Vom Paulus zum Saulus: Jordan Henderson.
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Es ist ein Transfer, der noch immer für Aufregung sorgt. Der Engländer Jordan Henderson, ehemaliger Kapitän des FC Liverpool, wechselte für eine Ablöse von 14 Millionen Euro nach Saudi-Arabien zu Al-Ettifaq, wo er bis 2026 unterschrieb. Die Pikanterie: Henderson hatte sich in den vergangenen Jahren wiederholt lautstark für die Rechte der LGBTIQ-Gemeinschaft eingesetzt. Nun kickt der 33-jährige Engländer also in einem Land, in dem homosexuelle Handlungen strafbar sind und mit dem Tod bestraft werden können.

Henderson verteidigte daraufhin seinen Wechsel, seine Einstellung bleibe unverändert. "Meine Werte ändern sich nicht, weil ich in ein anderes Land gehe, in dem die Gesetze möglicherweise anders sind", sagte er in einem Interview mit The Athletic. Oliver Egger sieht das freilich anders. "Das geht für sich für Henderson doch hinten und vorn nicht aus", sagt er dem STANDARD. Egger war in Österreich der erste Fußballer, der sich als homosexuell geoutet hat, das war 2016. Seit vier Jahren ist er Leiter der Homophobie-Ombudsstelle des ÖFB. "Es ist eine Augenauswischerei, eine schlechte Ausrede. Henderson war ein großes Sprachrohr für uns, leider hat er keine Prinzipien."

Henderson spielte zwölf Jahre für Liverpool, trug als Kapitän die Regenbogenbinde. Er engagierte sich für diverse queere Initiativen, darunter Rainbow Laces ("Regenbogenschuhbänder"), eine britische Organisation, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten einsetzt. Henderson trug die Schuhbänder auch bei Spielen. Für Egger ist das "klassisches Pink-Washing", also ein vorgetäuschtes Interesse an der LGBTIQ-Community. Kop Outs, ein queerer Fanklub des FC Liverpool, schrieb bei X (vormals Twitter): "Angesichts der Entscheidungen, die er kürzlich getroffen hat, zweifeln wir an, ob Henderson jemals ein wirklicher Unterstützer von uns gewesen ist."

Hendersons Regenbogen-Schuhbänder.
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Für Aufsehen sorgte ein Video, in dem Al-Ettifaq in Spielszenen von Henderson dessen Regenbogenbinde schwarz-weiß eingefärbt hatte. Ein Tragen der Binde bei seinem neuen Klub wolle er nicht ausschließen. "Aber gleichzeitig würde ich die Religion und Kultur in Saudi-Arabien nicht missachten", sagte er. Oliver Egger glaubt nicht, dass Henderson die Regenbogenbinde in Saudi-Arabien tragen wird. "Werbung für Homosexuelle steht dort unter Strafe. Das wird er sich nicht trauen. Henderson sagt, er respektiere die örtliche Kultur. Es ist aber eine Kultur, in der Menschen für ihre sexuelle Orientierung umgebracht werden."

Henderson betont, eine neue sportliche Herausforderung zu suchen, bei Liverpool hatte er unter Trainer Jürgen Klopp zuletzt kein Stammleiberl mehr. Bei Englands Teamchef Gareth Southgate holte er sich die Bestätigung, dass er trotz eines Wechsels in die sportlich bedeutungslose Saudi Pro League noch für Länderspiele infrage kommt. Bei seinem neuen Verein Al-Ettifaq verdient er Berichten zufolge fast 700.000 Pfund pro Woche (mehr als 800.000 Euro), mehr als das Dreifache seines Gehalts in England. Egger würde sich mehr Ehrlichkeit bei solchen Entscheidungen wünschen. "Wenn er wenigstens sagen würde, ja, ich wechsle nur wegen der Kohle nach Saudi-Arabien, dann wäre das zumindest mutig. Es interessiert doch keinen Spieler, ob sich der Fußball dort weiterentwickelt."

Im Rückwärtsgang

Sorgen bereite Egger das große Ganze. In Teilen Europas und auch etwa in den USA drohe bei der Gleichstellung sexueller Minderheiten ein Rückschritt, der von Nationalisten und Populisten befeuert werde. Seit zwei Jahren ist in Ungarn öffentliche Aufklärung von Kindern über Homosexualität verboten. Auf Werbung mit queeren Inhalten stehen Strafen. Russland hat die Rechte queerer Menschen weiter beschnitten, und in den USA war 2022 ein Rekordjahr gemessen an der Zahl der Anti-LGBTIQ-Gesetze. "Es scheint, als ob wir wieder im Rückwärtsgang unterwegs sind", sagt Egger. "Wir haben in Österreich zwei Parteien, die nichts für unsere Community macht, im Gegenteil. Diese Symbolpolitik hilft auf Dauer niemandem."

Oliver Egger
Oliver Egger: "Es interessiert doch keinen Spieler, ob sich der Fußball dort weiterentwickelt."
Foto: STANDARD/Regine Hendrich

Ist es gerecht, Einzelne an den Pranger zu stellen? Die Premier League hatte keine Einwände gegen die Übernahme von Newcastle United durch den saudi-arabischen Staatsfonds PIF. Die Formel 1 gastiert in der Hafenstadt Dschidda, den Golfsport hat sich Saudi-Arabien gekauft, auf der Payroll des De-facto-Herrschers Mohammed bin Salman landen immer mehr Sportler. "Es geht schlicht um eine Vorbildwirkung, und da kann ein Einzelner natürlich etwas bewirken", sagt Egger. Er würde es noch eher nachvollziehen können, wenn ein Spieler eines kleinen Vereins, der längst nicht ausgesorgt hat, in einem der Golfstaaten anheuert. Egger versteht auch einen Markus Pink, der im Herbst seiner Karriere in China für gutes Geld stürmt. "Aber die großen Stars haben ihre Millionen längst herinnen. Was macht es für einen Unterschied, ob ich 100 oder 200 Millionen Euro verdiene?"

Henderson will mit seiner Anwesenheit für ein Umdenken sorgen. "Ich denke, dass die Leute meine Ansichten und Werte kannten, bevor ich gewechselt bin. Ich bin der festen Überzeugung, dass es etwas Positives ist, wenn ich in Saudi-Arabien spiele", sagte der Engländer. Eine Aussage, über die Oliver Egger nur lachen kann: "Was will er verändern? Er ist ja nicht mehr glaubwürdig."

Gerade weil sich der ehemalige Liverpool-Star in der Vergangenheit so offen für LGBTIQ-Anliegen eingesetzt hat, ist der Gegenwind nun besonders heftig. Und so sagte Henderson im Jahr 2019 in einem Interview, in dem es um LGBTIQ-Fans ging, die sich im Stadion nicht sicher fühlen: "Da frage ich mich, in was für einer Welt wir leben." (Florian Vetter, 7.9.2023)