Kein Zweifel, die Lage ist ernst. Der Präsident der Wirtschaftskammer fordert ein neues Programm für die Volkspartei, weil nicht einmal er sich mehr in dieser Welt auskennt, und das will etwas heißen. Sie sind seit dieser Woche nicht mehr Präsident des Generalrates der Nationalbank, weil sich die Regierung nicht auf die fälligen Wiederbestellungen einigen konnte, konfrontierte ihn "Die Presse" neulich mit einem der vielen Probleme des Landes. Wie erklären Sie sich das?

Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, vor Österreich-Wimpel
Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer, kann "nicht nachvollziehen, warum Dinge nicht entschieden werden".
Imago / Sepa Media / Martin Juen

Warum nicht entschieden wird

Wenn sich jemand so etwas erklären kann, dann doch ein Präsident der Wirtschaftskammer, sollte man glauben, aber weit gefehlt. Niemand, der sich damit befasst, kann sich das erklären, beschied der den Fragesteller, was nur daran liegen kann, dass es eine erstmalige Sache in der Geschichte der Notenbank ist.

Solche erstmalige Sachen scheint es aber auch bei der Wettbewerbsbehörde, beim Bundesverwaltungsgericht und anderswo zu geben, und wieder muss Harald Mahrer vor der Erstmaligkeit der Sachen passen. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum Dinge, die man einfach entscheiden könnte, nicht entschieden werden. Dagegen soll ein neues Programm der Volkspartei helfen, und das könnte gelingen, da an einem solchen Projekt nicht der Fluch der Erstmaligkeit haftet. Die ÖVP hatte schon viele Programme, das letzte von 2015. Das definiert unsere Herangehensweise in vielen Politikfeldern. Aber in bestimmten Bereichen braucht es eine Art Refreshment.

Ein Refreshment kann nie schaden, etwa bei der Kinderbetreuung, bei der die ÖVP hinter ihrer Selbstverpflichtung von 2015 weit zurückgeblieben ist. Für Mahrer ist das genau der Grund, warum ich sage, man sollte sich in zentralen Politikbereichen rückbesinnen, auch um nicht die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Der Verdacht, das könnte schon geschehen sein, nagt an ihm, ist es doch verwunderlich, dass da nicht mehr Geschwindigkeit drin ist.

"Krone"-Chefideologe aus dem Häuschen

Warum das, kann er sich nicht erklären, er ist in diesem Erklärungsnotstand allerdings nicht der Einzige. Sogar der Chefideologe der "Kronen Zeitung" geriet über Kickl und Nehammer völlig aus dem Häuschen. Die Schwadronierer. Die Schwätzer. Die Plauderer. Die Schnatterer. Die Laberer. Die Schwafler. Die Klatschmänner. Die Quasselköpfe. Kickl und Nehammer, Nehammer und Kickl. In welcher Reihenfolge auch immer: In Wahrheit sind beide eine politische Katastrophe.

Schon bis hierher hätte sich Michael Jeannée für diese subtile politische Analyse ein kleines Refreshment verdient, aber er fuhr fort: Ich bin der Meinung, die Herren gehörten totgeschwiegen. Denn Politiker, die nicht in der Zeitung stehen, sind nicht lange Politiker.

Leider gilt der Chefideologe nichts im eigenen Blatt, fand sich doch in derselben Ausgabe ein halbseitiges Porträt von Kickl, diesmal weder als Schwadronierer noch als Schnatterer. Es wurde einfach gefragt: Wer fürchtet sich vorm blauen Mann? Womit auch klargestellt war, von welchem Schwafler die "Krone" will, dass er lange Politiker bleibt.

Durchblick in "Zur Zeit"

Nur in einem Blatt hat man in komplexen Zeiten wie diesen den ultimativen Durchblick auf das wirklich Wichtige – die Normalität. Normal ist es beispielsweise, einer geregelten Arbeit nachzugehen, sonntags einen Ausflug mit der Familie zu machen oder dass Kinder heterosexuellen Beziehungen entspringen. Bei homosexuellen Beziehungen wäre das Entspringen der Kinder auch etwas schwierig, ein Sonntagsausflug ist hingegen auch Lesben oder Schwulen als Anwandlung von Normalität zuzumuten. "Zur Zeit" lässt nicht mit sich handeln, wenn es um das Normale geht. Ebenso ist normal, mit dem eigenen Auto zur Arbeit zu fahren und, sofern man es sich leisten kann, seinen Sommerurlaub am Meer und seinen Winterurlaub in einem Skiort zu verbringen. Ja nicht umgekehrt! Normal ist auch, einen Audi, einen BMW oder einen Mercedes der gehobenen Klasse als Statussymbol zu betrachten und nicht ein Lastenfahrrad.

Offensichtlich ist das Fahren eines Lastenfahrrades eine Form der neuen Normalität, die wiederum nichts anderes ist als das Ergebnis des Marsches der Linken durch die Institutionen. In der postdemokratischen neuen Normalität liegt der Fokus auf dem Randständigen, Fremden, Extremen, Kranken – eben auf dem Lastenfahrrad und seinen Tretern.

In Ordnung hingegen ist die ungarische Normalität im Unterschied zu den, laut Orbán, "westlichen Werten" Migration, LGBTQ und Krieg. Bitte ein Refreshment! (Günter Traxler, 9.9.2023)