In den Trümmern wird nach Überlebenden gesucht.
Suche nach Überlebenden in Al Haouz.
AFP/FADEL SENNA

Es war 23.11 Uhr Ortszeit als ein Erdbeben mit einer Stärke von sieben auf der nach oben offenen Richterskala den Süden Marokkos rund um die Stadt Marrakesch im Landesinneren erschütterte. Danach kam es zu mehreren Nachbeben. Die Folgen des Bebens sind verheerend, die Zahl der Todesopfer ist auf mehr als 1.300 gestiegen. Das teilte das Innenministerium am Samstagabend mit. Bisher war von 1037 Toten die Rede.

Mehr als 1800 Menschen seien verletzt worden. Zuvor war noch von mehr als 1.200 Verletzten die Rede. Das Beben sei in einem Umkreis von 400 Kilometern zu spüren gewesen, sagte Nasser Jabour, Leiter einer Abteilung des Nationalen Instituts für Geophysik, der marokkanischen Nachrichtenagentur MAP. Die Erschütterung riss auch in Spanien und Portugal Menschen aus dem Schlaf. Auch in Algerien war es zu spüren. Marokko hat eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Wie der Königpalast am Samstag mitteilte, sollen während der Staatstrauer die Fahnen an öffentlichen Gebäuden auf halbmast gesetzt werden. Laut der Erklärung, die von der staatlichen Nachrichtenagentur MAP verbreitet wurde, hatte König Mohammed VI. zuvor eine Krisensitzung geleitet.

Ein Mann bahnt sich in Marrakesch seinen Weg durch Trümmer.
Ein Mann bahnt sich in Marrakesch seinen Weg durch Trümmer.
AFP/FADEL SENNA

Betroffen sind neben der Stadt Marrakesch auch die Provinzen und Präfekturen Al Haouz, Ouarzazate, Azilal, Chichaoua und Taroudant im Atlasgebirge und der angrenzenden Wüste. Selbst in der Küstenstadt Agadir sind schwere Schäden und mindestens fünf Menschenleben zu beklagen. Das Epizentrum des Bebens lag bei Ighil, 72 Kilometer südwestlich von Marrakesch.

Österreicherinnen und Österreicher seien nach bisherigem Wissensstand nicht verletzt worden, teilte das Außenministerium am Samstagvormittag auf APA-Anfrage mit. Aktuell seien jedoch rund 60 Personen reiseregistriert, hieß es weiter. Laut Ministerium befinden sich aktuell rund 215 Auslandsösterreicherinnen und Auslandsösterreicher in Marokko. Der Flughafen in Marrakesch funktioniere derzeit normal und es gebe genügend Flüge, um zurück nach Österreich zu kommen, teilte das Außenministerium mit.

Mimi Theobald, eine 25-jährige englische Touristin, berichtet im Afrikadienst des französischen internationalen Nachrichtensenders TV5Monde wie sie mit Freunden vom Beben in Marrakesch am Ende eines Abendessens auf einer Terrasse überrascht wurde. "Als die Tische anfingen zu wackeln, das Geschirr zu fliegen begann, gerieten wir in Panik", erzählt sie.

"Danach versuchten wir, zu unserem Hotel zu gehen, um unser Gepäck und unsere Pässe abzuholen, weil unser Flug für morgen geplant war, aber das war unmöglich, weil unser Hotel in der Medina liegt. Überall lagen Trümmer", fügt sie hinzu.

Gebäude stürzten ein

Das Erdbeben war so stark, dass in den Städten mehrere Gebäude einfach einstürzten, so das Innenministerium. So stürzte in Marrakesch ein Teil des Minaretts der Moschee am bekannten und bei Touristen beliebten Platz Jemaa el-Fna ein.

In den sozialen Netzwerken machen Bilder und Videos von den Zerstörungen die Runde. Einige Aufnahmen zeigen Fahrzeuge, die unter Trümmern begraben wurden. Viele berichten, wie sie aus Angst vor weiteren Beben auf der Straße und auf Plätzen die Nacht verbrachten. Auch beschädigte Teile der berühmten roten Mauern zu sehen, die die Altstadt von Marrakesch umgeben, ein Unesco-Weltkulturerbe.

Dutzende Leute sitzen auf einem großen Platz.
Bewohner und Bewohnerinnen in Ouarzazate suchten draußen Schutz.
IMAGO/Wang Dongzhen

So auch ein französische Besitzer von drei historischen Häusern in der Altstadt von Marrakesh. Er berichtet am Telefon gegenüber TV5Monde: "Ich lag in meinem Bett, als alles anfing zu zittern. Ich dachte, mein Bett würde wegfliegen. Ich ging halbnackt auf die Straße (...). Es war das totale Chaos, eine echte Katastrophe, Wahnsinn."

In Marrakesch füllte sich der Platz Jemaa el-Fna mit Menschen, die sich in Sicherheit bringen wollten. Selbst in der weiter entfernten Hauptstadt Rabat und der Wirtschaftsmetropole Casablanca lösten die Beben bei der Bevölkerung Panik aus. Der erste, heftigste Erdstoß war selbst im angrenzenden Teil Algeriens und in Südspanien zu spüren. Dort riefen Dutzenden besorgter Menschen bei der Notrufnummer 112 an.

Wie es auf dem Land außerhalb der großen Städte aussieht, darüber gibt es bisher nur wenig Informationen. Die marokkanische Armee sowie die lokalen Behörden und der Katastrophenschutz in den betroffenen Präfekturen sind mittlerweile im Einsatz. Die Gesundheitsbehörden haben zu Blutspenden aufgerufen. Internationale Hilfe wird erwartet.

Menschen beim Blutspenden in Marrakesch.
Menschen beim Blutspenden inMarrakesch.
REUTERS/ABDELHAK BALHAKI

EU bietet Hilfe an

Die Europäische Union hat Marokko bereits Hilfe angeboten. "Die EU ist bereit, Marokko in diesen schwierigen Momenten zu unterstützen", schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel am Samstagmorgen via X, vormals Twitter. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte ebenso ihr Mitgefühl. Sie sei angesichts des schrecklichen Erdbebens mit ganzem Herzen beim marokkanischen Volk, teilte die deutsche Spitzenpolitikerin mit. Auch Uno-Generalsekretär António Guterres zeigte sich bestürzt. Die Vereinten Nationen stünden bereit, die Regierung Marokkos in ihren Bemühungen zu unterstützen, der betroffenen Bevölkerung zu helfen.

Reaktionen aus Österreich

Mehrere Länder sicherten Marokko am Samstag Unterstützung zu – darunter auch Österreich. Bundeskanzler Karl Nehammer, Innenminister Gerhard Karner sowie Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (alle ÖVP) drückten am Samstag in einem gemeinsamen Statement ihre Betroffenheit über das Beben aus. "Katastrophen, wie diese, erfordern internationale Solidarität und Unterstützung. Österreich wird jederzeit helfen, wo in den Katastrophengebieten Marokkos Hilfe benötigt wird", wurde Nehammer zitiert. "Innen- und Verteidigungsministerium treffen derzeit alle Vorkehrungen, um zu unterstützen, sobald eine entsprechende Anforderung kommt", sagte Nehammer. Das Katastrophenhilfeelement des Bundesheers, die Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU), stehe jederzeit bereit betonte Tanner. Zuletzt stand ein AFDRU-Kontingent des Bundesheeres nach dem verheerenden Beben im Süden der Türkei Anfang Februar im Einsatz.

Das österreichische Rote Kreuz rief am Samstag zu Spenden für die Erdbebenregion auf. Der marokkanische Rote Halbmond unterstütze bereits mit Erster Hilfe, Psychosozialer Betreuung und mit Evakuierungs- und Transportmaßnahmen, hieß es in einer Aussendung. Ärzte ohne Grenzen betonte am Samstag in einer Mitteilung, man sei bereits in Absprache mit den lokalen Behörden, um erste Teams in die Region zu senden. Spendenaufrufe kamen ebenfalls von den beiden NGOS Care-Österreich sowie "Jugend Eine Welt".

Erdbeben 2004 in Nordmarokko

Trotz diplomatischer Spannungen hat Algerien im Zuge des schweren Erdbebens angeboten, den Luftraum zum Nachbarland wieder zu öffnen. Wie die staatliche Nachrichtenagentur APS am Samstag berichtete, brachten die algerischen Behörden "ihre volle Bereitschaft zum Ausdruck, humanitäre Hilfe zu leisten".

Zuletzt erschütterte am 24. Februar 2004 ein Erdbeben der Stärke 6,3 Grad die Provinz Al Hoceima in Nordmarokko und forderte nach offiziellen Angaben 628 Menschenleben. Und am 29. Februar 1960 zerstörte ein Erdbeben Agadir an der Westküste des Landes und forderte mehr als 12.000 Tote, ein Drittel der damaligen Stadtbevölkerung. (Reiner Wandler, APA, Reuters, red, 9.9.2023)