"Routine", sagt sie kurz und knapp, als sie gefragt wird, wo sie soeben war. Martha Krumpeck kommt gerade von einer Gerichtsverhandlung. "Ich habe mich auf der Straße festgeklebt", sagt sie. Es war nicht ihre erste und wird wahrscheinlich auch nicht ihre letzte Gerichtsverhandlung gewesen sein. Krumpeck greift in ihre Tasche und holt vier Briefumschläge hervor. Jeder dieser Briefe wirft ihr ein Vergehen vor. Sie sieht das gelassen. Auf dem Weg vom Gericht zum Interview hat sie schon die nächsten Aktionen geplant, per Videotelefonat. Zwei kabellose Kopfhörer stecken noch in ihrem Ohr. Was das juristische Nachspiel ihrer Proteste angehe, "schreckt mich nichts mehr". Was sei schon eine Strafe im Vergleich zu den Folgen der Klimakrise? Vor Gericht laute ihre Verteidigung stets: "legitime Notwehr".

Krumpeck ist so etwas wie die Galionsfigur der Letzten Generation, einer Bewegung, die für den Klimaschutz kämpft. Dabei bedient sie sich Mitteln, die in der Bevölkerung höchst umstritten sind. So überschüttete die Gruppe bereits historische Gemälde in Museen mit Suppe oder Farbe. Im Wiener Leopold-Museum etwa ein Klimt-Gemälde. Die wohl häufigste Protestmethode, vor allem in Österreich, sind jedoch Sitzblockaden auf der Straße, bei denen die Aktivistinnen und Aktivisten ihre Hände mit Superkleber am Asphalt fixieren. Medien schreiben daher von den "Klimaklebern". Nicht selten sitzt Krumpeck dazwischen, die Miene ernst, der Blick starr geradeaus. "Ich bin eine, die wenig davon hält, im stillen Kämmerchen Proteste zu planen und andere machen zu lassen. Ich sitze auch selbst mit in der ersten Reihe."

Das erste Mal richtig auf fiel Krumpeck mit ihrem Hungerstreik auf dem Heldenplatz. Das war 2021, im Juni. Bei brütender Hitze saß sie neben einem Protestschild. "Hungerstreik gegen Ökozid und Korruption", stand darauf in fetten schwarzen Lettern geschrieben. Daneben malte sie Striche auf, jeweils einen für jeden Tag, den sie ausharrte. Krumpeck hatte das Essen eingestellt, um "für den Stopp aller fossilen Großprojekte" zu protestieren. Sie sprach sich auch gegen Korruption und Postenschacher aus. Acht Kilo soll sie abgenommen haben bei dem Streik.

Martha Krumpeck; Hungerstreik; Klimaaktivismus
Hungerstreik für die Umwelt: Bei einer Pressekonferenz kritisierte Martha Krumpeck die aktuelle Politik.
APA/FLORIAN WIESER

Im Jahr darauf dann ein Protest vor der SPÖ-Parteizentrale in der Löwelstraße 18. Es ging ihr um die Stadtautobahn und "andere sinnbefreite Straßenprojekte". Gemeinsam mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern beklebte Krumpeck die Fassade mit wissenschaftlichen Arbeiten zum Klimaschutz. Und auch Plakaten mit Nachrichten wie "Ludwig lügt" oder "Wir müssen reden". Krumpeck ging erneut in den Hungerstreik. An Tag 44 brach sie zusammen, Medien berichteten vereinzelt. Da sie nicht mehr daran glaube, "die Betonköpfe" mit ihrer Aktion zu etwas bewegen zu können, beende sie hiermit ihren Hungerstreik. "Ich werde den Kampf fortführen, aber mit anderen Mitteln", betonte die Aktivistin gegenüber dem "Kurier".

Seit rund einem Jahr ist das Interesse ungebrochen. Seitdem ist Krumpeck des Öfteren auf den Internetseiten diverser Zeitungen zu sehen. Sie wird in Interviews befragt und in Fernsehsendungen eingeladen, wo sie mit Politikerinnen und Politikern unterschiedlicher Couleur diskutiert. Sie redet stets schnell, wirkt entschieden und gibt sich gefasst. Wer ist diese Frau? Wie hält sie es aus, dass andere sie hassen?

"Gut behütet" aufgewachsen

Krumpeck ist 1991 geboren, in Eisenstadt, und aufgewachsen im nahe gelegenen Schützen am Gebirge. In einem "gut behüteten Umfeld", erzählt sie an einem Nachmittag im August. Spricht sie über ihre Kindheit, scheint die Klimakrise ganz weit weg aus ihrem Kopf. Für einen Moment. Krumpeck, die sonst mit trockener Stimme über die Klimakrise als Bedrohung für das Überleben der Menschheit spricht, klingt plötzlich sanft. Ihre Eltern würden beide aus Winzerfamilien stammen und im Wein- und Ackerbau arbeiten. Sie habe einen Bruder, der mit Downsyndrom lebt, und zwei ältere Halbbrüder. Sie habe sich selbst das Lesen beigebracht, sei zwar mit einem großen Garten aufgewachsen, aber nie viel draußen gewesen. "Ich war eher das Bücherwurmkind." Auch heute noch brauche sie "Sachen zum Grübeln".

Nach der Schule hat Krumpeck Molekularbiologie in Wien studiert und das Bakkalaureat abgeschlossen. Auch Medizin hat sie studiert, wobei ihre Diplomarbeit noch ausständig ist. Derzeit habe sie "leider keinen Kopf, mich mit Uni-Bürokratie herumzuschlagen". Davor habe sie es nicht hinbekommen, weil es ihr nicht gut gegangen sei. Sie habe eine Zeitlang mit Depressionen zu kämpfen gehabt. Ihr Traum sei es, einmal in der Forschung zu arbeiten.

Wann ihr so richtig bewusst wurde, wie es um das Klima steht? Als sie die Proteste der schwedischen Schülerin Greta Thunberg anfingen, sagt sie. Krumpeck besorgte sich Fachliteratur und las sich ein. Von einem Thema gelangte sie zum nächsten, immer mehr Fragen kamen auf. Wie schlimm wird die Hitze? Wie wird sich die Wasserversorgung entwickeln und wie die Stromversorgung? Was sind die Prognosen für die Emissionen? "Zuerst habe ich gedacht: Oh Gott, das kann doch alles nicht stimmen. Ich habe weitergelesen, weiter wissenschaftliche Literatur ausgegraben, und es wurde alles nur noch schlimmer."

Reicht das aus?

2019 begann Krumpeck, sich bei Fridays for Future und Extinction Rebellion zu engagieren. Extinction Rebellion ist eine radikale Umweltschutzbewegung mit dem erklärten Ziel, durch Mittel des zivilen Ungehorsams Druck auf die Politik auszuüben. Sie stellen Ölfässer auf die Straße, färben den Donaukanal in Wien grün ein. "Wir wollten die Gesellschaft aufrütteln", sagt Krumpeck. "Zunächst hat das ganz gut funktioniert, aber die Politik hat uns ignoriert." Das habe sie zum Nachdenken gebracht, ob das, was die Gruppe tut, ausreicht. Bei Fridays for Future wiederum habe sie nicht mit allen übereingestimmt, auch was die Art der Proteste angeht. "Irgendwann hat sich herausgestellt, dass sie nur bereit sind, legale Dinge zu tun – mal abgesehen davon, nicht in die Schule zu gehen." Krumpeck war mittlerweile der Überzeugung, dass es etwas anderes braucht, mehr braucht.

Also gründete sie zusammen mit David Sonnenbaum und Caroline Thurner, die sie von Extinction Rebellion kannte, Ende 2021 die Letzte Generation. In anderen Ländern formierten sich zu dieser Zeit ähnliche Bewegungen. Ihr Vorbild war Insulate Britain, die in Großbritannien für die Wärmedämmung von Wohnungen protestierten. Die Gruppe blockiert wichtige Autobahnen und Straßen im Vereinigten Königreich, indem sie sich auf dem Asphalt festklebt. "Am Anfang war ich sehr skeptisch, weil ich dachte: Das schreckt die Leute nur ab. Doch historische Beispiele zeigen, dass viele zivile Widerstandsbewegungen alles andere als beliebt waren. Aber obwohl die Gruppe selbst verhasst war, haben sie die öffentliche Meinung in ihrem Sinn beeinflusst."

Martha Krumpeck; Letzte Generation
Es pickt: Martha Krumpeck hat sich bei einer Aktion der Letzten Generation festgeklebt. Bleibt etwas an der Hand? "Nein", sagt sie.
Heribert Corn

Krumpeck stellte für sich fest: Mit umstrittenen Aktionen erreicht man etwas ganz Entscheidendes – Aufmerksamkeit. Und die sei wichtig, um den öffentlichen Diskurs auf bestimmte Themen zu lenken. Die Bewegung versucht also erst gar nicht, beliebt zu sein, sondern bloß unignorierbar. Mit den ersten Aktionen trat die Letzte Generation Anfang 2022 in Erscheinung. In kleineren Gruppen setzten sie sich auf den Wiener Gürtel und blockierten ihn in beiden Richtungen. "Es war Eisregen, und wir sind einfach sitzen geblieben, weil wir damals noch nicht wussten, wie man bei Nässe kleben kann." Der zweite Protest fand am Verteilerkreis in Favoriten statt, mittlerweile mit Superkleber.

Anecken funktioniert, ist Krumpeck inzwischen überzeugt. "Die Tempo-100-Debatte kriegen sie einfach nicht weg." Jeder Politiker, jede Politikerin wird mittlerweile in Interviews gefragt, wie er oder sie es mit dem Thema hält. "Und das ist ein klares Verdienst von uns."

Vertrauen in die Intuition

Überlegt sie sich neue Aktionen, vertraue sie dabei vor allem auf ihre Intuition: "Ich gehe nach meinem Bauch, und meistens kommen dabei gute Sachen heraus." Zum Glück gebe es Menschen im Team, die ihre Ideen "filtern", wie sie es nennt. "Ich würde schätzen: Zu 90 Prozent habe ich recht, zu neun Prozent liege ich daneben und zu einem Prozent total daneben." Längst sei sie auch nicht mehr alleine für die Strategie verantwortlich. "Das verteilt sich auf mehr Schultern."

Die Gruppe habe schnell erkannt, dass komplizierte Botschaften nicht ankommen. Deshalb lautet die Devise nun: nicht zu viel auf einmal wollen, einfache Botschaften senden. "Wir stellen keine abstrakten Forderungen, die irgendeinen Interpretationsspielraum lassen, sondern ganz konkrete, die wissenschaftliche 'No Brainer' sind." Nach dem Tempo 100 und der Forderung, keine neuen Öl- und Gasbohrungen mehr zu machen, will sich die Gruppe auf den Klimarat einschießen. Politisch Verantwortliche sollten künftig nicht umhinkommen zu erklären, "warum sie auf die demokratisch erstellten 93 Forderungen, großteils einstimmig angenommen, einfach scheißen".

Letzte Generation; Aktionstraining; Straßenblockaden; Klimaaktivismus
Vor den geplanten Aktionen übt die Letzte Generation den Protest. Martha Krumpeck leitet die mehrstündigen Workshops.
Regine Hendrich

Inzwischen komme es häufiger vor, dass sie Menschen erkennen und ansprechen, sagt Krumpeck. Auf der Rückreise von einem Protest in Berlin sei ein 14-Jähriger auf sie zugekommen und habe sie gefragt, ob sie die Martha Krumpeck sei. "Er meinte, er findet es total super, was wir machen, aber seine Mutter versteht es nicht wirklich." Einmal habe auch jemand nach einem gemeinsamen Foto gefragt. Meist werde ihr für ihr Engagement gedankt. "Ich habe noch keinen getroffen, der gesagt hätte: 'Du Oaschloch!'" Die neue Bekanntheit, die Medienanfragen, würden sie weder ärgern noch freuen. "Ich brauche das nicht für mein Wohlbefinden. Mir geht es darum zu tun, was getan werden muss, um diese Gesellschaft aufzurütteln."

Haft als "Auszeit"

Zweimal hat Krumpeck bereits im Polizeianhaltezentrum Verwaltungsstrafen abgesessen, für jeweils zwei Wochen. Das sei für sie nicht belastend, vielmehr sehe sie es als eine Art "Auszeit" von den Protesten. "Ich kümmere mich dann um andere Dinge, wie meine Leseliste abzuarbeiten." Auf dieser stehe Literatur zum friedlichen Widerstand oder zu Theorien der Gewaltlosigkeit. Außerdem lerne sie in Haft Chinesisch, "weil ich mit einigen Menschen sehr gut befreundet bin, deren Muttersprache das ist". Gefragt, ob Chinesisch zu lernen nicht ein Lebensprojekt sei, lacht Krumpeck laut auf, das erste Mal während des Interview. "Das kommt darauf an, wie oft sie mich einsperren." Aber sie zeigt sich zuversichtlich, dass sie bald zumindest einfache Briefe schreiben kann. Auch Schach ist ihr Hobby: Sie spielt es am Smartphone gegen Unbekannte. Ihre Fähigkeit sei es, "sich aus brenzligen Situationen wieder herauszumanövrieren".

Als Politikerin sieht sie sich dennoch nicht. Eine politische Partei zu gründen würde außerdem zu viel Zeit kosten. "Klar ist es möglich, sich über Wahlen in einer Demokratie hochzuarbeiten, wie es die Grünen geschafft haben." Aber in 20 Jahren an der Macht zu sein reiche nicht aus. Es brauche "schnellere Lösungen".

Letzte Generation; Martha Krumpeck; Klimaaktivismus
Martha Krumpeck bei einer Protestaktion im Februar dieses Jahres. Die Letzte Generation blockierte Straßen auf dem Praterstern und auch den Döblinger Gürtel.
APA/LETZTE GENERATION ÖSTERREICH

Sie fühle die Bedrohung durch die Klimakrise auch körperlich. Die Hitze mache ihr Sorgen. Das nächste Jahr werde "die Hölle selber", das Mittelmeer sei bereits jetzt so heiß wie nie. Slowenien sei "ziemlich kaputt", Italien im Süden "ein Kochtopf", und im Norden gebe es "Hagelkörner, so groß wie Tennisbälle". Für sie ist die Frage, wie viel von der Katastrophe "sich überhaupt noch verhindern lässt".

Gibt es einen Moment, einen Ort, wo sie das Gefühl hat, noch in Sicherheit zu sein? Dass alles nicht so schlimm ist, wie es scheint? "Leider ist es eine Berufskrankheit, dass das nicht mehr so gut funktioniert." Dennoch sehe sie sich nicht als Pessimistin, auch nicht als Optimistin, vielmehr als Realistin.

Geht es nach ihr, wie wird die Welt in 50 Jahren aussehen? Wie haben wir gehandelt, wie leben wir? "Ich hoffe, dass wir uns ungefähr so an die Klimakrise zurückerinnern wie an andere vergangene Ereignisse", sagt Krumpeck. "Dass man im Geschichtsunterricht davon lernt und sich alle fragen: Was genau war das Problem, und wieso hat man nicht einfach gehandelt?" Positiv stimmt sie, "dass immer mehr Menschen verstehen, worauf wir gerade zurasen, und die Konsequenzen sehen." Und da blitzt bei ihr doch noch ein wenig Optimismus durch. (Lisa Breit, 14.9.2023)