Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Republik Österreich wegen ihres Umgangs mit Hasspostings über eine damalige "Profil"-Redakteurin auf der Seite "Unzensuriert.at" zu Schadenersatz verurteilt. Der Gerichtshof vermisst eine Abwägung über eine mögliche Verantwortung der Seite für Postings, die in Österreich in zweiter Instanz negiert wurde.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Eingang
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Österreich wegen des Umgangs mit Hasspostings auf "Unzensuriert.at".
Imago/Joker

"Als Zielscheibe verwendet"

"Unzensuriert.at" veröffentlichte 2016 einen redaktionellen Artikel, der die "Profil"-Redakteurin auch auf einem Foto beim Wahlkampfauftakt des FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer zeigte. "Schade, das es keine gaskammern mehr gibt!!", postete ein User zu dem Artikel. Ein anderer schrieb: "Bild der Zielperson mit Erfolg ausgedruckt … und wurde erfolgreich als Zielscheibe verwendet – STOP Nach dem Leermachen des Glock-Magazines war leider noch ein Teil die Nase der Zielperson erkennbar – STOP Die Schrotflinte hat dann die Nase auch noch weggeputzt – STOP Allen Kameraden viel Erfolg bei eigenen Schießübungen – STOP".

"Profil", vertreten von Anwalt Hubert Simon, zeigte die Poster nach damaligen Angaben des Verlags bei der Staatsanwaltschaft wegen gefährlicher Drohung, Verstoßes gegen das Verbotsgesetz und Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen an. Die "Profil"-Redakteurin wies "Unzensuriert.at" zwölf Tage nach Erscheinen auf die Postings hin, das Portal löschte sie daraufhin rasch und gab auf Anfrage auch die ihm vorliegenden Mail-Adressen der Poster heraus, die Identität der Poster war aber nicht zu eruieren. Die "Profil"-Redakteurin klagte zudem das Portal auf Schadenersatz, die erste Instanz sah eine rechtliche Verantwortung für die Postings, die zweite Instanz verneinte diese aber. Es habe ausgereicht, die Kommentare zu löschen.

Artikel 8 verletzt

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht hier Versäumnisse im Verfahren der zweiten Instanz. Das Oberlandesgericht Wien hat nach Ansicht des Menschenrechtsgerichtshofs nicht die notwendigen Abwägungen nach den von ihm aufgestellten Kriterien vorgenommen. Wie das Verfahren dann ausgegangen wäre, ist aber offen.

In seiner Rechtsprechung habe der Gerichtshof Kriterien für die Verantwortung von Webseiten für Kommentare und Postings von Userinnen und Usern entwickelt. Relevant seien etwa der Kontext der Kommentare, die Vorkehrungen und Maßnahmen der Betreiber, Verleumdung in solchen Kommentaren vorzubeugen oder diese zu entfernen, die Haftung der Autorinnen und Autoren dieser Kommentare.

Es wäre abzuwägen, ob "Unzensuriert.at"die Voraussetzungen erfülle, um von der Haftung für Inhalte Dritter ausgenommen zu werden. Die (redaktionelle) Rolle der Website sei zu berücksichtigen, der Inhalt des Artikels, zu dem die Hasskommentare gepostet wurden, der "absichtlich Antipathien gegen die Beschwerdeführerin geschürt" und "zu Gewalt gegen sie angestachelt" habe. Die "Profil"-Journalistin sei schon seit September 2015 wiederholt unter Artikeln von "Unzensuriert.at" verbal angegriffen worden.

Österreich habe damit Artikel 8 der Menschenrechtskonvention über Achtung und Schutz der Privatsphäre der Journalistin verletzt. Die Republik muss der Autorin 2.000 Euro immateriellen Schadenersatz leisten sowie 5.800 Euro für ihren Aufwand überweisen, plus Steuern.

Bei der Abwägung zwischen Artikel 10 über die Medien- und Meinungsfreiheit und dem Artikel 8 über den Schutz der Privatsphäre sei zu berücksichtigen, ob es im jeweiligen Fall um Hasskommentare oder Aufrufe zur Gewalt gehe. (fid, 5.9.2023)