Chimären, Schweine, Menschen, Mischwesen, Nieren
Forschenden ist es gelungen, in Embryos von Schweinen Nierengewebe mit menschlichen Zellen heranwachsen zu lassen.
Foto: Wang, Xie, Li, Li, and Zhang et al/Cell Stem Cell

Mischwesen aus Tier und Mensch begegnen einem in der europäischen Mythologie in unzähligen fantasievollen Varianten. Zwischen Ziegenmenschen (Satyrn), Vogelfrauen (Harpiyen), Stiermännern (Minotauren) oder Pferdemenschen (Kentauren) wird man dort allerdings eine Mischung aus Mensch und Schwein vergeblich suchen. Dafür arbeitet die Wissenschaft mit Hochdruck an der Realisierung einer solchen Chimäre.

Freilich darf man sich die erhofften Ergebnisse derartiger Experimente nicht als anatomische Mischungen vorstellen, als Menschen mit Schweinsrüssel und Ringelschwänzchen. Vielmehr geht es um eine genetische und zelluläre Vereinigung der beiden Spezies mit dem Ziel, Organe zu züchten, mit denen man künftig den wachsenden Bedarf an Transplantaten decken möchte, die im Idealfall vom Empfänger gut vertragen und nicht abgestoßen werden.

Menschliches Organ in fremder Spezies

Ein bedeutender Schritt in diese Richtung ist nun einem chinesischen Forschungsteam gelungen. Die Forschenden am Guangzhou Institute of Biomedicine and Health haben im Labor erfolgreich eine zelluläre Kombination aus menschlichen und Schweinezellen hervorgebracht, die man dann einem weiblichen Schwein implantiert hat. Dort wuchs der Keim im Zeitraum von maximal 28 Tagen zu einem größeren Embryo mit humanisierten Nieren heran, deren Struktur auch im Detail herkömmlichen menschlichen Nieren glich – etwas, das man in dieser Form zuvor noch nie geschafft hatte.

Die Gruppe um Jiaowei Wang wählte vor allem deshalb hybride Nieren als Ziel ihrer Forschungsarbeit, weil dieses Organ zu den ersten zählt, die sich in einem Embryo entwickeln. Darüber hinaus sind Nieren jene Organe, die in der Humanmedizin am häufigsten transplantiert und auch am meisten gebraucht werden.

Viele Herausforderungen

"Es ist zwar bereits gelungen, Rattenorgane in Mäusen und Mäuseorgane in Ratten zu züchten. Aber der Versuch, menschliche Organe in Schweinen heranwachsen zu lassen, war bisher noch nie erfolgreich gewesen", sagte Liangxue Lai, einer der Senior-Autoren der nun im Fachjournal "Cell Stem Cell" veröffentlichten Studie. "Wir schafften dies, weil unser Ansatz die Integration menschlicher Zellen in das Empfängergewebe deutlich verbessert."

Derartige Versuche waren bisher eine große Herausforderung für die Forschung, einerseits, weil sich Schweinezellen in der Regel gegenüber menschlichen Zellen durchsetzen und sie verdrängen, andererseits, weil die Zellen dieser beiden Spezies unterschiedliche physiologische Bedürfnisse haben. "Wir haben jedoch eine Reihe von kritischen Faktoren identifiziert, die die Bildung von solchen Interspezies-Chimären fördern, indem sie den Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Zellen abmildern", sagte Guangjin Pan, Co-Autor der Studie.

Chimären, Schweine, Menschen, Mischwesen, Nieren
Die humanisierten Nierenzellen sind hier rot fluoreszierend dargestellt. Oben ein unveränderter Schweineembryo zum Vergleich.
Illustr.: Wang, Xie, Li, Li, and Zhang et al./Cell Stem Cell

Mehrere Schlüsselelemente

Die von den Forschenden entwickelte Technik beruht auf mehreren Schlüsselelementen: Zunächst gelang es dem Team, eine Art Entwicklungsnische innerhalb des ursprünglichen Schweineembryos zu kreieren, damit die menschlichen Zellen nicht unmittelbar mit den Schweinezellen konkurrieren mussten. Dafür manipulierten sie eine embryonale Schweinezelle mithilfe der Genschere Crispr, indem sie ihr zwei Gene entfernten, die für die Nierenentwicklung benötigt werden.

Als Nächstes veränderten die Wissenschafter menschliche pluripotente Stammzellen (also Zellen, die das Potenzial haben, sich zu jedem beliebigen Zelltyp zu entwickeln), um sie gleichsam für den "Einbau" in den Schweineembryo empfänglicher zu machen. Die Manipulation verringerte die Wahrscheinlichkeit, dass sich die menschlichen Zellen selbst zerstören; sie nahmen ihnen also vorübergehend die Fähigkeit zum programmierten Zelltod.

Außerdem verwandelten sie diese Zellen in "naive" Zellen, die frühen menschlichen Embryonalzellen ähneln, indem sie sie in einem speziellen Medium kultivierten. Bevor sie diese Chimären einer Sau einpflanzten, ließen sie sie unter Bedingungen heranwachsen, die sowohl den menschlichen als auch den tierischen Zellanteil mit jeweils optimalen Nährstoffen und biochemischen Signalen versorgten.

Aufwand hat sich gelohnt

Insgesamt übertrug das Team 1.820 auf diese Weise vorbereitete Embryonen in 13 Mutterschweine. Nach 25 bis 28 Tagen beendeten sie die Trächtigkeit und entnahmen die Embryonen, um zu prüfen, ob die Chimären tatsächlich humanisierte Nieren gebildet hatten. Die Analysen zeigten, dass sich die komplizierten Vorarbeiten offenbar ausgezahlt hatten: Die Forschenden fanden für dieses Entwicklungsstadium strukturell normale Nieren vor, die zu 50 bis 60 Prozent aus menschlichen Zellen bestanden. Dem Wachstumszeitraum von 25 bis 28 Tagen entsprechend hatten die Nieren das zweite Stadium der Nierenentwicklung, das sogenannte Mesonephros-Stadium, erreicht, in dem sich bereits Tubuli gebildet hatten sowie Zellknospen, aus denen sich in weiterer Folge Harnleiter entwickelt hätten, die die Niere mit der Blase verbinden.

Chimären, Schweine, Menschen, Mischwesen, Nieren
Nierengewebe der in Schweinen gezüchteten Organe unter dem Mikroskop. Die menschlichen Zellen sind rot dargestellt, links ein unmanipulierter Schweineembryo.
Fotos: Wang, Xie, Li, Li, and Zhang et al/Cell Stem Cell

Das Team untersuchte auch, ob menschliche Zellen in anderen Geweben innerhalb der Embryonen aufgetaucht waren, was ethische Probleme aufwerfen würde, insbesondere wenn etwa eine große Zahl menschlicher Zellen in Nerven- oder Keimbahngewebe gewandert wäre. Tatsächlich aber beschränkte sich der menschliche Zellanteil auf die Nieren, während sich der Rest des Embryos aus Schweinezellen zusammensetzte. "Wir fanden nur sehr wenige menschliche Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark und keine menschlichen Zellen im Fortpflanzungsbereich, was darauf hindeutet, dass sich die menschlichen pluripotenten Stammzellen nicht in Keimzellen differenziert haben", erklärte Co-Autorin Zhen Dai.

Was kommt als Nächstes?

Als Nächstes möchte das Team um Jiaowei Wang den Embryonen mehr Zeit zur Entwicklung geben, um zu sehen, ob tatsächlich funktionsfähige menschliche Nieren dabei herauskommen. Die Methode ließe sich freilich auch bei anderen Organen einsetzen, entsprechende Versuche sind bereits in Vorbereitung. Langfristiges Ziel dieser Experimente sei eine Technologie, mit der man für die Transplantation geeignete menschliche Organe wachsen lassen könnte, doch bis dorthin sei es noch ein langer Weg, schreibt das Team in der Studie.

Die Forschenden betonen, dass die Arbeit äußerst komplex sei und es noch viele Jahre dauern könnte, bis man die Technik im medizinischen Alltag einsetzen kann. Die Züchtung eines voll funktionsfähigen humanisierten Organs in einem Schwein würde noch einige zusätzliche Schritte erfordern. So hatte sich etwa gezeigt, dass die gezüchteten Nieren von Schweinen stammende Gefäßzellen enthielten, was bei einer etwaigen Transplantation wohl zu einer Abstoßungsreaktion seitens des Empfängers führen würde.

"Da Organe nicht nur aus einer einzigen Zelllinie bestehen, müssten wir, um ein Organ zu erhalten, bei dem alles vom Menschen stammt, die Schweine wahrscheinlich sehr viel komplexer gestalten, was zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt", meinte Miguel A. Esteban, einer der Hauptautoren. "Bevor wir so weit sind, dass wir Organe für die klinische Praxis herstellen können, bietet diese Methode allerdings auch die Möglichkeit, die Entwicklung menschlicher Organe eingehender zu studieren, etwa um die Entwicklung von Krankheiten besser zu verstehen." (Thomas Bergmayr, 7.9.2023)