Mädchen denkt nach, in der Gedankenblase sind Helden wie Anna und Elsa, Paw Patrol, Tonie Figur
Die Helden der Kinderzimmer
Was prägt die Vorstellung vom Traumberuf? Heute in erster Linie Kinderserien, dann erwachsene Vorbilder.
Getty Images/iStockphoto, Collage: Otto Beigelbeck

Lassen Sie ein Feuerwehrauto an einer Schar von Kindern vorbeifahren. Ziemlich sicher werden so ziemlich alle von ihnen mit großen Augen und offenem Mund begeistert und beeindruckt dastehen. Wow. Cool! Und viele werden sagen: "Wenn ich mal groß bin, werde ich Feuerwehrmann." Oder Polizist. Oder Arzt. Oder Lehrerin. Seit Generationen gestalten sich die Zukunftswünsche von Kleinkindern ähnlich.

Das belegt auch eine Forsa-Studie aus dem Jahr 2021. Warum das so ist, weiß Arbeitspsychologin Tanja Fercher und erklärt: "Das hat mit mehreren Faktoren zu tun. Zum einen liegt es an einer Grundqualität des Menschen, altruistisch zu sein. Wir sind soziale Wesen, tragen die Tendenz in uns, anderen helfen zu wollen." Was wir außerdem in uns tragen: "Den Drang, uns über Status zu definieren. Alles, was toll, mächtig und einflussreich auf uns wirkt, wollen wir auch. Wir wollen was zu sagen haben, möchten gesehen und bewundert werden. Die meisten Berufe, die Kleinkinder am Schirm haben, haben deshalb etwas Heldenhaftes an sich. Da sind auch Batman und Prinzessinnen noch hoch im Kurs."

"Paw Patrol" beeinflusst Jobwahl

Das mit der Präsenz im Kopf bringt uns schon zum nächsten Punkt: "Die Medien, die Kinder meist schon sehr früh konsumieren, geben vor, was als attraktiv und nachahmenswert gilt. Bei der beliebten Serie Paw Patrol etwa gibt's den Feuerwehr- und den Polizeihund." Die sind taff, mutig und, Pardon, scheißen sich nichts. So will man sein, vor allem wenn es sonst noch nicht so viele Vorbilder gibt. "Seien wir uns ehrlich: Viel mehr als diese klugen und tapferen Hunde kennen so kleine Kinder noch nicht. Sie fangen gerade erst an zu verstehen, was es alles auf der Welt gibt und wie diese funktioniert. Vieles lernen sie auch aus ihrem direkten sozialen Umfeld, in dem sie eingebettet sind."

Aber wenn eben die Großen den Kleinen vorleben, was es da draußen alles gibt, und viele Eltern darauf Wert legen, ihre Kinder eben genau anders zu erziehen: Warum werden veraltete Rollenbilder und Stereotype trotzdem seit Ewigkeiten transportiert? Wieso ändert sich zumindest hier nichts, und wir fangen an, von Feuerwehrfrauen zu sprechen?

Die Frau vom Bau

"Weil wir noch sehr weit von echter Gleichberechtigung entfernt sind", so Fercher. Man brauche sich nur die berufliche Realität anzuschauen: "Wo finden wir männliche Lehrkräfte in der Volksschule? Oder männliche Kindergartenpädagogen? Die treten hauptsächlich in der Unter- und Oberstufe in Erscheinung. Wie sollen Buben dann auf die Idee kommen, Kindergartenpädagoge zu werden, wenn sie diese Realität gar nicht erleben? Wir versuchen zwar, mit Sprachregelungen dem entgegenzuwirken, aber das wirkt nur sehr oberflächlich und rational." Wirklich wohl fühlen wir uns mit den Mustern, die wir tief drinnen verinnerlicht haben, so die Expertin.

Frei nach dem Motto: So gehört die Welt, so ist sie sicher und gut. Die unbewussten, automatisierten Denkweisen, die seit Generationen weitergegeben werden, dominieren uns, ob wir wollen oder nicht. Unser Hirn liebt diese gedanklichen Abkürzungen, weil es darauf ausgelegt ist, ressourcenschonend zu arbeiten. Was noch dazukommt: In manchen Teilen der Welt ist es Frauen nach wie vor verboten, bestimmte Berufe auszuüben. In Russland beispielsweise dürfen Frauen nicht Lokführerinnen, Pilotinnen oder Holzfällerinnen sein. Und das sind nur drei von insgesamt hundert Jobs, die das Regime von Präsident Wladimir Putin Frauen untersagt. Und erst seit 1994 dürfen Frauen per Gesetz in ganz Deutschland auf dem Bau arbeiten. Auch das sind Gründe, warum manche Rollenbilder länger verankert bleiben, als wir gerne wahrhaben wollen.

Die meisten romantischen Vorstellungen über diverse Berufsbilder erledigen sich auch so recht bald. Der Arbeitsmarkt gibt nicht viel her für Cinderellas oder Superhelden ... Vor allem aber stellen sich Kinder und Jugendliche mit zunehmendem Alter vermehrt Fragen wie: Was mache ich gerne? Und worin bin ich wirklich gut? "Sie lernen mehr und mehr von der Welt kennen, erleben diese realistischer und sehen, wie viele Optionen sie eigentlich haben", sagt Arbeitspsychologin Fercher, betont aber auch: "In Österreich wird Bildung nach wie vor vererbt."

Die Job-Bubble

Sprich: Die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen Akademikerjob machen werde, wenn ich aus einer Arbeiterfamilie komme, ist geringer. Fercher selbst hat es geschafft, "aber auch erst über die Berufsreifeprüfung im zweiten Bildungsweg, als ich wirklich selbst steuerungsfähig war in meinem Leben". Daher weiß sie, warum die meisten es nicht aus ihrer "Bubble" herausschaffen: "Wenn ich mir überlege, wie mein jetziges Umfeld über unsere Kinder und deren Schulkarrieren spricht im Vergleich zu dem, was ich von meinen Eltern her kenne – das wird alles auf einer ganz anderen Ebene reflektiert." Trotzdem ist es möglich, aus Familiendynamiken auszubrechen und beruflich Karriere zu machen. Was es dafür definitiv braucht: "Zumindest eine Person, die auf einen reagiert. Jemanden, der sagt: Ich glaube an dich. Du schaffst das."

Diese Art der Bestärkung brauchen jetzt vor allem die Corona-Teenager. In ihrem Praxisalltag erlebt Fercher auch nach Pandemieende auffällig viele Jugendliche ohne Zukunftsperspektiven: "Da ist oft so viel Traurigkeit, das Gefühl von Sinnlosigkeit und die Angst vor dem, was kommt. Da ist diese politische und mediale Angstinduktion, auch abseits von Corona, die Jugendliche regelrecht fertigmacht. Sie konsumieren Medien intensiver und öfter als die Generationen davor und haben nicht so viele Möglichkeiten, diese Inhalte richtig zu verarbeiten. Der jugendliche Leichtsinn, dieses 'Wurscht, was ist, ich lebe!' geht damit teilweise verloren."

Neue Flexibilität

Jugendliche brauchen Visionen und Ideen für ihre berufliche Zukunft, um sich in ihrem Leben sinnvoll zu fühlen. Immerhin ist der Job für die meisten von uns ein wesentlicher Bestandteil unserer Identität. Auf Events und beim Kennenlernen ist die Frage nach dem Job eine der ersten. Wie wichtig dieser für unsere Persönlichkeit ist, zeigt sich vor allem dann, wenn man den Job verliert oder keine Arbeitsstelle findet. "Die Arbeit darf gerne ein relevanter Teil des Lebens sein, aber bitte nicht der einzige", warnt die Expertin. "Wenn ich anfange, alles in meinem Leben meinem Job unterzuordnen, fängt es an, problematisch zu werden."

Sie empfiehlt, spätestens dann umzudenken und sich zu fragen: Wie schaffe ich es, eine bessere Work-Life-Balance herzustellen? Manchmal funktioniert das nur mit einem Cut. "Vielleicht ist der Zeitpunkt für einen Jobwechsel da. Oder Sie orientieren sich beruflich komplett neu. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem verändert und verändert sich noch immer rasant. Wer da offen bleibt für neue Aufgaben, hat gute Karten." Batman oder Paw Patrol wird es dann vermutlich auch nicht werden, aber Jobprofile mit Heldenfaktor gibt es ja genug ... (Katharina Domiter, 6.9.2023)