söders Entscheidung in der Causa Aiwanger – denn: "Man hat genau gehört aus seinen Reden, mit welcher Abscheu er diese Entscheidung getroffen hat." Doch sie sagte über Aiwanger: "Er hat sich bei mir gemeldet. Ich habe ihm meine Meinung zu seiner Person ganz klar erklärt. Ich habe die Entschuldigung nicht angenommen." (Birgit Baumann aus Berlin, 4.9.2023)